Text
[Genfer Verhandlungen.]
Der Herr Reichskanzler Dr. Marx führt nach einleitenden Worten, in denen er dem Herrn Reichsaußenminister Dr. Stresemann und der Deutschen Delegation in Genf2 für ihre aufopferungsvolle Tätigkeit den Dank der Reichsregierung ausspricht, folgendes aus:
Das französische Kabinett wird morgen bereits zu einer Beschlußfassung über das Anerbieten des Herrn Briand3 zusammentreten. Herr Dr. Stresemann hat den Plan gefaßt, noch in Genf zu bleiben, weil einmal heute im Völkerbundsrat noch wichtige Dinge zu besprechen sind, die Memelfrage usw., und weil er zweitens glaubte, es sei eine Art Beruhigung für die übrigen Länder; man sei etwas in Aufregung darüber geraten, daß Chamberlain und Briand abgereist seien; die sogenannten Kleinen seien böse, daß die Großen abgereist seien, und wenn Deutschland auch noch abreise, dann sei der Ärger sehr groß. Um die anderen Völker etwas zu beschwichtigen, habe Herr Dr. Stresemann es für praktisch gehalten, doch noch einige Tage in Genf zu bleiben. Er meinte, daß, wenn tatsächlich morgen schon das französische Kabinett zu einer Beschlußfassung komme, man allerdings auch sehr rasch von uns Stellung nehmen müsse. Herr Dr. Stresemann meine, er könnte vielleicht noch bis Mittwoch oder Donnerstag bleiben, behalte sich aber vor, erst am Donnerstag [23. 9.] abzureisen. Darüber werde man sich noch weiter aussprechen können.
[210] Ich habe aber geglaubt, die Herren heute bereits zu einer Ministerbesprechung einladen zu sollen, weil Herr Staatssekretär Dr. Pünder gestern abend zurückgekommen ist und an einer Reihe von Besprechungen teilgenommen hat, auch über die Besprechungen zwischen Herrn Dr. Stresemann und Herrn Briand unterrichtet ist und selbst auch mit anderen Herren und Herrn Briand Besprechungen gehabt hat. Es wird zweckmäßig sein, wenn Herr Staatssekretär Dr. Pünder zunächst den Bericht erstattet.
Staatssekretär Dr. Pünder: Über die Grüße des Herrn Dr. Stresemann und der gesamten Deutschen Delegation hat der Herr Reichskanzler schon berichtet. Ich darf nur wiederholen, daß die Deutsche Delegation insbesondere sehr dankbar war, daß sie auf Grundlage der Richtlinien, die seinerzeit im Kabinett beschlossen worden waren4, in Genf hat arbeiten können und daß sie nicht durch gewisse Nervositäten, die ja vielfach eintreten, gehemmt worden ist, durch plötzliche Kabinettsbeschlüsse, die dann nach Genf telegraphiert worden wären. Das ist mit ganz besonderem Dank begrüßt worden, und Herr Dr. Stresemann hat mich gebeten, das hier gleich vorzutragen, da es immerhin für die Zukunft als Erfahrungstatsache von einem großen Wert ist.
Wenn ich noch einiges Technische vorweg sagen darf, so war die Zusammensetzung der Deutschen Delegation diesmal eine eigenartige, indem Exekutive mit Legislative etwas vermischt war. Es waren nicht nur Beamte der Reichsregierung beteiligt, sondern auch vier Parlamentarier5. Das hat vielfach zu Zweifeln Anlaß gegeben, ob es zweckmäßig war6. Aus meiner eignen Erfahrung aus den ganzen letzten Wochen kann ich jedenfalls sagen, daß m. E. die Zusammensetzung eine sehr glückliche war, gerade durch die eigenartigen Beziehungen und Verhältnisse in Genf, wo keineswegs nur Kabinettspolitik getrieben wird, sondern über Journalisten, Deputierte, Parlamentarier, Freunde der einzelnen Delegierten hin und her gearbeitet wird. Es hat sich als sehr empfehlenswert gezeigt, daß auch deutsche Parlamentarier vertreten waren. Herr Minister Dr. Stresemann hat auch großen Wert darauf gelegt, daß dies alsbald zur Kenntnis des Kabinetts kommt.
