2.17.1 (lut1p): 1. Denkschrift zur Ruhrentschädigung.

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Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 1.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

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1. Denkschrift zur Ruhrentschädigung.

Staatssekretär Fischer gab einen Überblick über den Aufbau der Denkschrift1.

[60] Der Reichskanzler hielt es für notwendig, daß sowohl in der Form wie auch in der Sache Änderungen vorgenommen würden. Vor allem halte er für notwendig, daß die Darstellung der verschiedenen Verhandlungen zur Fortführung der Micum-Verträge plastischer herausgearbeitet werde und positive Angaben enthalte. Die politischen und wirtschaftlichen Gründe, die im Herbst 1923 zur Zustimmung zu den Vorschlägen des Bergbaues geführt hätten, müßten außerdem in einer Form gebracht werden, die das Zwingende der damaligen Lage klar erkennen lasse. Den Aufbau der Denkschrift stelle er sich so vor, daß zunächst ausgeführt werde, wie die Verpflichtung zustande gekommen sei, die die Reichsregierung auf sich genommen habe, und dann, welche Gründe für die Einlösung der Verpflichtung maßgebend gewesen seien2. Dabei müsse besonders hervorgehoben werden die Tatsache, daß durch die Einlösung der Verpflichtung im Dezember 1923 im Wege des Vergleichs eine Regelung gefunden werden konnte, die für das Reich als besonders günstig anzusehen sei3.

[61] Der Reichsminister des Auswärtigen schloß sich diesen Ausführungen an. Der Teil, der sich mit den Vorgängen im Oktober 1923 befasse, müsse klarer ausgearbeitet werden. Besonderen Nachdruck möchte er dem Schreiben des Bergarbeiterverbandes beigelegt wissen4. Die Beweisführung müsse mehr aus den Anlagen in die Darstellung selbst verlegt werden.

Der Reichsarbeitsminister wünschte, daß mehr zum Ausdruck komme, daß das Reichsfinanzministerium die Regelung im Dezember 1924 vorgenommen habe5. Ob die Frage der Entschädigung der Arbeiter, also des Zusammenhangs zwischen Micum-Leistungen und Löhnen, dargestellt sei, wisse er nicht, da er die Denkschrift nicht gelesen habe. Er halte es aber für notwendig, daß diese Gesichtspunkte erörtert würden6.

Staatssekretär Fischer gab einen eingehenden Überblick über die Verhandlungen mit dem Bergbau bezgl. der endgültigen Regelung der Restforderungen. Nach wochenlangen Verhandlungen sei es zu einem Vergleich gekommen, der seiner Überzeugung nach für das Reich ein besseres Resultat ergeben habe als zu erwarten gewesen wäre, wenn ein Schiedsgericht angerufen oder ein Prozeß angestrengt worden wäre.

Möglich sei, gewisse Teile zu erweitern und durch Herübernahme der Angaben aus den Anlagen positiver zu gestalten. Ob es möglich sei, den Vorteil des Reichs durch Gegenüberstellung von Soll und Haben zahlenmäßig darzustellen, werde geprüft werden müssen. Was die etatsrechtliche Behandlung anlange, so werde ein Indemnitätsantrag eingebracht werden. Damit solle aber nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß das Vorgehen des Reichsfinanzministers rechtlich nicht gedeckt gewesen sei. Es solle vielmehr dadurch lediglich mit Rücksicht auf die Höhe der Zahlungen den politischen Notwendigkeiten Rechnung getragen werden.

Im übrigen habe er im Dezember 1924 dem Reichskanzler Marx eingehenden Vortrag über den geplanten Vergleich gehalten; Reichskanzler Marx habe sich damals mit diesem Vorgehen einverstanden erklärt7.

Der Reichskanzler bat, eine Begründung für die Posten Zinsen und Verluste bei der Verwertung der E-Schatzanweisungen zu geben8.

[62] Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß die Anregung des Reichsarbeitsministers darauf hinausliefe, lediglich das Reichsfinanzministerium für die Regelung verantwortlich zu machen. Dadurch würden Bestrebungen, Gegensätze zwischen den Ministern hervorzurufen, nur gefördert. Er sei der Meinung, daß in keiner Weise die Stellungnahme der einzelnen Ressortschefs in der Denkschrift zum Ausdruck kommen dürfe.

