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[971]2. Russische Getreidelieferungen4.
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Aus dem Tagesordnungspunkt geht hervor, daß es sich hier um offizielle Geschäfte der Sowjetunion mit Deutschland handelt. Daneben soll es auch eine Unterstützung mit Getreide durch die Internationale Arbeiterhilfe im Ruhrgebiet und während der sozialdemokratisch-kommunistischen Koalitionen in Sachsen und Thüringen gegeben haben. Nach Ansicht des RKom. für Überwachung der öffentl. Sicherheit und Ordnung war unter der Flagge der Hilfeleistung kommunistische Propaganda getrieben worden: „Das ganze Unternehmen des Getreidetransportes stellt sich als eine wohldurchdachte und zielbewußte Maßnahme der russischen Gewerkschaften dar, hinter der ohne Zweifel die 3. Internationale steht. Es soll unter Ausnutzung der äußerst gespannten Lage in Deutschland der Versuch gemacht werden, die Massen für den Kommunismus zu gewinnen und zur Aktion zu treiben. Einer der Begleiter eines des Transportes hat auch bei der Übergabe einer Sendung in unzweideutiger Form hervorgehoben, daß es sich um mehr handele als eine Wohltätigkeit, nämlich um einen Aufruf zum Kampf des internationalen Proletariats gegen seine Bedrücker“ (Künzer an RWeM, 27.11.23 auf ein Schreiben der Abt. T 1. III des RWeMin.; Pol.Arch.: Geheimakten Länder II: Rußland Pol. 19, Bd. 12). S. a. W. Fabian, Klassenkampf um Sachsen, S. 167.
Der Reichswirtschaftsminister teilte mit, daß es notwendig sei, eine Verordnung zu erlassen, nach der bei Geschäften, die auf der Grundlage eines außerdeutschen Kurses der Mark abgeschlossen worden seien, die Erfüllung verweigert werden könne, sofern der Forderungsberechtigte die Leistung auf der Grundlage des amtlichen Berliner Kurses ablehne. Dieser Fall sei vor allem bei den russischen Getreidelieferungen5 gegeben. Er empfehle, eine entsprechende Verordnung des Herrn Reichspräsidenten sofort zu erlassen.
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Der russ. Getreideexport nach Deutschland belief sich im Jahr 1923 bei Weizen auf 39 346 Doppelzentner (1924: 54 944), für Roggen auf 3 020 329 dz (1 743 285), für Gerste auf 476 419 dz (795 928), für Hafer auf 9 813 dz (50 561). Der Wert des Roggenexports Rußlands nach Deutschland hatte im Jahr 1923 44 297 000 RM gegenüber 26 458 000 RM im Jahr 1924 betragen (Statist. Jahrbuch 1924/25, S. 212).
Das Kabinett stimmte dem vorgelegten Entwurf einer Verordnung zu6.
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Die Verordnung vom 5.11.23 betreffend zeitweise Verweigerung von Leistungen auf Grund eines außerdeutschen Kurses der Reichsmark wurde in RGBl. I, S. 1082 veröffentlicht. Als im November von russ. Seite eine Papiermarkzahlung für Getreide nicht akzeptiert, sondern Begleichung in Devisen verlangt wurde, sicherte die RReg. eine ausreichende Bereitstellung von Rentenmark zu. Für den Fall, daß die dt. Importeure auf dieser Basis nicht arbeiten würden, erklärte sich die RReg. bereit, die Abwicklung der Getreidelieferungen zu unterstützen; dagegen lehnte sie für den Beginn der Rentenmarkemission eine formelle Zusicherung für die Abdeckung von Kursdifferenzen ab (Vortr. LgR Wallroth an Botschaft Moskau, 13. u. 22.11.23; Pol.Arch.: Büro RM 9, Bd. 6). Schon am 15.10.23 war der deutschen Botschaft in Moskau mitgeteilt worden, das Gesetz vom 15.3.19 betr. das Verbot des Verkehrs mit russ. Zahlungsmitteln sei außer Kraft gesetzt (Pol.Arch.: Abt. III Wirtschaft: Rußland Finanzwesen 3, Bd. 1).