Im übrigen darf ich bemerken, daß ein Parlamentsstenograph die einzelnen Punkte meines Vortrages mitschreibt, so daß weitere Notizen der Herren nicht[211] notwendig sind. Ich werde mir erlauben, den Herren Ministern zur vertraulichen Kenntnisnahme die einzelnen Nummern der Durchschläge heute Nachmittag zuzustellen.
Im einzelnen darf ich vielleicht zunächst über die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund und die ständigen Ratssitze sprechen. Zweitens über die Wahl der nichtständigen Ratsmitglieder, drittens über die Verhandlungen über die Aufhebung der Interalliierten Militär- und Kontrollkommission und viertens über die deutsch-französischen Sonderverhandlungen und dann noch darüber, was der Herr Reichskanzler auch schon wegen des Abschlusses der Konferenz vorweg genommen hat.
Die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund und Zuteilung der einzelnen ständigen Ratssitze ist den einzelnen Herren bekannt7. Es sind etwas retrospektive Betrachtungen. Ich kann mich darüber kurz fassen, weil ich noch verschiedenes andere eingehender vortragen muß. Jedenfalls endete die Sache mit einem völligen Erfolg Deutschlands. Die überragende Stellung der Deutschen Delegation in Genf trat ganz evident in die Erscheinung, derart, daß z. B. bei anderen Chefdelegierten, z. B. bei Herrn Chamberlain gewisse Mißstimmungen eintraten, daß er vielleicht nicht so in den Mittelpunkt gerückt war, wie es bei den anderen Konferenzen gewesen ist. Es ist vollkommen unrichtig, wenn es in einem Teil der deutschen Presse so dargestellt worden ist, als wenn Deutschland gewissermaßen durch den Eintritt in den Völkerbund und in den Rat als ständiges Mitglied eine minderwertige Rolle als Vasall oder Satrap der anderen Großmächte spielte. Es war genau umgekehrt: im Vordergrund des gesamten Interesses stand die Tätigkeit und die Anwesenheit der Deutschen Delegation.
Die Reden, die gewechselt worden sind, sind bekannt. Auf die Reden von Briand und des Herrn Ministers Dr. Stresemann8 brauche ich nicht weiter einzugehen. Nur das eine darf ich vielleicht erwähnen. Überaus bemerkenswert ist weniger die Tatsache, daß Minister Briand diese Rede bei der Aufnahme Deutschlands in den Rat hat halten können, als der Umstand, daß er nicht von Frankreich desavouiert worden ist; einzelne Pressestimmen ausgenommen. Aber im allgemeinen hat er den vollen Beifall auch Frankreichs gefunden.
Im übrigen erschöpfte sich die eigentliche Arbeit des Völkerbundes in den Arbeiten der einzelnen Kommissionen. Darüber ist vielerlei durch die Presse gegangen. Zusammenfassend ist zu sagen, daß diese eigentliche Tätigkeit des Völkerbundes für Deutschland reichlich uninteressant war; aber immerhin mußte sie auch geleistet werden. Aber es zeigte sich, daß der Apparat des Völkerbundes dasjenige Instrument ist, auf dem gespielt werden muß, um die großen Fragen, die Deutschland berühren, vorwärts zu bringen.
[212] An den Kommissionsberatungen haben in erster Linie parlamentarische Delegierte teilgenommen; sie haben in besonders aufopferungsvoller Weise sich in die Materien der einzelnen Kommissionen gestürzt, und sie waren meist von einzelnen Experten begleitet, die ihnen von Ministerien beigegeben waren.
Was die Wahl der nichtständigen Ratsmitglieder9 angeht, so ist die Haltung der Deutschen Delegation vielfach angegriffen worden. Es sind auch in Berlin gewichtige Stimmen laut geworden, daß insbesondere die Deutsche Delegation nicht gut daran getan hätte, für den polnischen Ratssitz zu stimmen. Auch sonst wurde gesagt, es sei evident in die Erscheinung getreten, daß der alte Kriegsbund, daß die Entente gegen Deutschland übermächtig im Völkerbundsrat vertreten sei. Zu diesem Thema darf ich folgendes erwähnen.
Gerade im Hinblick auf die gewichtigen Bedenken, die aus Berlin geäußert worden sind10, hat Herr Minister Dr. Stresemann in einer überaus eingehenden Delegationssitzung diese Frage ausführlich zur Erörterung gestellt11. An diesen Delegationssitzungen – wenn ich das einschieben darf – haben immer teilgenommen die drei Chefdelegierten des Auswärtigen Amts, der Herr Minister, Herr von Schubert, Herr Gaus und die vier parlamentarischen Delegierten und Herr Staatssekretär Weismann, Herr Kiep und meine Wenigkeit.