Der Reichsminister des Innern war der gleichen Auffassung. Nur mit einer stark betonten verantwortlichen Stellungnahme des Gesamtkabinetts werde man durchkommen. Die Hauptbedeutung messe er den Ausführungen über die Ersparnisse bei. Es müsse versucht werden, den zahlenmäßigen Nachweis für die Richtigkeit dieser Zahlen zu bringen. Mit der von dem Reichsfinanzminister vorgeschlagenen Form der Indemnitätsformel sei er einverstanden.

Der Reichsminister der Finanzen glaubte, daß die Regelung der Ruhrentschädigung vielleicht dadurch politisch tragbarer gemacht werden könne, daß die Reichsregierung auf anderen Gebieten, und zwar dem der Liquidationsentschädigung und dem der Aufwertung weiter entgegenkomme. Er habe bereits erwogen, ob nicht für die Liquidationsgeschädigten ein Betrag von vielleicht 200 Millionen Mark ausgesetzt werden könne9.

Der Reichsarbeitsminister hielt es nicht für notwendig, positiv zu sagen, daß das Kabinett seinerzeit nicht hinter der Regelung gestanden habe. Es sei aber auch nicht erforderlich, das jetzige Kabinett damit zu identifizieren.

Der Reichskanzler widersprach dieser Auffassung. Verfassungsrechtlich gebe es auch gar nicht ein Reichsfinanzministerium, sondern nur einen Reichsfinanzminister. Der Reichsfinanzminister sei, soweit es sich um Fragen seines Ressorts handle, eben nichts anderes wie die Reichsregierung. Es gebe daher nur zwei Möglichkeiten: entweder man überlasse die Verantwortung dem damaligen Kabinett und ziehe daraus jetzt die Konsequenzen, oder aber man decke als Kabinett die Ergebnisse und ersuche um Indemnität.

Der Reichsminister des Auswärtigen hielt es ebenfalls für absolut notwendig, daß das Kabinett einmütig die Regelung decke, und nicht zum Ausdruck kommen lasse, daß innerhalb des Kabinetts Zweifel über die Richtigkeit der Regelung entstanden seien.

Der Reichskanzler stellte fest, daß gegenüber der Darstellung des Staatssekretärs Fischer von den Gründen, die zu der Regelung im Wege des Vergleichs geführt hätten, kein Widerspruch geltend gemacht worden sei.

Der Reichsarbeitsminister war damit einverstanden, daß in allen Teilen der Denkschrift die Reichsregierung als Ganzes auftrete, da er es für richtig halte, daß für alle Ressortfragen der Ressortminister verantwortlich sei.

[63] Der Reichsminister der Finanzen bat um eine Entscheidung, welche Unterschrift der Indemnitätsantrag tragen solle. Er halte es für zweckmäßig, den Antrag nur durch ihn unterzeichnen zu lassen.

Das Kabinett war damit einverstanden10.

Der Reichsminister des Innern legte Wert darauf, festgestellt zu sehen, daß ein Beschluß dahingehend, das Kabinett billige das Vorgehen bei der Regelung der Dezemberentschädigung, heute nicht gefaßt worden sei. Heute billige das Kabinett lediglich die Vorlage.

Der Reichskanzler stellte dies fest. Das Kabinett nehme den Tatbestand, wie er nun einmal sei, spreche aber dadurch auch nicht eine Mißbilligung des Vorgehens von Staatssekretär Fischer aus.

Der Reichsminister der Finanzen bat um eine Entscheidung, ob die noch ausstehenden Beträge, soweit Regelungen abgeschlossen seien, ausgezahlt werden sollten.

Der Reichskanzler der Reichsminister des Innern und der Reichsverkehrsminister sprachen sich für eine Auszahlung aus.

Der Reichskanzler stellte daraufhin als Beschluß fest, daß auf Antrag des Reichsfinanzministers auf dem bisher beschrittenen Wege weiter fortgefahren werden solle. Die Denkschrift solle nunmehr auf Grund der heutigen Aussprache vom Reichsfinanzministerium umgearbeitet werden. Für die endgültige Redaktion schlage er eine Unterkommission vor, in der vertreten seien die Reichskanzlei, das Reichsfinanzministerium, das Auswärtige Amt, das Reichswirtschaftsministerium, das Rheinministerium und das Reichsarbeitsministerium.

