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4. Außerhalb der Tagesordnung. Verhandlungen in Paris und London.
Staatssekretär von Simson machte Mitteilungen über die Verhandlungen in Paris und London wegen der Aufschubnote5. Es entspann sich eine eingehende[948] Erörterung über die Frage, ob auch eine Stundung für 1923/1924 gefordert werden solle. Vom Reichsminister der Finanzen wurde dringend empfohlen, nur die Stundung für 1922 zu fordern, da die Zustimmung für eine weitere Stundung im Augenblick nicht erreicht werden könne. Vom Herrn Reichskanzler und dem Herrn Vizekanzler wurden Bedenken hiergegen geäußert und der Auffassung Ausdruck gegeben, daß die Notlage so ungeheuer sei, daß jetzt auch der Antrag wegen der Stundung für die weiteren Jahre gestellt werden müsse. Es wurde schließlich einem Vorschlag des Staatssekretärs von Simson zugestimmt, den beiden ersten Absätzen des Entwurfs noch einen dritten Absatz hinzuzufügen, der vorbehaltlich der Formulierung den Inhalt haben sollte, daß die Deutsche Regierung mit Rücksicht auf die schwierige Lage die Befreiung von sämtlichen Zahlungen während der Jahre 1923/1924 fordern müsse. Der Vorschlag soll in einer Unterkommission erörtert und dem Herrn Reichskanzler zur Genehmhaltung vorgelegt werden6.
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Zu den Notenentwürfen siehe Dok. Nr. 314, P. 6; am 10.7.22 hatte Sthamer aus London über seine Verhandlungen mit Blackett wie folgt berichtet: „Grundsätzlich mit den Entwürfen der Note an die Mächte [vom 14.7.22] und Reparationskommission [vom 12.7.22] einverstanden, machte Sir Basil Blackett folgende Bemerkungen, ohne seine Regierung damit verpflichten zu wollen: 1. Nach dem deutschen Vorschlag werde Befreiung von allen Barzahlungen auf Grund Zahlungsplan vom 5.5.1921 bis Ablauf des Moratoriums erbeten. Im Zahlungsplan seien aber die Okkupationskosten nicht erwähnt, es empfehle sich deshalb ein Zusatz, der die Okkupationskosten einschließe. 2. Sachlieferungen seien nicht erwähnt, da sie fortgesetzt werden sollen. Es werde der Sache dienen, wenn ihre Beibehaltung ausdrücklich erwähnt werde. 3. Es werde angeregt, bei Antrag an die Reparationskommission ausdrücklich auf Art. 234 [siehe Dok. Nr. 229 Anm. 8] Bezug zu nehmen. […] 5. Nichtzahlung der Julirate begegnete Verständnis bei B. Er hielt für möglich, daß endgültige Entscheidung über Moratoriumsantrag erst nach 15. 7. fallen werde, weshalb eine ausdrückliche klare Stellung nötig sei, gegebenenfalls durch Hinausschieben des Zahlungstermins der Julirate bis zur endgültigen Entscheidung über Moratorium.“ (R 43 I/29, Bl. 343 f.). Aus Paris drahteten Schroeder und Fischer ebenfalls am 10.7.22 über ihre Verhandlungen mit Bradbury, Delacroix und Dubois: „Heute Vormittag Besprechungen mit Bradbury, Nachmittag mit Delacroix und dann Dubois. Wir darlegten politische Devisen- und Budgetlage, betonten Notwendigkeit, daß Reparationskommission alsbald entgegenkommende Entscheidung gibt und bezeichneten Zahlung vom 15. 7. als technisch möglich aber recht bedenklich. Bradbury und Delacroix empfahlen dringend, jetzt noch mit vorhandenen Beständen zu zahlen, hielten Entscheidung vor Bericht des Garantiekomitees für schwierig, wollten aber Frage eines vorläufigen Bescheides prüfen. B. sagte, man solle nicht Fehler von Cannes wiederholen und zu hohe Zahlen festsetzen, erklärte aber selbst baldige endgültige Lösung jetzt wegen Frankreich nicht für erreichbar. Dubois völlig ablehnte, erhob Vorwürfe gegen bisherige deutsche Haltung in Reparationen, denen wir entgegentraten, wollte dann aber erneut prüfen. Danach kurze Besprechung mit Bradbury, der inzwischen Delacroix gesprochen. Er fragte, ob statt vorläufiger Entscheidung sofortige Reise Reparationskommission nach Berlin günstig für Mark sein könne, was wir nicht ablehnten. Delacroix verspricht sich von Reise wenig, würde aber nicht entgegen sein. Wir werden nach Abrede morgen früh Bradbury Notenentwurf als persönlichen Vorschlag auf Grund heutiger Besprechungen mitteilen. Morgen Vormittag Beratung der Reparationskommissionsmitglieder unter sich. Gesamteindruck ernsteste Beachtung unserer Argumente durch die Gegenseite und Wunsch, der Lage Rechnung zu tragen, aber endgültige Entscheidung erst nach Bericht Garantiekomitees zu erwarten.“ (R 43 I/29, Bl. 349).
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Im 4. Entwurf der Note war nur ein Moratorium für 1922 gefordert worden (siehe Dok. Nr. 314 Anm. 6). Die endgültige Fassung geht darüber hinaus: „Die Deutsche Regierung stellt daher im Hinblick auf Artikel 234 des Vertrages von Versailles [Wortlaut siehe Dok. Nr. 229 Anm. 8] den Antrag, ihr die nach der genannten Entscheidung während des Kalenderjahres 1922 noch fällig werdenden Barzahlungen zu stunden. […] Die Deutsche Regierung ist sich nicht im Zweifel darüber, daß zur Wiederherstellung des Markkurses alsbaldige Maßnahmen erforderlich sind, die über das Jahr 1922 hinausreichen, und sie hält es daher für unerläßlich, daß Deutschland auch für die Jahre 1923 und 1924 von Barzahlungen aus dem Zahlungsplan vom 5.5.1921 befreit wird.“ (Note vom 12.7.22 Aktenstücke zur Reparationsfrage vom 12. 7. bis 11.12.1922).