Was die Zusammensetzung des Rats angeht, so steht zunächst das Problem Polen im Vordergrund. Es war angeregt worden, Deutschland möchte sich bei dieser Abstimmung über Polen der Stimme enthalten. Dieser Vorschlag verkennt aber den Wahlmodus, wie er in der zuständigen Kommission des Völkerbundes festgelegt war. Der Wahlmodus geht dahin, daß durch den Präsidenten des Völkerbundes jedes einzelne Land aufgerufen wird. Es muß einen verschlossenen Zettel abgeben, auf dem neun einzelne Staaten aufgeschrieben sind, und die Namen dieser geheimen Zettel werden nachher zusammenaddiert, und es ergibt sich dann die Zahl der Stimmen, die für jedes einzelne Land abgegeben worden sind. Ein vorheriges Angebot irgendeines einzelnen Landes, selbst in den Rat zu kommen, liegt bei diesem Wahlmodus nicht vor. Jedes einzelne Land muß von sich aus neun Länder benennen. Zur Frage hätte also nur stehen können, ob Deutschland erstens überhaupt nur 8 Namen aufschreibt – das würde einen direkten Verstoß gegen den Wahlmodus bedeutet haben –, oder[213] ob es an Stelle des Favoriten Polen als neuntes Land ein ganz ausgefallenes Land auf den Zettel geschrieben hätte, Honolulu oder Nicaragua. Das wäre aber gerade bei dem Ansehen, das die Deutsche Delegation gehabt hat, völlig unmöglich gewesen. Selbstverständlich wurde überaus ängstlich und neidisch und mißgünstig darauf geachtet, wie die einzelnen Delegationen gerade bei der polnischen Frage sich verhalten würden. Die ganzen sechs Monate vor dem Eintritt Deutschlands in den Rat waren eigentlich ausgefüllt mit der Frage: wie löst man dieses Problem? Deutschland verlangt allein den ständigen Ratssitz; auf der anderen [Seite] steht Polen, das auch auf irgendeine andere Weise befriedigt werden muß. Da kamen die bekannten Beschlüsse in der zweiten Auflage mit der Wiederwählbarkeit12. An diesen Beratungen hatte die Deutsche Delegation, auch vorher Herr Gaus, teilgenommen. Jetzt zurückzutreten und eine ganz ausgefallene Kandidatur vorzuschlagen, würde dem ganzen Verhalten der Deutschen Delegation und der deutschen Außenpolitik in den vergangenen Monaten ins Gesicht geschlagen haben, es hätte sich auch nicht mit der Würde der Deutschen Delegation vertragen. Denn gerade bei diesen Vorverhandlungen, wie der Rat zusammengesetzt würde, standen Herr Dr. Stresemann und Herr von Schubert insbesondere dauernd im Vordergrund der Erörterung. Es ging tagelang hinter den Kulissen hin und her, wie der Rat zusammengesetzt würde, und der Einfluß, der von Deutschland ausging, war ganz überragend.
Also Deutschland hat versucht, bis zum Schluß die Dinge zu leiten. Aber aussichtslose Sachen zu unternehmen, geradezu lächerliche Unternehmungen, das hätte der Würde Deutschlands widersprochen.
Also in dieser Delegationssitzung13 waren einmütig alle neun Herren der Auffassung: es wird sich nicht umgehen lassen, auch Polen unter diesen neun Ländern zu bezeichnen14.
[214] Eine ganz andere Frage war es natürlich: wie wird es mit der Wiederwählbarkeit? Hier war die Deutsche Delegation völlig einer Meinung mit dem größten Teil der deutschen öffentlichen Meinung, daß man hier Polen nicht entgegenzukommen brauche. Zwar war durch die Beschlüsse der Studienkommission15 festgelegt worden, daß dieses eigentümliche Gebilde der Wiederwählbarkeit eingeführt werden sollte16, aber daß wir wieder die Hand dazu bieten sollten, daß Polen für wiederwählbar erklärt würde, war nicht notwendig. Hier war der Wahlmodus ein anderer. Nachdem alle neun Länder einzeln gewählt waren, mußten die Länder, die für sich beanspruchten, für wiederwählbar erklärt zu werden, dies beantragen. So hat auch der polnische Außenminister den Antrag gestellt. Das konnte natürlich von den einzelnen Ländern mit Ja oder Nein oder mit Stimmenthaltung beantwortet werden. Das Stimmenverhältnis war tatsächlich so, daß 36 dafür gestimmt haben, 4 Stimmenthaltungen, darunter die deutsche Stimme, und 8 Stimmen waren dagegen. Wer das im einzelnen gewesen ist, war nicht ganz klar; wahrscheinlich waren es Stimmen aus Mittel- und Südamerika. – Soweit über Polen.