Das Kabinett stimmte der Einsetzung dieser Kommission zu.

Der Reichsminister des Auswärtigen hielt es für erforderlich, daß ein Kommuniqué über die heutige Sitzung herausgegeben werde.

Der Reichskanzler schlug dafür vor: Das Kabinett befaßte sich in der heutigen Sitzung mit dem Referentenentwurf der Denkschrift über die Ruhrentschädigung. Auf der Grundlage der Kabinettsberatung wird nunmehr der endgültige Wortlaut der Denkschrift fertiggestellt werden.

Das Kabinett war damit einverstanden.

Der Reichskanzler hielt es für erforderlich, daß nach Redaktion der Denkschrift durch die Kommission diese nochmals in einer Ministerbesprechung durchgesprochen werde11.

Fußnoten

1

Die vorliegende Fassung der Denkschrift über „Die Reparationslasten und Schäden (RR-Drucks. Nr. 29, 1925, I).

in R 43 I nicht ermittelt werden. Es findet sich dort lediglich das Begleitschreiben des RFM, mit dem ein Rohabdruck dieser Denkschrift am 6. 2. zur vertraulichen Kenntnisnahme übersandt wurde (R 43 I /796 , Bl. 17). Offenbar ist die Denkschrift nach dieser Kabinettssitzung wieder an das RFMin. zurückgegangen. Die Endfassung wird durch den RFM am 16.2.25 der Rkei, sämtlichen RMin. (R 43 I /455 , Bl. 25-67) und dem RT zugeleitet (RT-Drucks. Nr. 568, Bd. 398 ). Zur Vorgeschichte s. Dok. Nr. 10, dort auch Anm. 2–4.

2

Diesen Vorgängen gibt die Endfassung (s. Anm. 1) breiten Raum. Nach einleitenden Hinweisen auf die wirtschaftliche und politische Lage im besetzten Rhein- und Ruhrgebiet im Herbst 1923 heißt es dann: „Da das Reich außerstande war, nach Einstellung des passiven Widerstandes der leidenden Bevölkerung […] weiterhin finanzielle Hilfe zu bringen, und da ferner die Bemühungen der Reichsregierung, mit der französischen und belgischen Regierung zu einer unmittelbaren Fühlungnahme zu gelangen, erfolglos blieben, hatte sich in führenden Kreisen des besetzten Gebiets die Auffassung verbreitet, daß eine Rettung aus dem politischen und wirtschaftlichen Chaos nur noch auf dem Wege der unmittelbaren Verständigung mit dem Gegner möglich sei. Zugleich erreichten auch die separatistischen Treibereien ihren Höhepunkt. Eine Katastrophe von unabsehbarer Auswirkung schien nur noch vermeidlich, wenn es gelang, sofort die Betriebe in Gang zu setzen, die Arbeitslosigkeit zu beschränken und wenigstens die unerträglichen Bedrückungen durch den Gegner zu beseitigen.“ In diesem Augenblick höchster politischer Gefahr habe sich der Ruhrkohlenbergbau bereit erklärt, seine finanzielle Kraft zur Wiederaufnahme und einstweiligen Fortsetzung der Reparationskohlenlieferungen zur Verfügung zu stellen. Die Ruhrindustriellen hätten der RReg. angeboten, mit der Besatzungsmacht individuelle Lieferverträge über die kostenfreie Abgabe von Reparationskohle abzuschließen, sofern das Reich die Gutschreibung des Wertes dieser Lieferungen und ihre spätere Vergütung zusichern würde. Auf diese Vorschläge sei das Reichskabinett nach langwierigen Beratungen im Oktober und November 1923 eingegangen und habe in mehreren Schreiben des RK an die Sechserkommission des Bergbaulichen Vereins (Essen) die gewünschten Zusicherungen gegeben. Daraufhin habe die Sechserkommission am 23.11.23 das erste grundlegende Abkommen mit der Micum geschlossen, das im Laufe des Jahres 1924 durch fünf Zusatzabkommen ergänzt worden sei. – Der Denkschrift sind in 26 Anlagen zahlreiche Dokumente zu diesen Vorgängen beigefügt. S. vor allem in Anlage 8–13 die Schreiben Stresemanns an die Sechserkommission des Bergbaulichen Vereins vom 1., 3. und 13.11.23, in Anlage 14 die Micum-Abkommen vom 23.11.23 und vom 14. 4., 15. 6., 30. 6., 31. 7. und 3.9.24.

