Text
Ministerbesprechung.
Zunächst wurde der Gesetzentwurf über den Vollstreckungsschutz für landwirtschaftliche, forstwirtschaftliche und gärtnerische Betriebe in den Ostgebieten des Reichs erörtert2.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies auf die starke Beunruhigung in den Ostgebieten hin, die durch die Zunahme der Zwangsmaßnahmen geschaffen würde. Die Gläubiger würden dadurch zum Vorgehen angeregt, daß Hilfe für die Ostgebiete angekündigt worden sei. Die Vergleichsordnung vom 5.7.1927 käme für die Landwirtschaft wegen der Eigenart ihrer Vermögensmasse nicht in Betracht3. In vielen Fällen sei es notwendig, eine Hinauszögerung der Zwangsmaßnahmen, damit vermieden würde, daß Güter weit unter dem angemessenen Preise verschleudert würden.
Die Landstelle soll nicht nur den im Entwurf vorgesehenen Zwecken, sondern auch der Umschuldung und Betriebssicherung dienen. Sie sollen durch die Überwachung von Betrieben und die Bestellung von Treuhändern übernehmen4.
[77] Der Reichsminister der Justiz machte keine Bedenken geltend, wies aber darauf hin, daß vermögensrechtliche Verschiebungen innerhalb der privatrechtlichen Kreise und Aufwertungswirkungen vermieden werden müßten. In den Entwurf müßten noch Bestimmungen darüber aufgenommen werden, ob Landwirte im Nebenberuf geschützt werden sollten, ob bestimmte Forderungen wie die auf Unterhalt und Lohn ausgenommen werden sollten und etwa Forderungen auch auf Herausgabe bestimmter Gegenstände. Die Referentenbesprechungen darüber sollten fortgesetzt werden. Damit und mit dem Wegfall der 5- Hektar-Grenze in § 1 erklärte sich der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft einverstanden5.
Der Reichsminister der Finanzen äußerte gegen den Entwurf Bedenken. Er würde trotz seiner Begrenzung als großes Moratorium für den Osten in der Öffentlichkeit aufgefaßt werden. Dadurch könnten die Versuche, für den Osten Kredit zu erlangen, auf das schwerste beeinträchtigt werden.
Wenn in dem Vergleichsverfahren Mittel zur Krediterhaltung eingesetzt würden, so würde der Fonds bald dadurch voll in Anspruch genommen und für die Betriebe nicht mehr zur Verfügung stehen, die von Zwangsmaßnahmen nicht bedroht, gleichwohl sanierungsbedürftig und -würdig seien. Es sei zu prüfen, ob die Vergleichsordnung von 1927 nicht auch auf die Landwirtschaft angewandt werden könne.
Ähnliche Bedenken äußerte der Reichsarbeitsminister. Der Schaden des Gesetzes würde größer sein als sein Nutzen.
Auch der Reichsbankpräsident teilte die Bedenken grundsätzlich. Der allgemeine Immobiliarkredit dürfe nicht geschädigt werden. Allerdings sei das Gesetz nur auf die Ostgebiete anzuwenden. Schon jetzt aber spiele bei der Konkurrenz von Trägern des Immobiliarkredits der Hinweis eine Rolle, daß sie im Osten nicht engagiert seien.
Der Entwurf könne nicht wohl mit der Vergleichsordnung von 1927 in eine Linie gestellt werden. Bei dieser entscheide die Mehrheit der Gläubiger, ob der Versuch des Vergleichs gemacht werden solle6. Der Entwurf dagegen lasse allein dem Schuldner das Antragsrecht, ohne auf die Gläubigerseite Rücksicht zu nehmen7. Es fehle auch jede materielle Voraussetzung für die Bewilligung des Schutzes. Dieser Schutz müsse davon abhängig gemacht werden, daß begründete Hoffnung auf den Abschluß eines Vergleichs bestände. Mindestens müsse dies für die Verlängerung der Frist gelten.
Das Gesetz sei nur denkbar im Rahmen eines gesamten Hilfsprogramms. Sonst würde es den Osten auf das schwerste gefährden. Entsprechend müsse das Außerkrafttreten der Bestimmungen geregelt werden. Die Hilfe könne nur für die Zeit bis nach der Ernte in Frage kommen als völlig einmaliger Vorgang. Ein neuer Rechtsgedanke dürfe für den Vollstreckungsweg nicht eingeführt werden. Es handele sich um eine Entscheidung von größtem Gewicht.
