Text
[701] Nr. 168
Vermerk Regierungsrat Wiensteins über kommunistische Unruhen in Hamburg. 23. Oktober 1923
Die Hamburgische Gesandtschaft teilt fernmündlich folgendes über die heutige Lage in Hamburg mit1:
In den frühen Morgenstunden haben die Kommunisten die Polizeiwachen im Äußeren der Stadt gestürmt2. Zwei Polizeiwachen befinden sich zur Zeit (12 Uhr mittags) noch in den Händen der Kommunisten3. In vier Straßen eines Vorortbezirkes haben die Kommunisten Barrikaden errichtet. Im Innern der Stadt ist alles ruhig. Auch die Lage im Hafen gibt zu Besorgnissen vorerst keinen Anlaß4.
Fußnoten
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Nach dem Bericht des Chefs der Hamburger Ordnungspolizei Danner vom 6.11.23 über die Unruhen in Hamburg vom 20.–26.10.23 war es am 20.10.23 infolge der Preissteigerungen für Lebensmittel zu Hungerunruhen gekommen. Dies sei wie auch in anderen Städten von den Kommunisten ausgenützt worden (R 43 I/2710, Bl. 243). S. zum Hamburger Aufstand W. T. Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 480 ff.; Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, S. 429 ff.; Ursachen und Folgen V, Dok. Nr. 1203 a–d; O. Wenzel, Die Kommunistische Partei Deutschlands im Jahre 1923, S. 229 ff.; L. Danner, Ordnungspolizei Hamburg, Betrachtungen zu ihrer Geschichte 1918 bis 1933, S. 63 ff.
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Danner erklärte in seinem Bericht vom 6.11.23: „Der strategische Gedanke, den die Kommunisten ihrem Anschlage zu Grunde gelegt haben, läßt Verständnis für die verwendbaren Fronten der Stadt Hamburg erkennen. Der Plan war nach den Gesichtspunkten angelegt, die Stadt durch Umzingelung von allen Seiten konzentrisch anzugreifen. Zu diesem Zwecke sollten zunächst die im Halbkreis um Hamburg liegenden Außenwachen gestürmt werden, um nach Schaffen dieser Operationsbasis gegen das Innere weiter vorzudringen. Auch hofften die Kommunisten wohl, durch Erstürmen der Wachen Waffen- und Munitionsbestände in die Hand zu bekommen. Ferner hielten sie deshalb diese Operationsbasis für ihre Pläne erstrebenswert, da sie an diesem Zirkel am schnellsten und ungestörtesten Verstärkungen aus dem teilweise stark durchsetzten kommunistischen Vororten Hamburgs heranziehen zu können glaubten, anderseits, falls ihr Putsch mißlingen sollte, er ihnen günstige Möglichkeit bot zu entkommen.“ Am frühen Morgen des 23. 10. seien von allen Seiten Hilferufe der Außenwachen eingelaufen (R 43 I/2710, Bl. 243).
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Noch am 23.10.23 hatte der RKom. für Überwachung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung berichtet, „daß sämtliche Polizeiwachen in Hamburg wieder in den Händen der Polizei“ seien. „Zur Zeit herrsche Ruhe, es werde aber mit neuen Unruhen gerechnet“ (R 43 I/2710, Bl. 233). Die Aufstandbewegung in Hamburg konnte erst am 29.10.23 als beendet betrachtet werden.
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Danner berichtete, daß nach dem Ausbruch der Unruhen alle verfügbaren Kräfte der Polizei mobilisiert worden seien. „Da im Hafen alles ruhig war, und um die im Hafen befindlichen Kräfte zum Einsatz gegen die Aufrührer frei zu bekommen, wurde im Stadthaus eine Annahmestelle errichtet zur Einstellung von Leuten, die sich freiwillig dem Ordnungsdienst zur Verfügung stellten. Der Andrang zu dieser Annahmestelle war sehr groß und innerhalb von 24 Stunden waren über 800 Zivilpersonen mit militärischer Ausbildung, die als einwandfrei befunden wurden, eingestellt, mit Waffen ausgerüstet und durch entsprechende Formierung verwendungsbereit gemacht, so daß sie am 24. 10. die im Hafen befindlichen Wachen der Ordnungspolizei besetzten, wodurch die gesamten Kräfte des Hafenschutzes zum Einsatz gegen die Aufrührer frei wurden. […] Am 23. 10. trafen auf Veranlassung der Marineleitung Hamburg im Einvernehmen mit der Polizeibehörde der Kreuzer Hamburg und eine Torpedohalbflottille im Hamburger Hafen ein und übernahm die Sicherung des Hamburger Hafens und der Südseite der Stadt Hamburg. Zwei schwere Masch. Gew. und 6 leichte Masch. Gew. des Kreuzers wurden sofort nach Barmbeck zur Verstärkung herangezogen.“ (R 43 I/2710, Bl. 243–244). Nach dem Bericht Danners kamen bei den Kämpfen in Hamburg 17 Polizisten und 61 Aufständische ums Leben, verwundet wurden 54 Polizisten und 267 Aufständische (ibid.).