3

Hierzu findet sich auf S. 17 der Endfassung (s. Anm. 1) der folgende Passus: Der RFM habe sich insbes. bei seinem Abkommen mit der Ruhrkohle AG (s. Anm. 4 zu Dok. Nr. 10) über die Restzahlungen von dem Gedanken leiten lassen, „daß bei der finanziellen Lage der Wirtschaft im besetzten Gebiet gegen Ende 1924 einerseits und bei der damals gegebenen Kassenlage des Reiches andererseits eine Regelung und Abgeltung der schwebenden Verpflichtungen finanziell für das Reich vorteilhaft erschien, und daß er damals durch eine Abgeltung im Wege des Vergleichs die Verpflichtungen ihrer Höhe nach wesentlich ermäßigen und spätere Nachforderungen ausschließen konnte.“

4

Der Endfassung (s. Anm. 1) ist als Anlage 8 ein Schreiben des Verbandes der Bergarbeiter Deutschlands an die RReg. vom 20.10.23 beigefügt, worin die RReg. aufgefordert wird, die Finanzierung der Reparationslieferungen auf dem von der Ruhrindustrie vorgeschlagenen Wege durchzuführen.

5

Es handelt sich wohl um die zwischen dem RFMin. und der Ruhrkohle AG am 30.12.24 getroffene Vereinbarung über die endgültige Abfindung des Ruhrbergbaus (s. Anm. 4 zu Dok. Nr. 10). Das Abkommen ist der Endfassung als Anlage 24 beigefügt.

6

In der Endfassung der Denkschrift nicht behandelt.

7

Über diesen Vortrag, der am 17.12.24 stattgefunden hatte, fand sich in den Akten lediglich ein kurzer Vermerk Kempners gleichen Datums. Nähere Einzelheiten über den derzeitigen Stand der Verhandlungen mit der Ruhrindustrie werden darin nicht erwähnt, doch wird hervorgehoben, daß der RK den RFM ermächtigt habe, „die Entscheidung selbständig zu treffen.“ (R 43 I /795 , Bl. 296).

8

Dazu heißt es in der endgültigen Fassung der Denkschrift: Die RReg. habe bei Beginn ihrer Entschädigungsaktion (s. Anm. 3 zu Dok. Nr. 10) der Ruhrkohle AG zur Verteilung an die ihr angeschlossenen Entschädigungsberechtigten E-Schatzanweisungen [unverzinsliche Schatzanweisungen des Reichs, geschaffen 1924, s. dazu die vom RFM am 23.2.25 dem RT vorgelegte „Anleihedenkschrift 1924“, RT-Drucks. Nr. 709 , S. 5, Bd. 399] in Höhe von 143 Mio RM übergeben. Diese Schatzanweisungen seien auf Ersuchen des RFMin. größtenteils durch die Reichskreditgesellschaft AG in Berlin diskontiert worden, wobei den Industriellen ein Mindererlös gegenüber dem Nominalwert der E-Schatzanweisungen in Höhe von 18 Mio RM entstanden sei. Für diesen Verlust habe die RReg. dem Ruhrbergbau einen Ausgleichsbetrag von 16 Mio RM zugestanden.

9

Zu Zwecken der Nachentschädigung für Schäden im Sinne des Liquidationsschädengesetzes in der Fassung vom 20.11.23 (RGBl. I, S. 1148 ) und der Gewaltschädenverordnung vom 28.10.23 (RGBl. I, S. 1015 ) werden durch das RFMin. ab Ende März 1925 insges. 270 Mio RM zur Verfügung gestellt. Näheres dazu in den „Richtlinien über die Gewährung von Nachentschädigungen für Liquidations- und Gewaltschäden“ vom 25.3.25 (RMinBl., S. 245; ein Aktenexemplar nebst Begründung in R 43 I /796 , Bl. 102-112).

10

Zur Frage des Indemnitätsantrages s. weiter Dok. Nr. 21, P. 1.

11

S. Dok. Nr. 21, P. 1.

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