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6. [Verhandlungen in Posen]
Reichsminister Erzberger berichtete über den Stand der Verhandlungen in Posen, insbesondere über die Frage, ob in den bestehenden Differenzen der deutsche Standpunkt auf die Gefahr des Abbruchs der Verhandlungen unbedingt festgehalten werden solle. Die wichtigste Differenz – Stellung der Feldartillerie 10 km hinter der Front – sei nicht so schwerwiegend, um diese Gefahr einzugehen. Der Abbruch könne auf die gegenwärtigen Verhandlungen in Paris ungünstig einwirken. –
Nach langer Aussprache wurde allseitig zugestimmt, daß ein Scheitern der Verhandlungen vermieden werden müsse6.
Fußnoten
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Am 16.3.1919 hatte Gen. Dommes, der Vertreter der OHL bei den Verhandlungen in Posen (s. Dok. Nr. 7), an die OHL ein Fernschreiben gerichtet, das umgehend an RM Erzberger in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Wako weitergeleitet wurde. Danach hatte Dommes gefordert, daß an der Demarkationslinie in Posen die Artillerie nur auf 6 km zurückgezogen werden sollte. Die Ententevertreter erwiderten in ultimativer Form, daß die Feldartillerie auf 10 km, die schwere Artillerie auf 20 km zurückzuziehen sei; die dt. Forderung, daß an der Demarkationslinie 70 Batterien zugestanden werden sollten, wurde von der Entente abgelehnt; stattdessen wurden nur 10 Batterien zugestanden. Auch der dt. Vorschlag, Frankfurt statt Posen zur Weiterführung der Verhandlungen zu wählen, stieß bei den interall. Vertretern auf Ablehnung. Darüber hinaus war es zu Streitigkeiten innerhalb der dt. Delegation gekommen, da der Vorsitzende Frhr. v. Rechenberg im Gegensatz zu Gen. Dommes den Ententeforderungen weitgehend zugestimmt hatte. Dem Schreiben fügte Groener hinzu: „[…] Es ist nach meiner festen Überzeugung die absolut durchsichtige Absicht der Franzosen, durch ihr Vorgehen bei den Posener Waffenstillstandsverhandlungen nicht nur die Provinz Posen vollkommen unter poln. Gewalt zu bringen, sondern auch die poln. Aspirationen auf Danzig und Westpreußen mit allen Mitteln zu fördern. Geben wir jetzt nach, so verschlechtern wir aber auch die Stellung unserer Unterhändler auf der Friedenskonferenz. Wir müssen daher nachdrücklichst auf unserem Standpunkt verharren und dürfen auch den Abbruch der Verhandlungen nicht scheuen, denn nicht wir, sondern die Polen haben diesen Abbruch zu fürchten.“ (BA-MA, N 46/130). Zu der Frage der Artillerie an der Demarkationslinie notierte Oberst v. Thaer, Divisionskommandeur in der Gegend von Schneidemühl: „Der Hauptstreitpunkt ist augenblicklich, daß wir alle unsere Artillerie auf 20 km hinter die Front ziehen sollen. Greifen die Polen uns dann an, so nehmen sie – vielleicht – wahrscheinlich sogar – unserer schlappen Infanterie alles ab. Sie begründen es damit, daß unsere Artillerie immer wieder schösse. Das mag vorkommen, geschieht aber doch nur in der Abwehr. – Ich fürchte, auf unserer Seite wird man auch das nachgeben. Das ist um so ungünstiger, da unsere Artillerie im allgemeinen ganz gut ist, und die Polen bisher fast keine haben.“ (Thaer, Albrecht v.: Generalstabsdienst an der Front und in der OHL. Aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen 1915–1919, Göttingen 1958, S. 305, Aufz. v. 8.3.1919).