Wie sehr die Deutsche Delegation tätig war, eine zweckmäßige Zusammensetzung des Rats herbeizuführen, erhellt gerade aus der Frage der Behandlung von China. China, das Land von 400 Millionen – 1500 Millionen hat der ganze Völkerbund – drohte aus dem Völkerbund auszuscheiden, wenn es nicht in den Rat gewählt würde, und zwar auf drei Jahre. China hat die bekannten Beziehungen zu Rußland, wenigstens zu einem großen Teil der heutigen leitenden Kreise Rußlands, und auch sonstige gute Beziehungen leiten zu Deutschland über, und es steht in einem ganz schroffen Gegensatz zu England. Englands Favorit in Zentralasien ist Persien, und Chamberlain hat sich überaus große Mühe gegeben, anstelle von China Persien in den Rat hineinzubringen, und die gesamten Dominions, die ja einzeln im Völkerbund auftreten – sehr zum Leidwesen Englands –, waren schon für diesen Fall von England gewonnen. Die sämtlichen englischen Stimmen waren für Persien sicher. Aber gerade die Deutsche Delegation war bei Amerika, insbesondere Südamerika, auch bei einigen afrikanischen Staaten und auch Zentraleuropa tätig, um China die Stimme zu sichern.
Ganz am Schluß wurde ein neuer Versuchsballon von England dahin losgelassen, China zahle schon seit Jahren seinen Beitrag zum Völkerbund nicht[215] mehr, infolgedessen sei es nicht würdig, Sitz und Stimme zu haben. Darauf hat China etwas scherzhaft geantwortet, sie wären nicht in der Lage, ihre Finanzen so schnell in Ordnung zu bringen, sie wären seit 40 Jahren in Unordnung, mit der Bezahlung des Beitrages hätte es gute Weile, das ginge nicht so schnell, aber trotzdem müsse China bitten, in den Rat aufgenommen zu werden. – China war unter den neun Ländern, die in den Rat gewählt werden sollten. Persien hatte nicht genügend Stimmen, und bei der letzten Nachwahl, die bezüglich des neunten Sitzes notwendig geworden war, verlor Persien. China hatte drei Jahre verlangt. Aber es ist doch der Überredungskunst des Herrn Ministers Dr. Stresemann gelungen, es mit zwei Jahren zufriedenzustellen. Die Zentralamerikaner und überhaupt Latein-Amerika hatten den Wunsch geäußert, daß drei Länder in dieser Gegend der Erde in den Rat Aufnahme finden sollten. Die einzelne Auswahl war natürlich den Amerikanern überlassen, und sie kamen mit dem Vorschlag heraus, Chile, Kolumbien und Salvador in den Rat zu entsenden.
Dieserhalb ist auch die Deutsche Delegation angegriffen worden, weil sie zugestimmt hat; nach Ansicht der Deutschen Delegation zu Unrecht. Chile ist ein Land, das im engsten Einvernehmen mit Deutschland weiterzuarbeiten wünscht. Von Kolumbien war eben der Bericht des früheren Herrn Reichskanzlers Dr. Luther eingegangen, der besagt, mit welch überaus großem Enthusiasmus er gerade in Kolumbien aufgenommen worden sei, daß Kolumbien keinen anderen Wunsch hätte, als die gesamten staatlichen Einrichtungen nach deutschem Muster auszubauen, und Wert darauf lege, im engsten Einvernehmen mit Deutschland im Völkerbund zu arbeiten, obschon es mit Deutschland im Krieg gelegen hat, wie überhaupt oberster Grundsatz der Beurteilung dieser Frage sein muß, daß es falsch ist, einfach zu sagen: mit dem Lande hat Deutschland Krieg geführt, dieses Land gehört der Entente an, jenes nicht. Die Weltkonstellation hat sich von Grund aus geändert. Das erhellt insbesondere aus dem Beispiel, das Belgien gibt. Auf der ganzen Erde ist kein Land, das uns besser Freund ist, als im Augenblick gerade Belgien, jedenfalls viel mehr als das sogenannte neutrale Holland, das im Augenblick viel mehr nach der Entente hinüberschielt und dort Einfluß sucht.
