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5. Reparationsfragen.
Der Reichskanzler berichtete, daß der Reichsbankpräsident bereits während der Baden-Badener Verhandlungen über die Organisation der Bank für[1308] Internationalen Zahlungsausgleich brieflich zum Ausdruck gebracht habe, daß er seine aktive Mitwirkung auf der kommenden Schlußkonferenz mit den Gläubigermächten für notwendig halte. Er habe Dr. Schacht darauf in gleichem Sinne geantwortet, ohne damit aber einer Beschlußfassung des Reichskabinetts vorzugreifen, und er stehe auch jetzt auf dem Standpunkt, daß auf die Mitwirkung des Reichsbankpräsidenten auf der Haager Schlußkonferenz nicht verzichtet werden könne. Jetzt müsse eine endgültige Entscheidung in der Sache getroffen werden. Die von Dr. Schacht in seinem bekannten öffentlichen Memorandum geäußerten reparationspolitischen Bedenken und seine kritische Einstellung zu dem Polenvertrage stehe dem nicht entgegen, daß die Reichsregierung mit ihm zu einer Einigung über den auf der Haager Konferenz einzunehmenden gemeinsamen Standpunkt komme. Nach seiner Meinung müsse das Kabinett sich schon heute über einen Termin zu einer gemeinsamen Aussprache mit Schacht schlüssig werden.
Der Reichsminister des Auswärtigen trug vor, daß er schon seit langem der Auffassung sei, daß der Reichsbankpräsident der Deutschen Delegation für den Haag als Hauptdelegierter angehören müsse. Er halte es auch trotz der bisherigen öffentlichen Kritik Dr. Schachts an der Reparationspolitik der Reichsregierung für möglich, ihn dahin zu bringen, daß er an einem positiven Abschluß der Haager Konferenz mitwirke. Es sei nötig, daß das Kabinett schon heute grundsätzlich dahin beschließe, daß Dr. Schacht Hauptdelegierter werde, und daß der Reichskanzler Dr. Schacht von diesem Beschluß in Kenntnis setze, vorbehaltlich der mit ihm noch herbeizuführenden Verständigung über den im Haag zu vertretenden deutschen Standpunkt. Schacht müsse sofort in den Besitz des Protokolls der Brüsseler Juristenkonferenz gesetzt werden, und dann müsse das Kabinett gemeinsam mit ihm weiter beraten.
Anschließend bemerkte der Reichsminister des Auswärtigen, daß er es für eine große Erleichterung der Arbeit der zu bildenden deutschen Delegation für den Haag halte, wenn der Reichskanzler sich entschließen könnte, die Führung der Deutschen Delegation zu übernehmen.
Der Reichskanzler erwiderte, daß er die Dinge so beurteile, daß es wünschenswerter sei, wenn er nicht mit nach dem Haag gehe, vielmehr hier zurückbleibe, um für den Fall, daß es im Haag bei den Auseinandersetzungen über die dort im Vordergrunde der Verhandlungen stehenden finanziellen und politischen Fragen zu Schwierigkeiten kommen sollte, von hier ausgleichende Aktionen in Gang zu setzen.
Der Reichsminister für die besetzten Gebiete hielt es für richtiger, vor einem grundsätzlichen Beschluß über die Ernennung des Reichsbankpräsidenten zum Hauptdelegierten eine sachliche Einigung mit ihm herbeizuführen. Er schlug vor, den Reichsbankpräsidenten zunächst zu bitten, gemeinsam mit dem Reichskabinett über das Juristenprotokoll zu sprechen und dabei erkennen zu lassen, daß im Anschluß an diese Besprechungen an seine Ernennung zum Hauptdelegierten gedacht sei.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft meinte, daß dem Reichsbankpräsidenten schon jetzt ganz deutlich gesagt werden müsse, daß das Reichskabinett entschlossen sei, ihn zum Hauptdelegierten zu ernennen. Die[1309] Hauptsache sei, daß Dr. Schacht für die kommenden Verhandlungen mit verantwortlich gemacht werde.
Der Reichsarbeitsminister sprach den Wunsch aus, daß das Juristenprotokoll allen Mitgliedern des Reichskabinetts baldigst zugängig gemacht werde.
Der Reichskanzler erwiderte, daß selbstverständlich das Gesamtkabinett zum materiellen Teil der Reparationsfragen gehört werden würde. Er regte an, daß am Vormittag, dem 27. Dezember, eine Vorbesprechung der Reparationsminister stattfinden solle und daß sich am Nachmittag des gleichen Tages eine Ministerbesprechung unter Zuziehung des Reichsbankpräsidenten sich anschließen solle.
