Text
2. Rede des Reichskanzlers.
Im Anschluß an die Aussprache wurde der Entwurf der Rede des Herrn Reichskanzlers zur Debatte gestellt9.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft verlas eine Formulierung, die er für die Zinsfrage10 wünschte11.
Der Reichsbankpräsident führte hierzu aus, daß nach neuesten Nachrichten von der BIZ die Weitergewährung des Rediskontkredits an die Reichsbank12 in[460] Frage gestellt sei, der am 4. September abläuft. England und Frankreich hätten erklärt, bei der Unsicherheit der Verhältnisse in Deutschland trügen sie Bedenken, den Kredit zu verlängern. Dies insbesondere wegen
1. der Gefahr einer generellen Herabsetzung des Zinses,
2. des Planes einer Zwangsanleihe von 2 Milliarden,
3. der Möglichkeit einer Bewirtschaftung der Zinsen des Geldmarktes13.
Die Reichsbank wäre in der Lage, den Rediskontkredit zurückzuzahlen. Der Eindruck aber, den die Verminderung der Deckung um 360 Millionen auf die Bevölkerung machen würde, würde äußerst bedenklich sein14. Er schlug vor, die drei vom Ausland angegebenen Punkte an geeigneten Stellen der Rede zu widerlegen.
Dem widersprach der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft. Er hielt es nicht für möglich, darüber eingehende Ausführungen zu machen. Insbesondere könne nach seiner Auffassung nicht in Frage kommen, daß in der Rede erklärt werde, die Reichsregierung lehne den Gedanken einer generellen Zinssenkung ab. Die Landwirtschaft werde darauf bestehen, daß über diese Frage Klarheit geschaffen werde.
Der Reichswirtschaftsminister hielt dies auch für notwendig, falls die Zinsfrage überhaupt Erwähnung fände. Eine Umschuldung der eingefrorenen Kommunalschulden sei nur möglich, wenn die Gefahr einer generellen Zinssenkung beseitigt würde15.
[461] Staatssekretär Zweigert bat für den Herrn Reichsminister des Innern daß in der Rede die Pläne für eine Ertüchtigung der Jugend erwähnt werden möchten.
Der Reichskanzler schlug vor, die noch offenstehenden Formulierungen in einer anschließenden Besprechung der zuständigen Minister und des Reichsbankpräsidenten vorzunehmen16.
Fußnoten
- 9
Am Vormittag des 27. 8. hatte Planck „einen ersten Entwurf für die Rede des Herrn Reichskanzlers in Münster“ (28. 8. vor dem Westfälischen Bauernverein) an sämtl. Reichsminister sowie an Luther und Bracht übersandt und dazu im Begleitschreiben mitgeteilt, daß der RK „sich die endgültige Formulierung des Wortlauts persönlich vorbehalten möchte. Er bittet, in der für den heutigen Nachmittag vorgesehenen Ministerbesprechung lediglich Anregungen oder Änderungswünsche zu den einzelnen, die verschiedenen Ressorts interessierenden Sachpunkten vorbringen zu wollen.“ (R 43 I/1934, Bl. 184–200). Dieser „erste Entwurf“ wurde später mit zahlreichen Verbesserungen und Ergänzungen von der Hand des RK und des StSRkei versehen; sie sind alle in die Endfassung des Redemanuskripts (ebd., Bl. 205–222) übernommen worden. S. weiter Anm. 16.
- 12
Der ursprünglich 100 Mio Dollar (nach mehreren Teilrückzahlungen Mitte 1932 noch rd. 85 Mio Dollar) betragende Kredit war der Rbk im Juni 1931 zu gleichen Teilen von der Federal Reserve Bank New York, der Bank von England, der Bank von Frankreich und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ, Basel) zur Verfügung gestellt worden. Er diente zur formellen Verbesserung der dt. Notendeckung (Verwaltungsbericht der Reichsbank 1931, S. 9; einige Materialien hierzu in R 43 II/782).
- 13
RbkVPräs. Dreyse in einem „Aktenvermerk“ vom 27. 8. u. a.: GenDir. Hülse habe ihm am Vormittag des gleichen Tages telefonisch aus Basel mitgeteilt, daß, während die Bank von Frankreich sich in der Frage der Verlängerung des Rediskontkredits noch „durchaus unbestimmt“ verhalte, die Bank von England sehr starke Bedenken „gegen eine volle Erfüllung des Prolongationsantrags“ hege. „Man sei überhaupt in England zweifelhaft, ob die Kreditbeziehungen zu Deutschland aufrecht erhalten werden könnten. Wenn überhaupt, so würde die Verlängerung wohl nicht für drei Monate ausgesprochen werden.“ Auf Dreyses „erstaunte Frage, warum die Bank von England sich so reserviert zeige, wies Herr Hülse darauf hin, daß im Ausland Gerüchte kursierten über desorganisierende Absichten der gegenwärtigen Reichsregierung. Man spräche von einer Zwangsanleihe von 2 Milliarden, von einer generellen Herabsetzung der Couponzinsen, von einer Zwangsbewirtschaftung der Zinsen auf dem Geldmarkt usw.“ Er, Dreyse, habe daraufhin „Herrn Hülse erklärt, daß selbstverständlich in dieser verzweifelten Lage der deutschen Wirtschaft alle möglichen Auswege diskutiert würden, und so käme es, daß auch die von ihm mitgeteilten Punkte Gegenstand von Besprechungen hier seien. Ich könnte ihm aber mitteilen, daß in der Frage der generellen Zinssenkung und der Zwangsbewirtschaftung der Geldmärkte die Reichsbank ein unbedingter Gegner aller solchen Maßnahmen sei. Wir seien umso sicherer, daß gegen unseren Widerstand derartige Dinge nicht beschlossen werden würden, als auch gerade die maßgebenden Ressorts in dieser Hinsicht unsere Auffassung teilten. Auch die Zwangsanleihefrage sei Gegenstand von Diskussionen gewesen, ich glaubte aber sagen zu können, daß dieser Weg mit Rücksicht auf seine schädlichen Auswirkungen auf dem deutschen Kapitalmarkt usw. nicht beschritten würde. Auf Frage erklärte ich mich damit einverstanden, daß Hülse von meinen Erklärungen den ihm geeignet erscheinenden Gebrauch macht.“ (Abschrift in NL Luther 347).