Salvador ist eins der wenigen Länder, mit denen Deutschland wirklich keinen Krieg geführt hat; es ist also vollkommen einwandfrei. – Soweit über Zentralamerika.
Holland ist auch einwandfrei; das ist der berühmte neutrale Staat Zentraleuropas. Der deutschen Öffentlichkeit ist ja damit Rechnung getragen. Aber, daß Holland uns im Rat der Völker sehr viel nutzen wird, ist überaus zweifelhaft.
Daß Belgien hereinkam, ist von der Deutschen Delegation auch sehr dankbar begrüßt worden, und es sind auch die Bemühungen bekannt geworden, Belgien zu bestimmen, sich für wiederwählbar erklären zu lassen. Aber Belgien hat davon Abstand genommen, hat aber sehr dankbar quittiert, daß dieser Vorschlag von Deutschland ausgegangen war. Das war sehr fruchtbar für die späteren Verhandlungen, auf die ich noch zu sprechen komme.
[216] Der einzige Schönheitsfehler der Zusammensetzung des Rats ist die Tschechei. Es ist auch bekannt geworden, daß Deutschland sich an Stelle der Tschechen Finnland im Völkerbundsrat gedacht hatte. Die Haltung Finnlands zu Deutschland während des Krieges und der Nachkriegszeit ist ja bekannt. Leider ist dies die einzige Niederlage, die die Deutsche Delegation davongetragen hat. Aber schließlich war es nicht anders möglich. Es sind 14 Stimmen gewonnen worden. Es ist erreicht worden, daß Zentralamerika, auch Asien und Afrika, in der Hauptsache sich für Finnland erklärt hatten. Aber es kamen schließlich bloß diese 14 Stimmen zusammen. Auch in der Nachwahl war es nicht möglich, obgleich während der Sitzung noch Verschiedenes nach der Richtung hin getan wurde, sehr viel mehr Stimmen für Finnland zu retten. Es blieb schließlich bei der Tschechei.
Bezüglich der Tschechei ist hervorzuheben, daß in der Tschechei 3½ Millionen Deutsche wohnen und daß sich bereits die gegenwärtige Regierung zwar nicht im Wege der Parlamentsmehrheit, aber sonst praktisch auf die Mitarbeit dieser 3½ Millionen Deutschen stützen muß und daß eine Kabinettsergänzung für die nächsten Monate bevorstehen soll, wo ausdrücklich die parlamentarische Vertretung der 3½ Millionen Deutschen in die Regierung eintreten wird.
Außerdem ist zu bemerken, daß der Exponent der Tschechei im Völkerbund, Herr Benesch, eine überragende Persönlichkeit ist und im Rate der Völker einen sehr starken Einfluß ausübt, gerade weil er sich stets auf die 3½ Millionen Deutschen stützen muß, und es ist keineswegs ausgeschlossen, daß es sehr viel wertvoller ist, diesen Mann nicht gerade vor den Kopf zu stoßen, sondern zu versuchen, sich mit ihm zu arrangieren.
Schließlich bleibt noch die Frage Rumäniens übrig. Rumänien ist Vertreter der Kleinen Entente im Rate der Völker. Deutschland hat auch nicht dagegen gestimmt. Es ist insbesondere hierbei zu bemerken, daß es auch hier falsch wäre zu sagen: mit Rumänien haben wir Krieg geführt. Die gegenwärtige Politik in Rumänien wird bestimmt von Averescu und seinen Freunden. Averescu war bekanntlich während des Krieges deutschfreundlicher Exponent im Lande zusammen mit dem verstorbenen früheren König17, und es drohte ihm, gehängt zu werden. Zahlreiche Freunde von ihm sind gehängt worden, und er ist jetzt am Ruder und ist ernstlich bestrebt, die Politik am Ruder der Regierung ganz im Gegensatz zu der Politik umzulegen, die Rumänien im Kriege geführt hat.