[78] Der Reichswirtschaftsminister vermißte in dem Entwurf eine örtliche Begrenzung der Ostgebiete und fürchtete auch, daß die Nachteile des Gesetzes größer sein würden als seine Vorteile. Wenn materielle Voraussetzungen für den Schuldnerschutz festgelegt werden sollten, so frage es sich, welche Stelle ihr Vorliegen zu konstatieren habe. Die Bestimmungen müßten im Zusammenhang mit dem geltenden Zwangsversteigerungsgesetz betrachtet werden. Nach den Erfahrungen, die in Ostpreußen gemacht worden seien, sei es im allgemeinen schwierig oder unmöglich, Vergleiche über den Gläubigerverzicht zur Aufrechterhaltung der Betriebe herbeizuführen. Nur wenn sehr erhebliche Reichsmittel eingesetzt würden, beständen gewisse Aussichten auf Erfolg. Dann aber würde der zur Aufrechterhaltung der Betriebe zur Verfügung stehende Fonds im wesentlichen den weniger tüchtigen Landwirten zugute kommen. Es komme in Frage, ob nicht die Justizverwaltung den Amtsrichtern nahelegen könne, von sich aus im Rahmen des geltenden Gesetzes die Fristen möglichst zu verlängern. Hierüber werde zweckmäßig mit der Justizverwaltung verhandelt. Erst wenn diese Frage geklärt sei, könnte dann über den Entwurf entschieden werden.
Staatssekretär Dr. Weismann führte hierzu aus, der Richter habe die Möglichkeit, die Frist im Zwangsversteigerungsverfahren von 6 Wochen auf 6 Monate zu verlängern. In den in Frage kommenden Bezirken könne an die Amtsrichter eine Verfügung herausgegeben werden, daß es erwünscht sei, diese Möglichkeit voll auszunutzen.
Auch der Reichskanzler hielt diesen Weg für besser als den eines Gesetzes. Mit Preußen solle darüber verhandelt werden.
Der Reichsminister der Finanzen teilte diese Ansicht. Auch die Frage, wieweit die Vergleichsordnung angewandt werden könne, möchte geprüft werden. Er werde die Ämter im Sinne dieser Bestrebungen anweisen, entsprechend vorsichtig vorzugehen.
Der Herr Reichsminister für die besetzten Gebiete meinte, die Amtsrichter würden die Versteigerungstermine bereits auf den äußersten Zeitpunkt erstreckt haben. Im Winter sei es nicht recht möglich, im Osten ein Gut zu kaufen, weil die Prüfung des Betriebes sehr erschwert sei. Deswegen würde der vorgesehene Erlaß im allgemeinen wohl nichts nützen.
Der Reichskanzler stellte fest, daß zunächst mit Preußen wegen eines Erlasses an die Amtsrichter hinsichtlich einer möglichst weitgehenden Erstreckung der Fristen im Versteigerungsverfahren und der praktischen Wirkung dieser Maßnahmen verhandelt werden solle. Die Entscheidung über den Gesetzentwurf wird nach Abschluß der Verhandlungen erfolgen. Jedenfalls soll er inzwischen so umgearbeitet werden, daß den bei der Aussprache geäußerten Anregungen Rechnung getragen wird.
Der Reichskanzler stellte sodann den Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung einer deutschen Ablösungsbank zur Debatte8.
[79] Der Reichsbankpräsident bat, seine Stellungnahme bis zur genaueren Prüfung des Entwurfs zurückstellen zu können.
Der Reichsarbeitsminister hatte gegen den Entwurf schwerste Bedenken. Die tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten, die jahrelang zwischen dem Reiche und Preußen wegen der Ostsiedlung bestanden hätten und die inzwischen im wesentlichen beseitigt worden seien, könnten durch die geplanten Maßnahmen wieder aufleben.
Der Reichswirtschaftsminister äußerte ebenfalls gegen die Gründung einer neuen Bank Bedenken und regte an, die Aufgaben der Rentenbank-Kreditanstalt zu übertragen. Daß, wie im § 5 vorgesehen, die neue Bank ihre Geschäfte im Einvernehmen mit der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt führen solle, sei kaufmännisch und juristisch unmöglich. Schatzanweisungen, wie vorgesehen, seien bisher nur vom Reich und den Ländern ausgegeben worden. Die Bezeichnung würde verwirren. Ablösungsscheine würden genügen.
Zu klären sei, welche Gefahren der Ablösungsbank aus ihrer Tätigkeit erwachsen und wie sich die Garantie des Reichs auswirken würde, wenn die Landstelle die Entscheidung hätte, ob und in welcher Höhe zweite Hypotheken gegeben werden sollen. So wäre die Einwirkung des Reichs auf diese Entscheidung ausgeschaltet und sie könnte nur durch einen großen Apparat ermöglicht werden, der zu diesem Zwecke aufgebaut werden müßte. Ihm scheine es zweckmäßiger, das alte Ostpreußengesetz aufrechtzuerhalten und auf die anderen Ostgebiete auszudehnen9. Es habe sich bewährt.
Die Ablösungsscheine würden im Kurse gedrückt werden, wenn die Gläubiger damit abgefunden würden und dann gezwungen wären, sie auf den Markt zu bringen. Der Kursdruck wäre noch größer, wenn der Schuldnerschutz des erörterten Gesetzentwurfs einträte.