- 14
Die Verlängerung des Rediskontkredits um drei Monate wurde von den beteiligten ausländ. Zentralbanken am 3.9.32 genehmigt (Tagesnotiz des RbkPräs. in NL Luther 369, Bl. 43). Zur vollständigen Rückzahlung des Kredits im April 1933 s. diese Edition: Die Regierung Hitler 1933/34, Dok. Nr. 22, P. 6.
- 15
In diesem Zusammenhang Luther in einer undatierten, wahrscheinlich am 29. 8. gefertigten Tagesnotiz u. a.: „Als sich dann heraustellte, daß namentlich wegen einer allgemeinen Herabsetzung der Zinssätze etwas bestimmtes nicht gesagt werden könnte, habe ich gebeten, dann wenigstens das Bekenntnis zur Privatwirtschaft so deutlich wie möglich zu machen, was vom Reichskanzler zugesagt wurde.“ (NL Luther 347).
- 16
Hierzu nichts ermittelt. – In seiner Rede in Münster (28. 8.) erläuterte Papen eingehend das neue Wirtschaftsprogramm der RReg. und behandelte mehr oder weniger ausführlich noch u. a. folgende Themen: 1) Nationalsozialistische Bewegung: Er gestehe Hitler „nicht das Recht zu, die Minderheit in Deutschland, die seinen Fahnen folgt, allein als die deutsche Nation anzusehen und alle übrigen Volksgenossen als Freiwild zu behandeln. Wenn ich heute gegen Hitler und für den Rechtsstaat, für die Volksgemeinschaft und für eine autoritäre Staatsführung eintrete, so verfolge ich und nicht er das Ziel, das Millionen seiner Anhänger im Kampfe gegen die Parteiherrschaft, gegen Willkür und Ungerechtigkeit jahrelang mit heißem Herzen herbeigesehnt haben. Die Regierung hat vom ersten Tage an das Ziel verfolgt, der großen vaterländischen Freiheitsbewegung, deren historisches Verdienst um Deutschland jedermann anerkennen muß, den Weg zur positiven Mitarbeit am Neubau des Reiches vorzubereiten. Ich kann nicht glauben, daß diese deutsche Freiheitsbewegung sich auf die Dauer in bewußten schroffen Gegensatz zu den Zielen einer Regierung stellen wird, deren Gedanken nur und ausschließlich auf Deutschlands Zukunft gerichtet sind.“ 2) Landwirtschaft: „Selbstverständlich“ werde die RReg. der Landwirtschaft „mit allen Kräften helfen“. Sie lehne aber den „Gedanken einer grundsätzlichen Autarkie deshalb ab, weil Deutschland nicht auf seine weltwirtschaftlichen Beziehungen verzichten kann und weil es jede Arbeitsgelegenheit ausnutzen muß, die ihm der Auslandsmarkt auch heute noch bietet.“ 3) Privatwirtschaft: Durch ihr neues Programm wolle die RReg. die im „Wirtschaftsleben noch lebendigen Kräfte“ stärken. „Die wesentlichste dieser Kräfte ist die persönliche private Initiative. Die Stärkung der persönlichen Energien und die Entwicklung der persönlichen Leistungsfähigkeit, die Steigerung des Gefühls der eigenen Verantwortung, das sind die geistigen Mittel, mit denen die Privatwirtschaft auch in Zukunft imstande sein wird und imstande sein muß, die menschlichen Bedürfnisse besser, vielleicht billiger als jedes andere Wirtschaftssystem, das uns empohlen wird, zu befriedigen. Aus dieser Überzeugung heraus lehnt die Reichsregierung infolgedessen alle Eingriffe in die Sphäre der Privatwirtschaft ab.“ 4) Währung: „Unsere Währung darf nicht gefährdet werden. Wir wollen auch keine Abwertung der deutschen Mark.“ (Voller Text der Rede: WTB-Bericht vom 28. 8., Ausschnitt in R 43 I/1141, Bl. 274–277; Auszüge in Horkenbach 1932, S. 296 ff., Schultheß 1932, S. 144 ff.; Tonaufzeichnung der Rede (44 Minuten): Dt. Rundfunkarchiv Frankfurt/M. C 834.