Soweit über die Zusammensetzung des Rates.
Über die Wiederwählbarkeit habe ich schon gesprochen. Polen hat den Antrag gestellt, für wiederwählbar erklärt zu werden. Der Antrag wurde mit einer Mehrheit von 36 Stimmen angenommen. Die Routiniers des Völkerbundes sagen, die Mehrheit von 36 Stimmen sei überaus gering, und es sei überaus unwahrscheinlich, daß daraus Polen die Wahrscheinlichkeit herleiten könne, nach diesen drei Jahren wiedergewählt zu werden. Es sei ein großer Reinfall, daß acht verneinende und vier enthaltende Stimmen dagegen gestanden hätten. Dadurch, daß überhaupt Polen allein als wiedergewählt bezeichnet worden ist, wird ganz allgemein dieses Institut der Wiederwählbarkeit als Farce[217] angesehen und eigentlich belächelt. Ein besonderer Vorteil springt dabei nicht heraus.
Die beiden anderen für wiederwählbar erklärten Stühle sind nicht besetzt worden. Man denkt immer noch daran, daß Spanien und Brasilien in einiger Zeit wieder zurückkehren würden und daß diese beiden Länder für wiederwählbar erklärt werden könnten. Die Deutschen versuchten, Belgien zu einem solchen Antrag zu veranlassen; das habe ich bereits berührt. Aber Belgien hat sehr dankbar dafür quittiert, aber selbst gebeten, davon Abstand zu nehmen, es lege auf diese Sache absolut keinen Wert.
Nachdem die nichtständigen Mitglieder in den Rat gewählt worden waren, fand am übernächsten Tage die erste Ratssitzung statt18. Es ist also richtig, daß nach der Aufnahme Deutschlands als ständiges Ratsmitglied nicht erst eine Ratssitzung war, sondern daß man noch einige Tage gewartet hat, bis die Nichtständigen auch dabei waren. Einen Prestigeverlust kann man hierin nicht erblicken; denn es wäre überaus unzweckmäßig gewesen, erst eine Sitzung mit dem unvollständigen Rat zu veranstalten.
Jedenfalls wurde in dieser Ratssitzung, die darauf stattfand, Deutschland wieder mit einer Fülle von Ehren überschüttet. Zunächst hat der Vorsitzende Herrn Stresemann den Vorsitz angeboten, und zwar von jetzt ab für die gegenwärtige Tagung im Rat zu präsidieren. Es ist aber vorher in der Delegation darüber beraten worden, ob es zweckmäßig sei, diesen höflichen Vorschlag anzunehmen. Man hat ihn aus zwei Gründen abgelehnt. Erstens wurde das als freundlicher Akt gegenüber dem betriebsamen Herrn Benesch angesehen, daß man ihm für etwa zwei Sitzungen den Vorsitz beließ. Zweitens wäre der praktische Erfolg gleich Null gewesen. Viel wichtiger ist es, daß für die nächste Völkerbundsratssitzung im Dezember, die vielleicht auch Wochen dauert, Deutschland lange Zeit den Vorsitz hat, was schon einwandfrei feststeht. Das ist viel wertvoller, als wenn Deutschland jetzt in zwei Sitzungen präsidiert hätte. Herr Minister Stresemann hat dankend abgelehnt. Darauf hat Herr Benesch eine sehr prononcierte Rede gehalten, indem er den Vorsitz wieder dankend übernahm und sich mit überaus freundlichen Worten an das neue ständige Ratsmitglied Deutschland wandte, in einer Erörterung von vielleicht vier oder fünf Minuten, und nach einer Pause wurden die sieben anderen neuen Ratsmitglieder alle hintereinander erwähnt, ohne daß von den einzelnen etwas Besonderes gesagt worden wäre.
Im übrigen war es nicht besonders interessant. Es war eine kleine Erörterung, meist nur Formalitäten.
Neben diesen Völkerbundsverhandlungen gingen die Frage der Aufhebung der Interalliierten Militär- und Kontrollkommission19 und die deutsch-französischen Sonderverhandlungen. Gerade bei den Verhandlungen über die[218] I.M.K.K. zeigte sich, wie wertvoll die Mitnahme der Parlamentarier war. Sehr bald waren Fäden gesponnen, insbesondere zwischen dem Deutschen, Herrn Dr. Breitscheid, und seinen Parteifreunden in Paris, die in großem Schwarm Herrn Briand umgaben, insbesondere zwischen Herrn Dr. Breitscheid und Herrn Grumbach, einem bekannten französischen Redakteur. Ich habe oft mit ihm zu tun gehabt. Er ist sicher sehr bestrebt gewesen, im Sinne des Ministers Briand bei der völligen Bereinigung aller bestehenden Schwierigkeiten mitzuwirken.