Auch der Reichsjustizminister sprach sich für eine Beteiligung des Reichsbankpräsidenten an der Deutschen Delegation aus.
Mit dem Vorschlage des Reichskanzlers für die Weiterbehandlung der Angelegenheit am 27. Dezember war das Kabinett einverstanden10.
Anschließend brachte der Reichsverkehrsminister die Behandlung der Reichsbahnfrage auf der kommenden Haager Konferenz zur Sprache. Er erinnerte daran, daß er vor Beginn der Arbeiten des Organisationskomitees für die Reichsbahn gewisse Mindestforderungen aufgestellt habe, von deren Erreichung er seine weitere Mitwirkung zur Sache abhängig gemacht habe. Diese Mindestforderungen seien nach seiner Meinung erreicht. Nunmehr stehe er aber vor der Tatsache, daß von anderer Seite weitergehende Wünsche und Forderungen an ihn herangebracht seien, die über das bisher Erreichte hinaus auf der Haager Konferenz vertreten werden sollten. Es handele sich
1. | um einen Brief des Reichsministers des Innern an ihn, der gewisse Beamtenwünsche enthalte11, |
2. | um einen den Reichsministern bekannten Brief des Fraktionsführers der Demokraten Dr. Haas, der gleichfalls in erster Linie Beamtenwünsche enthalte12 und |
3. | eine vom Reichstag in diesen Tagen angenommene Entschließung – Nr. 1536 –13. |
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In R 43 I nicht ermittelt.
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Siehe Dok. Nr. 366.
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In dieser Entschließung wurde die RReg. aufgefordert, auf einen stärkeren Einfluß der RReg. auf die RB und auf die Gleichstellung der RB- mit den Reichsbeamten hinzuwirken. Ferner sollte die RReg. anstreben, daß sie in beamtenrechtlichen Streitfragen die Entscheidung erhalte, daß die Zahl der leitenden Beamten vermindert und die Leistungszulagen beseitigt würden und daß die Gewerbeordnung auf die RB und ihre Betriebe übernommen werde (RT-Bd. 438). Die Entschließung war am 20. 12. angenommen worden (RT-Bd. 426, S. 3753 f.).
Diesen Wünschen gegenüber habe er bisher den Standpunkt vertreten, daß ihre Vertretung im Haag nicht nur aussichtslos sei, vielmehr die Gefahr in sich berge, daß das, was bisher erreicht sei, nachträglich rückgängig gemacht werde14.
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Da die Gläubigermächte in der Privatisierung der RB eine Sicherung für die 660 Mio RM sahen, die von der RB für den Young-Plan aufzubringen waren, „war es nicht möglich, in den Pariser Verhandlungen von den fremdländischen Mitgliedern des Organisationskomitees weitergehende Konzessionen als die tatsächlich erzielten zu erreichen. Angesichts der angeführten Bestimmungen des Young-Plans ist es auch nicht wahrscheinlich, daß auf der bevorstehenden Konferenz noch weitergehende Einschränkungen der Selbständigkeit der Deutschen RB-Gesellschaft durchgesetzt werden können. Es besteht vielmehr die Gefahr, daß ein solcher Versuch die Gläubigermächte veranlassen könnte, ihre Konzessionen, die im Organisationskomitee von ihren Vertretern gemacht worden sind, wieder rückgängig zu machen.“ Weitere Versuche der RReg. im Haag seien aussichtslos und würden das Erreichte gefährden (nicht abgesandtes Schreiben des RK an Haas, von dem RVM entworfen und der Rkei am 28. 12. zugesandt; R 43 I/1051, Bl. 401-403, hier: Bl. 401-403).
[1310] In der nachfolgenden Aussprache kam das Kabinett zu dem Ergebnis, daß es in erster Linie dem Herrn Reichsverkehrsminister überlassen werden müsse, zu beurteilen, ob er für die Haager Konferenz besondere Wünsche zur Eisenbahnfrage anmelden wolle. Wenn der Reichsverkehrsminister auf Grund der von ihm vorgenommenen Prüfung aller einschlägigen Verhältnisse zu dem Ergebnis kommen sollte, daß hinsichtlich der Reichsbahn im Haag besondere Wünsche nicht vertreten werden sollen, wird das Gesamtkabinett diese Entscheidung des Reichsverkehrsministers decken.