Text
Nr. 176
Der Präsident des Reichslandbundes Graf Kalckreuth an den Reichskanzler. 26. Oktober 1932
[Einfuhrkontingentierung, Getreidepreisstützung]
Sehr geehrter Herr Reichskanzler! Persönlich!
Ich glaube annehmen zu müssen, daß Sie die Auffassung hegen, wir Führer der landwirtschaftlichen Organisationen, besonders ich als Präsident des Reichs-Landbundes, stellten uns in der Öffentlichkeit den wirtschaftlichen Maßnahmen der Regierung gegenüber aus politischen und organisationstaktischen Gründen kritischer ein, als wir dies eigentlich verantworten könnten.
Ich möchte, sehr geehrter Herr Reichskanzler, Ihnen zur Klärung der Lage noch einmal in möglichster Kürze sagen und begründen, daß dies keineswegs der Fall ist, sondern daß ich ohne jede Rücksicht auf parteipolitische oder organisationstaktische Maßnahmen im Reichs-Landbund im Gegenteil den Maßnahmen der Regierung mich der Öffentlichkeit gegenüber wesentlich weniger kritisch eingestellt habe, als dies meiner inneren Überzeugung entspricht, weil ich erstens als unbedingter Anhänger des Systems des Präsidialkabinetts Hemmungen habe, einem Präsidialkabinett gegenüber so rücksichtslos kritisch zu sein wie einem parlamentarischen Parteikabinett gegenüber, und weil es mir widerstrebt, Männern, von derem besten Wollen ich überzeugt bin, in so ernster Zeit einen Widerspruch entgegenzusetzen über das Maß hinaus, das ich im Interesse des Gesamtwohles der deutschen Landwirtschaft und damit der deutschen Wirtschaft für unbedingt erforderlich halte.
Ihnen persönlich darf ich aber einmal ganz offen sagen, wie sich die Maßnahmen[806] der Regierung auf wirtschaftlichem Gebiete mir in der Tat darstellen: Ich glaube zu sehen, daß 1.) in der Frage der Kontingentierung, über deren Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit man natürlich verschiedener Auffassung sein kann – ich halte sie nicht nur für zweckmäßig, sondern für dringend erforderlich –, wie mir scheint auf Einwirken des Wirtschaftsministeriums und des Auswärtigen Amtes Wege beschritten worden sind, die mich aufs Äußerste verbittern. Ich habe volles Verständnis dafür, wenn Maßnahmen, die unzweckmäßig erscheinen, abgelehnt werden, auch dann, wenn sie von einem Berufsstand dringend gefordert werden; ich habe aber kein Verständnis dafür, wenn man unter äußerer Billigung des Gedankens der Kontingentierung durch Beschreiten des Weges der vorherigen Verhandlung mit den anderen Staaten1 die ganze Frage auf einen Weg schiebt, von dem man weiß, daß er den Erfolg erschweren muß, auf einen Weg, den kein anderer Staat bei Einführung der Kontingentierung eingeschlagen hat, auf einen Weg, den auch die deutsche Regierung nicht eingeschlagen hat, als sie es für notwendig hielt, die Stickstoffindustrie durch eine hundertprozentige Kontingentierung der Auslandsausfuhr gegen das Ausland zu schützen2. Diese Form des Erschwerens einer ausreichenden Kontingentierung durch Abschieben auf einen zum Mißerfolg führen müssenden Weg hat mein Vertrauen in der Tat sehr viel stärker erschüttert, als ich dies bisher nach außen hin in irgendeiner Form zum Ausdruck gebracht habe.
2.) Die Frage der Behandlung der Getreidepreise durch das Kabinett. Ich habe bisher immer in allen meinen Reden und schriftlichen Äußerungen zum Ausdruck gebracht, daß ich durch die von der Regierung beabsichtigten Maßnahmen eine Erhaltung leidlich rentabler Getreidepreise für möglich halte und daß ich das Vertrauen in den guten Willen der Regierung hätte, daß sie diese Stützung auch wirklich durchführt. Ich habe damit meinen Berufsgenossen leider etwas Falsches gesagt, denn die mangelnde Pflege des Getreidemarktes durch das Reichskabinett hat dazu geführt, daß die Getreidepreise schon heute in einem Umfange abgesackt sind, daß der Gottessegen einer großen Ernte3 für den Landwirt zum Fluch wird, weil die große Ernte ihm zwar mehr Arbeit und Mühe, aber einen geringeren Lohn bringt als die schlechte Ernte des vorigen Jahres. Die Gefahr weiteren Absackens der Getreidepreise ist heute dringender denn je; die Möglichkeiten, die Preise zu retten und auf eine leichte Rentabilität zu bringen, ist noch heute in vollem Umfange gegeben, aber kann – wenn es scheint – von der Getreide-Handels-Gesellschaft4 nicht ausgenutzt werden,[807] weil ihr von der Reichsbank die dazu notwendigen Kredite und von der Reichsregierung eine gewisse Ausfallbürgschaft, die voraussichtlich nicht mal akut werden würde, noch nicht gegeben sind. So haben wir einen Zustand erreicht, in dem trotz klarer Zusage der Reichsregierung, die Errungenschaften der vorigen Regierung auf dem Gebiete der Getreidewirtschaft halten zu wollen, das Einzige, was die Regierung Brüning für die Landwirtschaft erreicht hat, eine Sanierung der Getreidepreise, zusammengebrochen ist und noch weiter zusammenzubrechen droht, ohne daß es bisher gelungen ist, auf anderen Gebieten der Veredelungswirtschaft auch nur die Vorbedingung für eine Besserung der Preise zu schaffen5. Noch heute wäre es möglich, die Getreidepreise wieder einzurenken, wenn der Getreide-Handels-Gesellschaft ein Rediskont-Kredit durch die Reichsbank von 100 Millionen M und von der Regierung eine Ausfallbürgschaft in Höhe von 20–25 Millionen M gewährt würde, eine Ausfallbürgschaft, die – wie ich schon sagte – voraussichtlich kaum in Anspruch genommen werden dürfte, die jedenfalls sehr viel geringere Risiken in sich birgt als die Ausfallsbürgschaft an die Industrie für den Export nach Rußland6. Ob es in einigen Tagen noch möglich sein wird, die Getreidepreise zu retten, wenn das Angebot vom Landwirt nach Beendigung der Kartoffel- und Rübenernte stärker wird, erscheint mir zweifelhaft.