Wir schoben in den Vordergrund die Frage der sofortigen Abberufung der I.M.K.K. Herr Grumbach war natürlich nicht orientiert. Wir haben ihm am Nachmittag zwei Stunden lang eingepaukt. Er war vollkommen im Bilde über jeden einzelnen Punkt. Auch über Königsberg, auf Grund der dankenswerten Zusammenstellung, die uns mitgegeben worden war20. Mit diesem Material im Kopf hat er sich zu Briand begeben, der uns am folgenden Tage mitteilen ließ, die Noten, die wir Herrn Grumbach mitgeteilt hätten, seien ihm noch nicht bekannt, auch nicht die letzten Beantwortungen. Daraufhin habe ich mein Material, das ich hatte, d. h. die sämtlichen deutschen Noten mit den Beantwortungen, nachdem die Kabinettsbeschlüsse und sonstigen Beigaben herausgeheftet waren, Herrn Grumbach gegeben. Das fand ich dann im Besitz von Herrn Briand. So ging das hin und her. Er hatte die Noten in der Hand. Man sieht, daß er auf diesem Geschäftsgang das Material schneller bekam als durch seine eigenen Leute. Die deutschen und französischen Beantwortungen sind dann noch einmal in der französischen Delegation durchgeprüft worden, und am Tage darauf wurden Herr Weismann und ich zu der Besprechung mit Briand bestellt21. Sie dauerte fünfviertel Stunden und endete damit, daß Briand uns freimütig erklärte, selbstverständlich vertrüge sich das nicht mit dem Geist des Völkerbundes und der Tatsache des Eintritts Deutschlands in den Rat, daß eine solche Kontrollkommission sich länger in Deutschland aufhalte. Über Einzelheiten sei er leider absolut nicht orientiert. Er hätte nur allgemein gehört, es seien noch einige Bodensätze übrig. Er hätte den dringenden Wunsch, daß auch diese sofort bereinigt würden. Wenn es nach ihm ginge, könnte die I.M.K.K. morgen früh Berlin verlassen. Er würde innerhalb der Delegation nochmals mit seinen Herren reden, auch noch einen Sachverständigen aus Paris kommen lassen, und es wäre gut, wenn wir diese Details mit seinen Herren noch einmal besprächen. Darauf war am Tage darauf eine Besprechung wieder von Herrn Weismann und mir mit Herrn Massigli, dem Generalsekretär der Botschafterkonferenz, der die einzelnen Noten, wie er selbst erklärt hat, selbst verfaßt hat. Herr Massigli ist ein sehr vorsichtiger Mann, der sehr genau orientiert ist und immer den reinen Rechtsstandpunkt hervorkehren will und aus Schwierigkeiten[219] zusammengesetzt ist, der allerdings schon von oben offensichtlich Weisung erhalten hatte, auch von sich aus für eine Bereinigung der ganzen Angelegenheit Sorge zu tragen. Wir sind jeden einzelnen Punkt durchgegangen, vom Generalinspekteur angefangen22. Wir haben die Noten noch einmal durchgesprochen, und es zeigte sich, daß er in der Beziehung ganz befriedigt war. Schwierigkeiten wollte er insbesondere mit unserem Angebot über die Verwaltungseinrichtungen des Heeres machen, von dem wir neulich hier gesprochen haben, worüber die dicke Bibel vorliegt23. Wir haben uns besonders an Herrn Grumbach gewandt. Ich führte aus, daß es ganz ausgeschlossen sei, in Deutschland trotz besten Willens alle diese Gebäude abzureißen. Die wirtschaftliche Lage Deutschlands sei viel bedrückter als die Frankreichs, wenigstens in der Beschäftigung der Industrie. Diese Verwendungsmöglichkeiten für die Gebäude wären im Augenblick nicht gegeben. Sie müßten sich dabei zum Teil mit dem deutschen Willen im Augenblick beruhigen. Jedenfalls könnte die Kommission deshalb nicht mehr Wochen und Monate sich in Deutschland aufhalten. Herr Grumbach sah das ein. Er sagte auch, es wäre ganz ausgeschlossen, der Punkt müßte als erledigt angesehen werden. Herr Massigli, der erst gesagt hatte, es müßten in dieser Beziehung noch ernsthafte Pläne vorgelegt werden, fühlte sich auch befriedigt.
