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Nr. 161
Der Vertreter der Reichsregierung in München an die Reichskanzlei. 21. Oktober 1923
R 43 I/2264, Bl. 91/92 Durchschrift
Inhalt: Angelegenheit Lossow.
Die Zuspitzung des Konflikts zwischen Bayern und Reich kann, von hier aus gesehen, nur mit größter Besorgnis verfolgt werden1. Die Erwiderung der bayerischen Regierung auf die Verabschiedung Herrn v. Lossows kann beinahe als zwangsläufig angesehen werden. Der Herr Reichsarbeitsminister hat noch in letzter Stunde versucht, Herrn v. Knilling im Beisein des Finanzministers und des Geheimrats Held zu einem weniger scharfen Vorgehen zu bestimmen2. Auch ich hatte Gelegenheit, unmittelbar vor dem Ministerrat Staatsrat Schmelzle und drei der wichtigsten Minister ausführlich zu sprechen und auf die verhängnisvolle Tragweite eines scharfen Vorgehens eindringlichst hinzuweisen.[684] Vielleicht sind gewisse Milderungen in dem bayerischen Vorgehen auf diese Schritte zurückzuführen3.
Wie ich stets berichtet habe, war von vorneherein klar, daß die bayerische Regierung die Verabschiedung Herrn v. Lossows unter keinen Umständen hinnehmen und anerkennen würde4. Fraglich war nur, in welcher Form dies geschehen und welche weiteren Schritte sie damit verknüpfen würde. Daß sie versuchen würde, die Kontigenthoheit bei dieser Gelegenheit wieder zu gewinnen, war von vorneherein äußerst wahrscheinlich. Die Befürchtung, daß sie noch weitergehen und die Reichsregierung überhaupt negieren würde, ist bisher noch nicht eingetroffen. Ich glaube jedoch, darauf aufmerksam machen zu müssen, daß Zwangsmaßnahmen seitens der Reichsregierung vermutlich weitere Entscheidungen hier auslösen werden. Der Ausrufung der Monarchie werden sich allerdings die Nationalsozialisten mit allen Kräften widersetzen5. Ich halte es jedoch nicht für ausgeschlossen, daß, wenn letztere Einfluß gewinnen und mit den übrigen Rechtsorganisationen unter dem Druck von Berlin sich verbünden sollten, der Lieblingsgedanke Hitlers, mit militärischer Gewalt auf dem Wege über Sachsen, Thüringen nach Berlin zu marschieren6, um dort „Ordnung zu schaffen“, auszuführen versucht werden wird. Es war bekanntlich gerade diese Befürchtung, welche seinerzeit Herrn v. Knilling veranlaßt hat, den Ausnahmezustand zu erklären.
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S. Anm. 5 zu Dok. Nr. 157.
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Vgl. Dok. Nr. 143.
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In einem Bericht über die rechtsradikalen Organisationen in Norddeutschland v. 6.10.23, der am 27.10.23 vom RIM der Rkei zugeleitet wurde, war über die engen Beziehungen Hitlers zu diesen Verbänden Mitteilung gemacht und auf die militärische Ausrüstung seiner Anhänger eingegangen worden (s. Anm. 13 zu Dok. Nr. 108): „Wenn Hitler seinen Vormarsch unternehme, wolle er zunächst mit Eisenbahntransporten über Hof, Leipzig vorfühlen und gleichzeitig über Nürnberg–Saalfeld das Saaletal aufwärts“ (R 43 I/2731, Bl. 362).
Wie ich bereits früher auf anderem Wege berichtete, besteht auch, wenn man hier zum äußersten getrieben wird, noch eine Gefahr, nämlich daß Bayern sich einem Staate anschließt, der aus Rhein u. Ruhr, Baden, Württemberg und eventuell Österreich zu bilden wäre. Fühler in dieser Richtung sind, wie ich, allerdings unverbürgt, höre, vor kurzem bereits von französischer Seite ausgestreckt, damals freilich schroff zurückgewiesen worden.
Die Proklamation des Gesamtstaatsministeriums und des Generalkommissars werden hier ohne besondere Erregung und mit offenbarer Zustimmung in der breiten Öffentlichkeit aufgenommen7. Auch die erst morgen wieder erscheinende hiesige Presse wird mit Ausnahme der wenigen linksgerichteten Blätter sicherlich nicht ihr Einverständnis versagen. So viel ich höre, steht auch die hiesige Reichswehr geschlossen hinter Herrn v. Lossow und der bayerischen Regierung. Wie sich die nördlichen Organisationen verhalten, ist von hier aus bisher nicht festzustellen gewesen8. Die Stellungnahme der Nationalsozialisten[685] kann zweifelhaft sein. Ich weiß, daß Herr Hitler den Konflikt Lossow belauerte, weil er die Einheit des Reichsheeres bedrohte. Andererseits ist er ein unerbittlicher Gegner der gegenwärtigen Reichsregierung wegen ihres sozialdemokratischen Einschlags.
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S. Ursachen und Folgen V, Dok. Nr. 1153 c.
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Gemeint sein dürften die rechtsradikalen Verbände in Nordbayern. Schon am 16.10.23 hatte StM a. D. Hirsch an die Rkei berichtet: „Ehrhardt soll sich in Coburg aufhalten und von dort aus die Lostrennung vom Reich organisieren. Die Sache hat viel Wahrscheinliches, da der Herzog selbst ganz deutschvölkisch ist und zu jedem deutschen Tag nach Bamberg oder Nürnberg fährt. Es ist beobachtet worden, daß nachts, unter Stroh versteckt, Minenwerfer und Maschinengewehre angekommen sind. Sämtliche Offiziere und ein großer Teil der Beamten sind bayrisch gesinnt. Es wäre wohl angebracht, diese Beobachtungen dem Reichskanzler mitzuteilen, damit Anschläge wie in Küstrin verhindert werden“ (R 43 I/2218, Bl. 188). Vgl. J. Erdmann, Coburg, Bayern und das Reich, S. 130 ff.
Abschließend möchte ich bemerken, daß ich es begrüßen würde, wenn der Weg der Verhandlung mit der hiesigen Regierung offen gehalten und nicht durch Zwangsmaßnahmen abgeschnitten würde, obwohl ich mir bewußt bin, daß es vielleicht für die Reichsregierung nicht tragbar ist, den unleugbaren bayerischen Verfassungsbruch hinzunehmen.
gez. Haniel