1.8.7 (wir2p): 7. Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung des Reichsgerichts.

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7. Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung des Reichsgerichts.

R.-Minister Dr. Radbruch trägt den Inhalt des Entwurfes vor6.

[693] R.-Minister Dr. Köster hat Bedenken gegen den Entwurf. Er könne der Übertragung von Reichsgerichtssachen an die Oberlandesgerichte kaum zustimmen, da hierin zudem eine Beeinträchtigung des Begnadigungsrechts des Reichspräsidenten enthalten sei. Außerdem halte er es für durchaus notwendig, daß die Einheitlichkeit der Rechtssprechung in Hochverrats- und Landesverratssachen gewahrt bliebe. Dies sei um so notwendiger, da die politische Lage in den einzelnen Ländern durchaus verschieden sei. Er bitte, eine andere Methode der Entlastung des Reichsgerichts vorzuschlagen7.

R.-Minister Geßler geht auf die praktische Bedeutung des Gesetzes ein, die darin liege, daß geringfügige Sachen abgegeben würden, um wichtigen Sachen eine schnellere Erledigung zu sichern. Aus diesen praktischen Erwägungen heraus könne er dem Entwurf zustimmen. Er halte eine zeitliche Befristung des Gesetzes für angebracht8.

R.-Minister Dr. Radbruch bemerkt, daß dem Gesetz schon an und für sich nur eine vorläufige Bedeutung zukomme, da es nur bis zur Durchführung der Strafprozeßreform Geltung habe. Er halte daher eine besondere Befristung nicht für notwendig9.

VizekanzlerBauer schlägt eine Befristung für 1 Jahr vor. Das Begnadigungsrecht müsse jedoch unter allen Umständen in allen Fällen, auch bei Überlassung an die Oberlandesgerichte, dem Reichspräsidenten verbleiben.

R.-Minister Dr. Radbruch bittet, noch nicht abzustimmen. Er stellt in Aussicht, daß er den Entwurf im Sinne einer Befristung auf 3 Jahre und im Sinne eines Begnadigungsrechtes des Reichs abändern, ferner Bestimmungen über erhöhte Zuständigkeit des Amtsgerichts und Berufungssumme hinzufügen werde, und bittet, den so geänderten Entwurf ohne neue Kabinettssitzung auf schriftlichem Wege gutzuheißen10.

Diesem Vorschlage wird zugestimmt.

8. Außerhalb der Tagesordnung trägt Staatssekretär Dr. Brugger folgendes vor: In letzter Zeit seien im Rheinland anscheinend von England aus begünstigte Bestrebungen bemerkbar, die auf eine Autonomie des Rheinlandes[694] in den Grenzen Deutschlands abzielten. Die Besatzung solle zurückgezogen, das autonome Rheinland jedoch unter wirtschaftliche und politische Kontrolle Frankreichs gestellt werden. Eine Stütze für diese Bestrebungen glaube er in verschiedenen Äußerungen Lloyd Georges gefunden zu haben.

Reichsminister Dr. Rathenau bittet, ihm das entsprechende Material zugänglich zu machen11.

Fußnoten

6

Entwurf in R 43 I /1210 , Bl. 86-93; die zur Entlastung der Reichsgerichte vorgesehenen Maßnahmen werden in der Begründung dieses Entwurfes wie folgt zusammengefaßt: „Auf dem Gebiete der bürgerlichen Rechtspflege soll durch eine Erhöhung der Revisionssumme von 4000 M auf 20 000 M die Zahl der an das Reichsgericht gelangenden Sachen vermindert werden (Artikel I). Auf dem Gebiete der Strafrechtspflege wird eine Vereinfachung des Revisionsverfahrens dahin empfohlen, daß eine Hauptverhandlung nicht stattzufinden braucht, wenn die Revision ‚offensichtlich unbegründet‘ ist (Artikel III Nr. 5; zu vergl. Artikel VII). Ferner soll das Reichsgericht in den zu seiner erstinstanzlichen Zuständigkeit gehörigen Sachen, mit Ausnahme der Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen, die Befugnis erhalten, die Verhandlung und Entscheidung einem Oberlandesgericht zu überweisen (Artikel II Nr. 1, 2; zu vergl. Artikel III Nr. 1.2.3. 4; Artikel V, VI, VIII). Findet keine Überweisung statt, so soll die Sache vor einem Strafsenate, nicht mehr vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenate verhandelt werden (Artikel II Nr. 3, 4; Artikel VI).“ (R 43 I /1210 , Bl. 86-93).

7

Ähnlich hatte sich das RIMin. in einem von StS Welser gezeichneten Schreiben vom 9.3.22 zu dem am 26.1.22 versandten Entwurf des RJMin. geäußert: „Gegen die Bestimmungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung des Reichsgerichtes, nach denen auf Antrag des Oberreichsanwalts in Fällen des Hochverrats und des Landesverrats, sowie des Verrats militärischer Geheimnisse die Verhandlung und Entscheidung den Oberlandesgerichten übertragen werden soll, habe ich schwere Bedenken. Wie in der Begründung zum Entwurf selbst ausgeführt ist, würden diese Sachen mit der Überweisung an das Oberlandesgericht aus der Gerichtsbarkeit des Reiches ausscheiden und damit das Gnadenrecht und die Strafvollstreckung auf die Länder übergehen. Hierdurch würde ein großer Teil der Justizhoheit auf die Länder übertragen werden und damit diese bisher einheitlich behandelten Fälle nach ganz verschiedenen Grundsätzen Erledigung finden.“ (R 43 I /1210 , Bl. 83 f., 52).

8

Mit Schreiben vom 30.5.22 erbittet der RJM auf Anregung des RWeM folgende Ergänzung: „Zur Wahrung der Interessen der Landesverteidigung ist es erforderlich, daß diejenigen Hoch- und Landesverratsfälle, welchen eine Bedeutung für die Verteidigung des Landes zuzusprechen ist, nur nach Verständigung mit dem Reichswehrminister an die Oberlandesgerichte abgegeben werden dürfen.“ (R 43 I /1376 , Bl. 22).

9

Als Ergänzung des Protokolls schlägt der RJM mit Schreiben vom 30.5.22 vor: „Die Verständigung mit dem Reichswehrministerium vor Abgabe von für die Landesverteidigung wichtigen Fällen wird zugesagt.“ (R 43 I /1376 , Bl. 22).

10

Die Angelegenheit kommt am 28.4.22 doch auf die TO (Dok. Nr. 257, P. 1).

11

In R 43 I nicht ermittelt.

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