2.10.1 (ma11p): I. Steuergesetze.

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RTF

[46]I. Steuergesetze.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß das Kabinett vor kurzem beschlossen habe2:

2

S. den Kabinettsbeschluß vom 3. 12. über den Entwurf einer SteuerNotVO (Dok. Nr. 4, P. 3).

1.

die Umwertung der Umsatzsteuer in Gold,

2.

die Erhebung der Rhein-Ruhrabgabe zur Hälfte noch im Dezember,

3.

die Erhebung der letzten Abschlagszahlung auf Einkommensteuer noch im Dezember.

Angesichts der Tatsache, daß das Ermächtigungsgesetz im Reichstag noch nicht angenommen sei3, schlage er vor, die Einkommensteuervorauszahlung aus dem Plan herauszulassen und jetzt auf Grund von Artikel 48 nur folgende zwei Maßnahmen zu treffen:

3

Am 6. 12. findet im RT die 3. Beratung des Ermächtigungsgesetzes statt (RT-Bd. 361, S. 12337  ff.). Dabei beschließt der RT auf Antrag der DDP, des Zentrums und der DVP, die Schlußabstimmung auf den 8. 12. zu verschieben. In der namentlichen Schlußabstimmung am 8. 12. wird das Ermächtigungsgesetz mit 313 gegen 18 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen (RT-Bd. 361, S. 12375 , 12382  ff.). Danach vertagt sich der RT auf unbestimmte Zeit. Am 8.12.23 wird das Ermächtigungsgesetz verkündet (RGBl. I, S. 1179 ). Es lautet: „§ 1. Die Reichsregierung wird ermächtigt, die Maßnahmen zu treffen, die sie im Hinblick auf die Not von Volk und Reich für erforderlich und dringend erachtet. Eine Abweichung von den Vorschriften der Reichsverfassung ist nicht zulässig. Vor Erlaß der Verordnungen ist ein Ausschuß des Reichsrats und ein Ausschuß des Reichstags von 15 Mitgliedern in vertraulicher Beratung zu hören. – Die erlassenen Verordnungen sind dem Reichstag und dem Reichsrat unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Sie sind aufzuheben, wenn der Reichstag oder der Reichsrat dies verlangt. Im Reichstag sind für das Aufhebungsverlangen zwei Lesungen erforderlich, zwischen denen ein Zeitraum von mindestens drei Tagen liegen muß. – Der im Abs. 1 genannte Ausschuß des Reichstags ist ebenso über Anträge zu Verordnungen auf Grund des Gesetzes vom 13. Oktober 1923 (RGBl. I S. 943 ) zu hören, soweit der Reichstag dies beschließt. § 2. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Es tritt am 15. Februar 1924 außer Kraft.“

1.

die Rhein-Ruhrabgabe in voller Höhe einzufordern,

2.

die Goldaufwertung der Umsatzsteuer zu verlangen4.

4

Am 7.12.23 wird die (1.) SteuerNotVO auf Grund Art. 48 RV erlassen. Sie bestimmt: 1. Die am 5.1.24 fällige 3. Rate der Rhein-Ruhrabgabe ist bereits am 18.12.23 zu entrichten, und zwar umgerechnet auf GM; 2. Die in den Monaten Dez. 1923 und Jan. 1924 fälligen Vorauszahlungen auf die Umsatzsteuer sind in GM zu berechnen (RGBl. I, S. 1177 ). S. hierzu Karl-Bernhard Netzband, Hans Peter Widmaier: Währungs- und Finanzpolitik der Ära Luther 1923 bis 1925, Tübingen 1964, S. 138–142.

Für diese beiden Maßnahmen sei ein Aufruf des Reichskabinetts nicht erforderlich. Es handele sich um Teilmaßnahmen, die in einer schlichten Regierungskundgebung bekanntgegeben werden könnten, auch empfehle sich eine entsprechende Notiz in der Presse5.

5

„Die Zeit“ vom 9. 12. führt die neue SteuerNotVO folgendermaßen ein: „Da das Ermächtigungsgesetz am Donnerstag [6. 12.] nicht verabschiedet war, konnte die RReg. mit einer Verordnung zur Erhebung von Steuern im Dezember nicht mehr zögern und hat deshalb unter Zurückstellung alles dessen, was nicht sofort entschieden werden mußte, zum Erlaß einer ersten Steuerverordnung auf dem Wege des Artikel 48 schreiten müssen. Wegen der vorgeschrittenen Inanspruchnahme der Rentenmarkkredite müssen noch unbedingt im Laufe des Monats Dezember größere Einnahmen aus Steuern dem Reiche zur Verfügung gestellt und die Vorbereitungen dazu mit größter Beschleunigung getroffen werden. Die RReg. muß erwarten, daß jedermann den Ernst der Lage erkennt und seinen steuerlichen Verpflichtungen nachkommt, auch da, wo die Steuer, wie das jetzt vielfach nicht zu vermeiden ist, die Gestalt eines Opfers annimmt. Die eingeleiteten Währungsmaßnahmen haben bereits den Erfolg gehabt, daß eine nicht unbedeutende Senkung der Preise eingetreten ist. Auch dies kann nur von Dauer sein, wenn das Reich schnell Mittel bekommt.“

