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Gegenstand: Besitzerfassung.
Gegenstand der Besprechung waren die von dem Reichswirtschaftsministerium und Reichsfinanzministerium ausgearbeiteten Steuerprojekte1.
Reichsminister Bauer hielt es für unmöglich, im Kabinett über die Projekte heute eine Entscheidung zu treffen. Die Frage, durch welche gesetzlichen Maßnahmen der Besitz zu erfassen sei, müsse zurückgestellt werden, weil ihre Erörterung zu einer Gefährdung der jetzigen Koalition führen könne. Er schlug vor, sich heute nur auf eine Aussprache zur gegenseitigen Information zu beschränken und danach die Besprechung mit der Steuerkommission des Reichstags fortzusetzen.
Reichsminister Dr. Gradnauer schließt sich dieser Ansicht an, soweit die heutige Besprechung in Frage kommt, doch ist er mit dem Reichskanzler der Meinung, daß das Kabinett mit einem bestimmten Plane an die Steuerkommission[117] herantreten müsse. Für die im Reichstag abzugebende Erklärung2 sei dagegen eine vollständige Erledigung der Frage nicht erforderlich. Es müsse genügen, wenn eine allgemeine Bemerkung des Inhalts gemacht würde, daß eine Besitzsteuer unumgänglich sei und verschiedene Pläne der Erfassung des Besitzes zur Erörterung ständen.
Reichsminister Dr. Rathenau stimmte dem zu. Auf die Denkschrift des Reichsfinanzministeriums3 eingehend, betont er, daß ihr stärkster Gedanke die Erfassung der nach dem 1. Januar 1919 gemachten Gewinne sei. Um diesen Zweck aber noch vollkommener zu erreichen, stellt er zur Erwägung, ob es nicht zweckmäßig sei, die erste dreijährige Periode durch eine Art Vermögenszuwachssteuer besonders stark zu erfassen. Man würde bei dieser Regelung gewissermaßen zwei Arten des Notopfers haben: das alte Notopfer bis zum 30. Dezember 1919 laufend und von da ab beginnend ein neues Notopfer, das die Revolutionsgewinne (Substanz und Wertvermehrung) treffen würde. Der Revolutionsgewinn würde in der Differenz zwischen dem gemeinen Wert am 30. Dezember 1919 und dem jetzigen Werte bestehen, allerdings unter Zubilligung eines Abzuges mit Rücksicht auf die inzwischen eingetretene Teuerung.
Der Reichskanzler erblickt die größte Schwierigkeit in dem Vorschlag des Reichsministers Dr. Rathenau in der Aufgabe, das richtige Verhältnis zwischen den beiden Vermögenswerten, die als Grundlage der Besteuerung dienen sollen, zu finden.
Staatssekretär Dr. Hirsch spricht sich dafür aus, den Vorschlag des Reichsministers Dr. Rathenau näher nachzuprüfen. Er hat Bedenken gegen die Erfassung des Vermögenszuwachses in der vorgeschlagenen Form, weil sie zur Verschwendung führe, während der Sparbetrieb angeregt werden müsse. Er betont, auf die Denkschrift des Reichswirtschaftsministeriums eingehend4, daß ein Eingriff in die Substanz unerläßlich sei. Wenn wir uns zu ihm nicht entschließen könnten, würde uns die Entente dazu zwingen, und die Folge würde eine unorganische Abtrennung von Substanzteilen aus den Wirtschaftsgebilden sein. Ein Eingriff in die Substanz sei auch das einzige Mittel, das zur Festigung unseres inneren Etats führen und den Notenumlauf verringern könne. Eine Abwälzung der Last sei dabei bei all denjenigen Industrien nicht möglich, die sich den Weltmarktpreisen angenähert hätten5.
[118] Staatssekretär Zapf ist gegen die vom Reichswirtschaftsministerium vorgeschlagene „Goldhypothek“ und meint, daß eine Abwälzung versucht werden würde. Wo sie aber nicht möglich sei, würde es zur Verminderung der Arbeitslust kommen. Eine Goldhypothek böte auch vom verwaltungstechnischen Standpunkt große Schwierigkeiten.
