Text
Nr. 73
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 28. Januar 19331
[Ausschaltung des Reichstags2.]
In einem Teil der Presse, in öffentlichen Versammlungen und dergleichen wird öffentlich zum Hochverrat aufgefordert3, ohne daß, soweit hier bekannt, die zuständigen Stellen gegen diese durch § 85 des Strafgesetzbuches mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bedrohten Handlungen4 einschreiten. Der Preußischen Staatsregierung ist durch die geltenden Ausnahmevorschriften die Möglichkeit genommen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Sie weist die Reichsregierung und den Reichskommissar dringend auf diese Notwendigkeit hin.
Nach § 81 des Strafgesetzbuches wird wegen Hochverrats bestraft, wer es unternimmt, die Verfassung des Deutschen Reichs oder eines deutschen Landes[312] gewaltsam zu ändern. Durch diese Vorschrift sind nach der Rechtslehre und Gerichtspraxis gegen gewaltsame Eingriffe geschützt „die Rechte derjenigen Gewalten, durch deren Willensäußerung das Staatsleben bestimmt wird“, in erster Linie „der Reichstag als das höchste Organ des Reiches und als Repräsentant des einheitlichen deutschen Volkes, von dem die gesamte Staatsgewalt jetzt ausgeht“ (Kommentar von Ebermayer, Lobe und Rosenberg zum Strafgesetzbuch § 81 Anmerkung 4 und dort Zitierte). In Art. 23 der Reichsverfassung sind die Fristen, innerhalb deren der Reichstag im Falle der Auflösung wieder zusammentreten muß5, genau festgelegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, die in der Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober 1932 ausdrücklich bestätigt worden ist, kann der Reichspräsident auch auf Grund des Art. 48 über derartige Vorschriften der Reichsverfassung nicht hinweggehen6. Die Berufung auf einen Staatsnotstand ist rechtlich unzulässig. Wenn öffentlich dazu aufgefordert wird, der Reichspräsident möchte den Reichstag nach Hause schicken und vorläufig nicht wieder zusammentreten lassen, so ist dies also eine Aufforderung zum Hochverrat. Solche Aufforderungen müssen vom ersten Augenblick an mit den vorgeschriebenen zulässigen polizeilichen und strafrechtlichen Mitteln unterdrückt werden, wenn nicht neue Verwirrung im Rechtsbewußtsein des Volkes die schwersten Folgen heraufbeschwören soll. Da die Preußische Regierung gehindert ist, die nötigen Schritte zu ergreifen, trifft die volle Verantwortung für diese Aufgabe die Reichsregierung und die Kommissare des Reichs.
Braun
Fußnoten
- 1
Das Schreiben ist an den RK „zugleich als Reichskommissar für das Land Preußen“ gerichtet. Es trägt lediglich einen Sichtvermerk des StSRkei Planck vom 30.1.1933. Veröffentlicht wird es in der Tagespresse (u. a. „Vorwärts“, Nr. 48 vom 28.1.1933; Teilabdrucke u. a. bei Fritz Poetzsch-Heffter: Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung. In: JböR 21 (1933/34), S. 142 sowie in: Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1948 b).
- 2
Zum tagespolitischen Zusammenhang s. Dok. Nr. 56 und 65. Braun hatte – nach eigenen Angaben – in seiner letzten persönlichen Aussprache mit RK v. Schleicher am 6. 1. die gleiche Thematik erörtert und dabei eine von dem vorliegenden Schreiben abweichende Haltung eingenommen (vgl. Dok. Nr. 42, Anm. 7).
- 3
Vgl. Dok. Nr. 60, Anm. 2.
- 4
§ 85 StGB lautet: „Wer öffentlich vor einer Menschenmenge oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder anderen Darstellungen zur Ausführung einer nach § 82 strafbaren Handlung [ein Unternehmen, durch welches das Verbrechen des Hochverrats vollendet wird] auffordert, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. […]“
- 5
Art. 23 RV lautet: „Der Reichstag wird auf vier Jahre gewählt. Spätestens am sechzigsten Tage nach ihrem Ablauf muß die Neuwahl stattfinden. Der Reichstag tritt zum ersten Male spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.“
- 6
In den dem Urteil zugrundeliegenden, am 25.10.1932 mündlich vorgetragenen Entscheidungsgründen heißt es dazu u. a.: „Die Maßnahmen aus Artikel 48 Abs. 2 müssen aber nicht nur dem Zwecke der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entsprechen, sondern sich auch in den unüberschreitbaren Grenzen halten, die sich aus dem Zusammenhang jener Vorschrift mit den anderen Bestimmungen der Reichsverfassung ergeben.“ Demnach sei der RPräs., „abgesehen von der ihm freigegebenen vorübergehenden Außerkraftsetzung von sieben Grundrechten“, an alle Vorschriften der RV gebunden, „die nicht lediglich die Zuständigkeiten des Reichs gegenüber den Ländern oder die Zuständigkeiten der verschiedenen Reichsorgane gegeneinander abgrenzen“. (R 43 I/2283, Bl. 455).