Text
1. Wirtschaftspolitische Maßnahmen (Wirtschaftskommission zur Begutachtung von Bankfragen).
Der Reichskanzler wies darauf hin, daß in den Vorbesprechungen der letzten Tage über die erforderlichen Wirtschaftsmaßnahmen ein Komitee von Sachverständigen vorgesehen worden sei, das zur Behebung der Schwierigkeiten mitwirken solle, die sich aus der Beteiligung des Reichs an verschiedenen Banken[1555] ergeben hätten2. Mit der Beteiligung an der Danatbank und der Dresdner Bank habe das Reich eine ganz neue außerordentliche Verantwortung übernommen, aus der sich der Zwang ergebe, sich über die ganze künftige Wirtschaftspolitik klar zu werden und bei den betreffenden Banken eine möglichst sorgfältige Kontrolle auszuüben. Die bisherigen Einblicke in die betreffenden Betriebe und deren Lage genügt noch keineswegs. Personelle Maßnahmen müßten baldigst getroffen werden. Es müsse verhindert werden, daß durch die Beteiligung des Reichs das Reich lediglich die Risiken trage, während andere die Erfolgsaussichten hätten. Die Größe der Aufgabe für das Reich dürfe nicht unterschätzt werden. Er sei sich auch klar über gewisse Bedenken, die der Beteiligung eines Sachverständigen-Komitees entgegenständen. Man müsse vielleicht, um Mißverständnissen in der Öffentlichkeit bezüglich der Stellung eines solchen Komitees zu verhüten, davon möglichst wenig Aufhebens machen und etwa bekanntgeben, daß die Reichsregierung mit der Reichsbank durch Zuziehung von Sachverständigen ein Komitee gebildet habe, das sich mit den Schwierigkeiten beschäftigen solle, die sich durch die Ereignisse der letzten Wochen bei den Banken, namentlich durch die Beteiligung des Reichs, ergeben hätten.
Als Mitglieder eines solchen Komitees habe er vorgesehen folgende Herren:
Dr. Schmitz von der IG Farben, für die Industrie,
v. Flemming, Landwirtschaftskammerpräsident für Pommern, für die Landwirtschaft,
Prof. Stein für die Genossenschaften,
Minister a. D. Hilferding als wissenschaftlichen Sachverständigen,
Reinhart, Direktor der Commerzbank als Kenner der allgemeinen Bankfragen,
Dernburg, ebenfalls als Banksachverständigen,
Hackelsberger,
Pferdmenges, als Kenner der westlichen Industrie und der Privatbanken.
Der Reichsfinanzminister würde als Vertreter des Reichskanzlers in dem Komitee mitzuwirken haben. Der Reichsbankpräsident würde ihm ebenfalls angehören, aber nicht etwa den Sachverständigen nur koordiniert.
Der Reichswehrminister äußerte Bedenken gegen die Bildung eines solchen Komitees. Die Zahl der Mitglieder scheine ihm zu hoch; es werde schwer zu schnellen Entscheidungen kommen können. Außerdem sei zu befürchten, daß die Öffentlichkeit die Bildung eines solchen Komitees lediglich als Verschleppung der Schwierigkeiten und nicht als Mittel zu deren Lösung ansehen werde.
Der Reichskanzler erklärte, das Komitee solle unter dem Vorsitz der Reichsregierung tagen, so daß Debatten jederzeit abgeschnitten werden könnten. Er denke bei dem ganzen Plan auch an die Erörterung der Vorgänge der letzten Wochen im Reichstag, die im Oktober vielleicht zu erwarten wäre. Für[1556] diesen Fall scheine ihm zweckmäßig, weitere Kreise bei den zu treffenden Maßnahmen zu beteiligen.
Der Reichspostminister meinte, es sei unklar, welche Aufgaben das Komitee haben solle. Die Lage der Reichsregierung nach der Beteiligung an den Banken scheine ihm außerordentlich schwierig. Man stehe vor sehr weittragenden Entschließungen. Er habe große Sorge, ob diese Beteiligungen den Übergang zu weiteren Sozialisierungen bilden sollten3. Seiner Ansicht nach müsse das Reich möglichst wieder aus den Bankenbeteiligungen herauskommen.
Der Reichskanzler erklärte, das sei auch sein Wunsch. Auch er sehe die Schwierigkeiten der Lösung aus den Verpflichtungen als sehr groß an. Deswegen scheine ihm ein Komitee nützlich, das beraten solle, ohne aber zu entscheiden.
Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg erklärte, es sei sehr verständlich, daß der Reichskanzler im Hinblick auf den Reichstag sich eine breitere Plattform für die Beratung bei den zu treffenden Wirtschaftsmaßnahmen schaffen wolle. Wenn es sich dabei um die Frage des Bankgewerbes, namentlich der künftigen Form der Banken und Sparkassen, handeln solle, scheine ihm aber erforderlich, daß noch besondere Fachleute zugezogen würden. In der Frage der künftigen Bankenverhältnisse in Deutschland sei er unbedingt für einen Abbau der Staatsbeteiligung und für eine Privatwirtschaft.
Der Reichspostminister erklärte sich mit dieser Stellungnahme sehr einverstanden und beruhigt.
Reichsminister TreviranusTreviranus teilte die Bedenken des Reichswehrministers, daß man in der Öffentlichkeit in einem besonderen Komitee nur einen Wechsel der Sachverständigen erblicken werde und daran schärfste Kritik fällen werde. Die Tätigkeit der Brauns-Kommission und deren Beurteilung mahne sehr zur Vorsicht4.
Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg ging näher ein auf den Umfang, in dem eine Reichsaufsicht bei den Banken in Frage kommen dürfte. Es könne sich nicht um eine Aufsicht über die einzelnen Geschäfte der Banken handeln. Es müsse vielmehr das große Ziel ins Auge gefaßt werden.
Der Reichsarbeitsminister meinte, die Bankenverhältnisse könnten schwerlich wieder auf den Stand vom 12. Juli zurückgeschraubt werden. Die Rückbildung der letzten Entwicklung werde sehr schwer sein.
Der Reichswehrminister faßte seine Bedenken gegen ein Komitee nochmals zusammen und meinte, die ganzen Schwierigkeiten seien eine Frage der Persönlichkeiten. Ihm scheine es im Augenblick darauf anzukommen, daß möglichst bald in den Aufsichtsrat und den Vorstand der betreffenden Banken sachverständige Persönlichkeiten hineingesetzt würden. Damit würde mehr erreicht als mit langwierigen Erörterungen einer Kommission.
Der Reichsminister der Finanzen hielt eine Sachverständigen-Beratung der Reichsregierung gleichwohl nicht für entbehrlich und schlug außer den vom[1557] Reich vorgesehenen Mitgliedern der Kommission noch Professor Adolf Weber als Wissenschaftler vor.
Der Reichskanzler erklärte sich damit einverstanden, daß davon abgesehen werde, ein besonderes Komitee zu bilden. Es genüge ihm, wenn der Kreis der bisher von der Reichsregierung und der Reichsbank zugezogenen Sachverständigen erweitert werde. Mit einer Erweiterung der von ihm genannten Liste durch den Professor Adolf Weber sei er einverstanden.
Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg wies auf das Beispiel der Tschechoslowakei hin, wo zur Aufbringung besonderer Mittel ein Promille-Satz der Kreditzinsen von den Depositen der Geldinstitute erhoben worden sei. Ein solcher Plan ließe sich auch in Deutschland prüfen, um Mittel aufzubringen, um die Beteiligung des Reichs an den Banken abzubauen. Die bisherigen Verpflichtungen könnten dann dahin aufgefaßt werden, daß sie lediglich als „Vorleistungen für Privatwirtschaft“ eingegangen wären. Bei einem solchen Plan könnte die vorgesehene Kommission ebenfalls mitberaten.
Der Reichskanzler schloß die Erörterung und kündigte an, daß der Wirtschaftsausschuß der Reichsregierung unter Zuziehung der Sachverständigen in der nächsten Woche sich mit den Fragen weiter befassen müsse. Die erste Sitzung solle Dienstag Vormittag um 11 Uhr beginnen5. Am Mittwoch müßte sich dann das Kabinett mit den Fragen weiter beschäftigen6.
Fußnoten
- 2
Vgl. die Anregungen Silverbergs und Hilferdings zur Bildung einer Sachverständigenkommission in Dok. Nr. 427.
- 4
Vgl. die Kritik von Treviranus an der Tätigkeit der „Gutachterkommission zur Arbeitslosenfrage“ in Dok. Nr. 272, P. 1.
- 5
S. Dok. Nr. 449.
- 6
StS Schäffer notierte in seinem Tagebuch über den Vorschlag des RK, eine Sachverständigenkommission zu bilden: „Ich habe bei all dem das Gefühl eines unheimlichen Dilettantismus und deute das auch an. Der Kanzler spricht mit einer Unmenge, teilweise ganz ungeeigneter, Menschen und läßt sich von diesen irgendwelche Dinge erzählen“ (IfZ ED 93, Bd. 13, Bl. 624).