2.126.2 (mu21p): 2. Aufhebung von Verordnungen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung.

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2. Aufhebung von Verordnungen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung.

Die Erörterung der beiden Punkte wurde verbunden.

Der Reichsminister des Innern trug den Sachverhalt vor. Er schlug vor, unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrages des Reichsministers der Justiz auf den von den Abgeordneten Everling, Graf Westarp und Genossen eingebrachten Antrag – Reichstagsdrucks. IV. Wahlperiode Nr. 613 –2 einer Erklärung etwa folgenden Inhalts zuzustimmen:

„Die Reichsregierung prüft zur Zeit sämtliche noch in Kraft befindliche, auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung erlassenen Verordnungen daraufhin, ob sie dem Herrn Reichspräsidenten die Aufhebung aller dieser Verordnungen vorschlagen kann. Gegen den ersatzlosen Fortfall einiger in diesen Verordnungen enthaltenen Bestimmungen, zu denen auch die Bestimmung über die Steuersabotage in der Verordnung vom 15. September 1923 gehört, bestehen in den zuständigen Ressorts noch Bedenken. Die Verhandlungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen. Da beabsichtigt ist, die Aufhebung aller noch bestehenden Verordnungen dieser Art gleichzeitig auszusprechen, erscheint es zweckmäßig, daß zunächst die von der Reichsregierung in Angriff genommene Prüfung der Gesamtbereinigung dieser Frage abgeschlossen und nicht eine einzelne Verordnung herausgegriffen wird. Die Reichsregierung bittet daher, den vorliegenden Antrag abzulehnen.“

Der Reichswirtschaftsminister sprach sich gegen einen grundsätzlichen Beschluß des Reichskabinetts aus, dem Herrn Reichspräsidenten die Aufhebung[431] sämtlicher auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung erlassenen Verordnungen vorzuschlagen. Erst müsse in Ressortbesprechungen die Frage geklärt werden, für welche Verordnungen Ersatz geschaffen werden solle. Vor allem gegen die Aufhebung der Stillegungsverordnung seien nicht nur aus Kreisen der Wirtschaft, sondern auch von verschiedenen Ländern schwerwiegende Bedenken geäußert worden. Es sei jedenfalls am besten, zunächst die Verabschiedung des Strafgesetzentwurfs abzuwarten, der in gewisser Beziehung Ersatz schaffen werde3.

Der Reichskanzler sprach sich für Aufhebung der auf Grund des Artikels 48 erlassenen Verordnungen aus. Aus rechtlichen Gründen sei es nicht zu verantworten, die Verordnungen noch länger bestehen zu lassen.

Der Reichsminister des Innern äußerte sich in demselben Sinne.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß die sogenannte Steuersabotage-Bestimmung für ihn von entscheidender Bedeutung sei. Hierfür müsse er bei Aufhebung der Verordnung vom 15. September 1923 einen entsprechenden Ersatz verlangen.

Der Reichsminister der Justiz wies darauf hin, daß mit der Verabschiedung des Entwurfs des Strafgesetz-Buches noch nicht so bald zu rechnen sei. Es sei daher besser, einen etwa erforderlichen Ersatz der Steuersabotage-Bestimmung in einem besonderen Gesetz, beziehungsweise in einer Verordnung, zu schaffen, und die Verabschiedung des Strafgesetz-Entwurfs nicht abzuwarten.

Staatssekretär Dr. Weismann führte aus, daß die preußische Regierung es dankbar begrüßen werde, wenn sämtliche auf Grund des Artikels 48 erlassenen Verordnungen aufgehoben würden.