Gelingt es nicht, dann sind Osthilfe und alle anderen kleinen Stützungsmaßnahmen für die Landwirtschaft: Zinsverbilligung, Steuerscheine nutzlos gemacht, weil der Verlust am Verkaufspreise von Getreide und Vieh wesentlich größer wird als die Verbilligung der Produktionskosten durch Steuern und Zinssenkung.
Ich hoffe, sehr geehrter Herr Reichskanzler, daß Sie meine aus besorgtem Herzen kommenden Darlegungen so werten, wie ich sie gemeint habe. Ich wollte Ihnen nur darlegen, wie ungeheuer schwer es für einen Führer einer landwirtschaftlichen Organisation heute ist, dem Reichskabinett gegenüber in der Kritik nach außen so maßvoll zu sein, wie ich dies im Reichs-Landbund bisher durchgeführt habe, wenn man selber Wege, die zu einer Besserung führen könnten, klar vor Augen sieht, und wenn man sieht, wie diese Wege teils gar nicht, teils in einer Form, die zum Mißerfolge oder nur halbem Erfolge führen muß, beschritten werden, wenn man sieht, daß man den sich von Tag zu Tag häufenden Klagen und Vorwürfen aus der Landwirtschaft über Mangel an Schärfe der Kritik des Reichs-Landbundes gegenüber den Maßnahmen der Regierung aus eigener Überzeugung eigentlich nur sagen kann: Ihr habt ja mit Euerer Kritik an der mangelnden Aktivität der Regierung und mit Euerer Kritik über die mangelnde Aktivität des Reichs-Landbundes der Regierung gegenüber hundertmal recht. Es ist in der Tat ungeheuer schwer, aus politischen Gründen[808] und aus Gründen der persönlichen Hochachtung vor den Mitgliedern des Kabinetts in seiner Kritik so maßvoll zu bleiben, wie wir dies im Landbunde bisher getan haben7.
Mit bester Empfehlung
Ihr
stets ganz ergebener
Graf Kalckreuth
Geschäftsführender Präsident
des Reichs-Landbundes
Fußnoten
- 1
- 2
Bezieht sich auf die VO des RWiM vom 17.8.31, wodurch die Einfuhr stickstoffhaltiger Düngemittel von behördlicher Bewilligung abhängig geworden war (RZBl. 1931 , S. 271).
- 3
Zum Ergebnis der ungewöhnlich großen Getreideernte 1932 s. die Mitteilungen des REM in der Ministerbesprechung am 2. 11. (Dok. Nr. 187, P. 4).
- 4
Aufgabe der im Februar 1926 gegr. „Deutschen Getreide-Handels-Gesellschaft m. b. H.“ war vornehmlich die Regulierung des dt. Roggenpreises. In ihrem „Gesellschaftsvertrag“ vom 2.2.26 (R 43 I/1300, Bl. 2–11) heißt es: „Die Gesellschaft ist befugt, alle mit ihrem Zweck zusammenhängenden Geschäfte zu betreiben, namentlich Brotgetreide zu erwerben, zu lagern, zu veräußern, zu beleihen und zu verpfänden, aus- und einzuführen, Grundstücke und Gebäude, insbesondere Lagerhäuser für Getreide, zu erwerben und zu veräußern, auch zu mieten und zu pachten, zu verpfänden und zu beleihen; sie ist auch berechtigt, im In- und Auslande Zweigniederlassungen zu errichten und sich an deren Unternehmungen zu beteiligen.“
- 5
Zur Lage der Getreide- und Veredelungswirtschaft vgl. auch Dok. Nr. 110, dort bes. Anm 1.
- 6
Zu dieser Ausfallbürgschaft – von der RReg. erstmals zur Verfügung gestellt im Frühjahr 1926 (105 Mio RM), verlängert und erweitert in den Jahren 1929, 1931 und 1933 – vgl. diese Edition: Die Kabinette Luther I/II, Dok. Nr. 277, P. 3 und 292, P. 2; Die Regierung Hitler 1933/34, Dok. Nr. 176. Näheres dazu auch in: Beitel/Nötzold, Deutsch-sowjetische Wirtschaftsbeziehungen in der Zeit der Weimarer Republik, S. 60 ff.; Perrey, Der Rußlandausschuß der Deutschen Wirtschaft, S. 128 ff.