Der Reichskanzler weist auf die politischen Schwierigkeiten hin, die ein Einbringen der Pläne des Reichswirtschaftsministeriums zur Folge haben müsse. Namentlich würde es schwierig sein, die Landwirtschaft hypothekarisch zu fassen. Eine Belastung der drei Gruppen6 gleichzeitig durchzuführen, sei politisch ganz ausgeschlossen. Wenn man aber mal versuchen sollte, eine der drei Gruppen allein in der von dem Reichswirtschaftsministerium vorgeschlagenen Weise zu besteuern, so schlüge er vor, mit der Industrie den Anfang zu machen. Auf Befragen stimmt Reichsminister Dr. Rathenau der Ansicht des Reichskanzlers zu. Er meint, daß ein Herausgreifen einer der drei Gruppen unmöglich sei. Er schlägt jedoch vor, die Frage in der Steuerkommission zur Diskussion zu stellen. Zur Sache führt er aus, daß es nach seiner Ansicht nicht wünschenswert sei, daß der Staat große Substanzmengen in die Hand bekommt. Die Entente würde die Möglichkeit des Zugriffs haben, und der Staat anderseits käme in die Versuchung, die ihm ausgeantworteten Kapitalien unzweckmäßig zu verwerten. Die Durchführung des Planes des Reichswirtschaftsministeriums bedeute den Anfang einer Sozialisierung; Experimente gestatte aber die gegenwärtige Wirtschaftslage nicht7.
Das Kabinett beschloß: Das Reichsfinanzministerium soll den vom Reichsminister Dr. Rathenau vorgeschlagenen Plan der steuerlichen Erfassung der sogenannten Nachkriegsgewinne auf seine wirtschaftliche und technische Durchführbarkeit hin prüfen und dann je nach dem Ergebnis der Prüfung und nach weiterer Besprechung mit Reichsminister Dr. Rathenau eine entsprechende Vorlage anstelle der jetzt vorgelegten oder zur Wahl neben ihr dem Kabinett unterbreiten8.
Um die Pläne des Reichswirtschaftsministeriums, insbesondere die Frage der Beteiligung an gewerblichen Unternehmungen weiter durchzuarbeiten, soll in der Reichskanzlei eine Unterkommission aus den Staatssekretären des Reichswirtschaftsministeriums und des Reichsfinanzministeriums mit dem Reichsminister Dr. Rathenau zusammentreten, der vom Reichsjustizministerium eine für die rechtliche Durcharbeitung geeignete Kraft zur Verfügung gestellt werden[119] soll. Die Kommission soll insbesondere auch die Frage des Zugriffs der Entente weiter klären. Das Reichswirtschaftsministerium wird ersucht, auf Grund dieser Beratungen ausgearbeitete Entwürfe für die weitere Beratung des Kabinetts vorzulegen9.
Fußnoten
- 2
Die Erklärung des RK zu den Steuerplänen seiner Regierung vom 6.7.21 siehe RTBd. 350, S. 4467 ff.
- 4
Mit seiner Denkschrift vom 27.6.21 „Die Belastung der Sachwerte als Teil des Reparationsprogramms“ geht der RWiM auf den bereits in seiner früheren Denkschrift (siehe Dok. Nr. 6) vertretenen Gedanken zurück, den Besitz, d. h. ländlichen und städtischen Grundbesitz, Industrie- und Bankkapital zugunsten eines Reparationsfonds des Reiches mit 20% teilweise zu enteignen; diese Maßnahme wollte er mit der durch die Inflation eingetretenen Wertsteigerung dieser „Sachwerte“ begründen (R 43 I/20, Bl. 355-360, 108-117; abgedr. in Hirsch, Währungsfrage, S. 58 ff).
- 5
Der RWiM hatte sich in seiner Denschrift „Die Belastung der Sachwerte als Teil des Reparationsprogramms“ wie folgt mit der „Veredelung des Reichsnotopfers“ auseinandergesetzt: „Die Deckung durch eine Wiederholung des Reichsnotopfers ist nicht möglich, weil a) der Ertrag bei weitem nicht reicht, b) wenn man die Last auf das Gesamtvermögen des Zensiten abstellt, die Folgen des ersten Reichsnotopfers in verstärktem Maße wieder eintreten, nämlich Flucht ins Ausland, dazu Flucht in die Goldbonds der Entente; c) bei starker Progression eine bedenkliche Hemmung des Spartriebes eintritt; d) das Reichsnotopfer eine erneute Aushöhlung der Papierwerte zur Folge hat. Die Inhaber der Papierwerte sind in den verflossenen Jahren die hauptsächlichen Träger der Vermögensbelastung gewesen, während die Besitzer der Produktionsmittel sich in der Preisentwicklung weitgehend von den Lasten befreien konnten; e) seine Durchsetzung schließlich auch politisch vielleicht nicht viel leichter sein würde, als eine zweckmäßige Heranziehung der Sachwerte.“ (R 43 I/20, Bl. 343-353, hier: Bl. 352).