Das Reichskabinett faßte folgenden Beschluß:

zu 1. Verordnung des Reichspräsidenten zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 15. September 1923

dem Reichsminister des Innern zu empfehlen, die von ihm entworfene Erklärung wie folgt zu fassen:

„Die Reichsregierung ist grundsätzlich bereit, dem Herrn Reichspräsidenten zu empfehlen, sämtlich noch in Kraft befindlichen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung erlassenen Verordnungen aufzuheben. Gegen den ersatzlosen Fortfall einiger in diesen Verordnungen enthaltenen Bestimmungen, zu denen auch die Bestimmung über die Steuersabotage in der Verordnung vom 15. September 1923 gehört, bestehen bei den zuständigen Ressorts noch Bedenken. Die Reichsregierung prüft zur Zeit, wie durch den Erlaß gesetzlicher Bestimmungen oder durch andere geeignete Maßnahmen diesen Bedenken Rechnung getragen werden kann. Die Verhandlungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen. Da beabsichtigt ist, die Aufhebung aller noch bestehenden Verordnungen[432] dieser Art gleichzeitig auszusprechen, erscheint es zweckmäßig, daß zunächst die von der Reichsregierung in Angriff genommene Prüfung der Gesamtbereinigung dieser Frage abgeschlossen und nicht eine einzelne Verordnung herausgegriffen wird. Die Reichsregierung bittet daher, den vorliegenden Antrag abzulehnen4.“

zu 2. Aufhebung von Verordnungen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung

demnach dem Herrn Reichspräsidenten die Aufhebung sämtlicher auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung erlassenen Verordnungen vorzuschlagen, wenn geprüft worden ist, inwieweit Lücken vorhanden sind, und dafür Vorsorge getroffen worden ist, daß Ersatz geschaffen wird. Ressortbesprechungen hierüber sollen alsbald stattfinden5.

Fußnoten

2

Siehe RT-Bd. 431 . – Die DNVP hatte verlangt, daß die VO vom 15.9.23 (Nichterfüllung der Steuerpflicht, Zurückhaltung von Lebens- und Futtermitteln) aufgehoben werde. Nach Ansicht des RFM war jedoch die VO erst dann aufzuheben, wenn der Absatz über Steuersabotage durch § 170 des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs ersetzt worden sei (Kabinettsvorlage des RIM vom 30.1.29; R 43 I /2701 , Bl. 140 f.).

3

Vgl. hierzu Anm. 16 zu Dok. Nr. 14. – Im Gegensatz zum RWiM hatte der RIM die Ansicht vertreten, daß zunächst die VO auf Grund Art. 48 RV aufzuheben seien und dann die Gesetzgebung geprüft werden müsse (Schreiben des RWiM vom 6.10.28; R 43 I /2701 , Bl. 125 f.). In seiner Kabinettsvorlage hatte der RIM mitgeteilt, daß er wie mehrere Ressorts und Länder sich gegen einen ersatzlosen Fortfall der VO wende. Die Angelegenheit sei nur durch einen Kabinettsbeschluß darüber zu klären, unter welchen Voraussetzungen dem RPräs. die Aufhebung der VO vorzuschlagen sei. Danach solle geprüft werden, wie die Lücken der Gesetzgebung geschlossen werden könnten (Kabinettsvorlage vom 29.1.29; R 43 I /2701 , Bl. 142).

4

Der Beschluß ging zunächst dahin, „dem RIM zu empfehlen, in die von ihm entworfene Erklärung folgenden ersten Satz an Stelle des von ihm verlesenen Satzes aufzunehmen: ‚Die RReg. ist grundsätzlich bereit, dem Herrn RPräs. die Aufhebung sämtlicher auf Grund des Artikels 48 der RV erlassenen VO vorzuschlagen, wenn geprüft worden ist, inwieweit Lücken vorhanden sind und dafür Vorsorge getroffen worden ist, daß Ersatz geschaffen wird.‘“ Die endgültige Fassung wurde auf Antrag des RIM vom 27. 2. am 16. 3. in das Protokoll eingesetzt (R 43 I /2701 , Bl. 158 f.). – Der Antrag der DNVP wurde anläßlich der Beratungen des Haushalts für das RIMin. an den Volkswirtschaftlichen Ausschuß überwiesen (12.6.29; RT-Bd. 425, S. 2335 ).

5

Der RIM übersandte einen Entwurf eines Überleitungsgesetzes und den VOEntw. zur Aufhebung der fortfallenden VO am 17.8.29 (R 43 I /2701 , Bl. 185-199). Wegen der Inanspruchnahme des RWiM durch den Young-Plan wurde die Behandlung der Entwürfe zurückgestellt und erst im Mai 1930 wieder aufgenommen (R 43 I /2701 , Bl. 205-212).

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