Auch der Reichsminister der Finanzen hielt es für fraglich, ob die Ablösungsscheine Käufer finden würden. Das Risiko der Umschuldungskredite, die insgesamt 300 Millionen RM betragen sollten, werde zwischen 20 und 50% geschätzt. Die wirtschaftliche Entwicklung sei entscheidend.
Im ersten Jahre werde eine Umschuldung wohl in Höhe von 50–70 Millionen durchgeführt werden können. Das Risiko werde sich demnach auf 20 bis 30 Millionen belaufen. Nötigenfalls müßte auf Grund der dann gesammelten Erfahrungen die Umschuldungsaktion aufgegeben werden. Jedenfalls müsse die Prüfung der Umschuldung sehr sorgfältig vorgenommen werden. Die bisherigen Ausschüsse hätten nicht allein dieser Hinsicht gestellten Erwartungen entsprochen. Die Landstelle werde mit dem Landrat, dem Sparkassendirektor und anderen, möglichst unabhängigen Persönlichkeiten besetzt werden müssen.
Der Reichsbankpräsident führte dann folgendes aus:
[80] Im Vordergrund stehe die Pflege des Kapitalmarktes. Die Ausgabe von Schuldverschreibungen mit Reichsgarantie für den Osten sei gleichwohl gerechtfertigt, weil wichtigere Zwecke zur Zeit nicht in Frage kämen.
Die Garantie des Reichs würde nicht ausreichen, den Absatz des Papiers zu sichern. Unverkäuflichkeit müsse aber unbedingt vermieden werden. Deswegen müßten die Schuldverschreibungen gut ausgestaltet, die Sicherheiten verstärkt, insbesondere für die Ausgabe der zweiten Hypotheken eine Wertgrenze bestimmt und Vorschriften über die Vorprüfung getroffen werden.
Von den Trägern des Realkredits sei bisher stets davon ausgegangen worden, daß die Rentenbank-Kreditanstalt nicht an den deutschen inneren Markt herantreten würde. Auf diese Auffassung möchte Rücksicht genommen werden. Bei der ganzen Aktion müsse möglichst eine Linie eingehalten, Bedenken von geringerer Bedeutung müßten dabei zurückgestellt werden. Die Verhandlung über die anderen Punkte der Tagesordnung (2–4) wurde auf den 2. 5. vertagt10.
Fußnoten
- 2
Unter anderem bestimmte der GesEntw. in § 1, daß der Inhaber eines über 5 ha großen, in den Ostgebieten gelegenen landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Betriebes beim zuständigen Amtsgericht Schutz gegen eine Zwangsvollstreckung beantragen konnte. Das Amtsgericht konnte diesen Schutz bis zur Dauer von drei Monaten bewilligen und ihn nötigenfalls nochmals um ein Vierteljahr verlängern. Das Amtsgericht mußte den Vollstreckungsschutz gewähren, wenn der Antragssteller eine entsprechend positive Bescheinigung beibringen konnte, die eine von der RReg. eingesetzte Landstelle ausstellen sollte (§ 2).
- 3
S. das Ges. über den Vergleich zur Abwendung des Konkurses (Vergleichsordnung) vom 5.7.27 (RGBl. I, S. 139).
- 4
Nach § 2 des GesEntw. sollte die Landstelle die unter Vollstreckungsschutz stehenden Betriebe überwachen (R 43 I/1801, Bl. 212).
- 5
Die Forderungen des RJM wurden im § 2 des abgeänderten GesEntw. des RFM vom 6.5.30 aufgenommen (R 43 I/1801, Bl. 252).
- 6
- 7
Nach § 1 des GesEntw. blieb es dem Schuldner vorbehalten, beim Amtsgericht Zwangsvollstreckungsschutz zu beantragen (R 43 I/1801, Bl. 211).
- 8
Das Stammkapital der Deutschen Ablösungsbank sollte aus Stammeinlagen des Dt. Reichs, der Dt. Rentenbank-Kreditanstalt und der Bank für Dt. Industrieobligationen bestehen (§ 2). Die Ablösungsbank sollte zinslose Darlehen gewähren, Inhaberschuldverschreibungen ausgeben, Darlehen aufnehmen und die Mittel anderer Stellen zur Gesundung landwirtschaftlicher Betriebe treuhänderisch verwalten (§ 4). Mit Zustimmung der RReg. sollte die Ablösungsbank Schatzanweisungen (Ablösungsscheine) ausgeben können (§ 8). Im § 11 wurde ihr wegen ihrer besonderen Aufgaben Steuerfreiheit gewährt (R 43 I/1801, Bl. 199–201).
- 9
S. das Ges. über wirtschaftliche Hilfe für Ostpreußen vom 18.5.29 (RGBl. I, S. 97).