[47] Der Reichsarbeitsminister stimmte grundsätzlich dem Vorschlage des Reichsministers der Finanzen zu. Der ihm vom Reichsminister der Finanzen unterbreitete Entwurf eines Aufrufs6 lasse einen Appell an die Unternehmerschaft vermissen. Auch sonst hätte er noch einige Bedenken gegen die Fassung. Er bat dieserhalb um eine erneute kurze Besprechung.

6

In den Akten der Rkei nicht ermittelt.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte sich bereit, in Verbindung mit dem Reichsarbeitsminister und dem Reichswirtschaftsminister den Aufruf einer neuen Redigierung zu unterziehen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft betonte, daß zurzeit das Reich und die Länder in der Vermögensbesteuerung sich den Rang abliefen. Er warnte in dieser Beziehung vor Übertreibung. Das Reich müsse auf die Länder mäßigend einwirken. Er bat, bei der Formulierung des Aufrufs beteiligt zu werden.

Der Reichsminister der Finanzen ist davon überzeugt, daß ein Rückgang der Produktion sich am meisten an der Landwirtschaft rächen würde. Die Landwirtschaft könne man jedoch bei den bevorstehenden Maßnahmen nicht ausnehmen. Gegen eine Beteiligung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft habe er keine Bedenken. Die Lage des Reiches sei derart kritisch, daß morgen bereits an mehreren Stellen Zahlungsstockungen befürchtet würden.

Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß das Handwerk zum Teil nicht mehr in der Lage sei, Steuern zu tragen. Eine Verdoppelung der Lasten würde einen Zusammenbruch zur Folge haben. Er wäre dem Reichsminister der Finanzen dankbar, wenn hier Erleichterung geschaffen werden könnte. Auch für die bayerische Landwirtschaft sei die Belastung zum Teil unerträglich. Die Presse müßte auf alle Fälle beruhigend wirken.

Der Reichsminister der Finanzen stimmte diesen letzten Ausführungen zu. Im übrigen seien bei diesem gewaltigen Opfer aus dem Vermögen Ausnahmen nicht möglich.

Im Anschluß daran bat der Reichsminister der Finanzen anläßlich verschiedener Einzelfälle um Unterstützung der Herren Reichsminister in der viel umstrittenen Frage der Beamtenbesoldung7.

7

Zur Neuregelung der Beamtenbesoldung s. Dok. Nr. 15, P. 1.

Das Kabinett schloß sich seiner Auffassung an, die dahin ging, daß alles vermieden werden müsse, was in der Besoldungsfrage neue Schwierigkeiten hervorrufen könne und daß insbesondere das Vorgehen des Reichsministers der Finanzen unter allen Umständen nach außen hin von den übrigen Ressorts als unumgänglich notwendig und richtig dargestellt werden müsse.

Der Reichsverkehrsminister stellte noch die Frage, ob es sich nicht vermeiden lasse, gerade zu Weihnachten Kündigungen8 auszusprechen. Er habe in[48] seinem Ressort die Anweisung gegeben, daß den Angestellten des Rhein-Ruhr-Gebiets vor Weihnachten nicht gekündigt werde.

8

Es handelt sich um Entlassungen auf Grund der PersonalabbauVO vom 27.10.23 (RGBl. I, S. 999 ).

Der Vizekanzler befürwortete auch eine Schonung der Ausgewiesenen bei den bevorstehenden Kündigungen.

Der Reichsverkehrsminister gab die Erklärung ab, daß er für seinen Bereich folgende Anordnungen getroffen habe: Zunächst würden die Ausgewiesenen überhaupt nicht abgebaut. Von den Zurückgebliebenen würde versucht, diejenigen, die dem Abbau verfielen, durch besondere Maßnahmen zu veranlassen, im besetzten Gebiet zu verbleiben. Diese besondere Maßnahme müsse er noch mit dem Reichsminister der Finanzen näher besprechen.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte sich hierzu bereit.

Das Kabinett beschloß entsprechend dem Antrage des Reichsministers der Finanzen.

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