Als erledigt wurde auch der Fall der Ein- und Ausfuhr von Kriegsmaterial24 bezeichnet. Bezüglich Königsberg25 sagte uns Briand schon, er hätte veranlaßt – wir sprachen jetzt vor vier Tagen darüber –, daß gerade an dem Tage eine Kommission Königsberg bereise, um nachzusehen, ob alles stimme, was vereinbart worden war und was die deutschen Noten enthalten.
Generalleutnant von Pawelsz: Das ist bereits geschehen. Es ist alles gut verlaufen. Die Kommission hat die Strecke, die in Frage stand, revidiert und sie so gefunden, wie wir es ihr gesagt haben. Darauf hat sie noch den Wunsch gehabt, noch eine anschließende Strecke zu besichtigen, wofür sie eigentlich nicht berechtigt war. Es wurde ein Herr mitgeschickt. Gott sei Dank ist die Division darauf eingegangen, weil wir tatsächlich nichts zu verbergen hatten. Diese anschließende Strecke ist auch besichtigt worden, so daß der Eindruck nur zufriedenstellend gewesen sein kann.
Staatssekretär Dr. Pünder: Das wird gut wirken. Briand hat immer wieder betont: Hoffentlich passiert in Königsberg nichts Neues.
[220] Zwei sehr wichtige Punkte waren die Frage der Polizei und der Verbände. Bezüglich der Polizei hat Herr Staatssekretär Weismann mit fabelhafter Geschicklichkeit gegenüber Briand operiert, hat ihm das Material, das in der letzten Kabinettssitzung zum Ausdruck kam26, vorgetragen, die bekannte Note von Boulogne, 100 000 Mann Schupo, 50 000 Mann Kriminalpolizei27, daß man eigentlich nur 42 000 Mann Nachtwächter usw. konzedieren könnte28. Er hat hervorgehoben, daß diese Polizeifrage für uns ein viel stärkeres Interesse hätte als für die Gegenseite. Das wäre ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Ordnung, aber nicht zum Kampf gegen das Ausland. Herr Briand hielt den Standpunkt Deutschlands, diese 8000 Mann konzediert zu bekommen, für ein selbstverständliches Verlangen. Er sagte, er müßte darüber noch mit seinen Herren reden. Am nächsten Tag haben wir auch mit Herrn Massigli diesen Punkt berührt. Er zeigte sich sehr erheblich geneigt, die 8000 Mann zu konzedieren. Die Verhandlungen sind noch nicht ganz beendet, aber in den nächsten Tagen wollte sich auch Herr Massigli mit Herrn von Schubert darüber aussprechen. Ob damit die Angelegenheit der Polizei endgültig erledigt sein wird, wissen wir noch nicht. Aber wahrscheinlich ist, daß die 8000 Mann konzediert werden29.
Der schlimmste Punkt ist die Frage der Verbände30. An sich waren die Herren mit der Note und mit dem deutschen Gesetz und mit dem Rundschreiben des Herrn Reichsministers des Innern einverstanden, sie erkannten auch den guten Willen an, aber sie sagten, in Wirklichkeit sähe die Sache in Deutschland ganz anders aus, und Herr Massigli zog aus seiner Tasche alle möglichen Schriften, so z. B. „Die Wehrmacht für die deutsche Jugend“, Verlag von Harries in Halle, „Turn- und Sportbuch“, „Stahlhelm“ und noch verschiedene ähnliche Schriften, die nicht viel anders waren – muß ich offen sagen – als die früheren Felddienstübungen, die die Soldaten verwendet haben. Das waren überaus unangenehme Erörterungen, der Gegenseite auseinanderzusetzen, daß das eigentlich nur Soldatenspielerei sei und keine Bedeutung hat und daß wir an der Beseitigung der lächerlichen Mißstände ein viel größeres Interesse hätten als die Franzosen. Das letztere sahen sie ein, aber sie blieben dabei, daß hier noch außerordentlich viel zu erledigen sei. Erledigt ist der Punkt noch nicht. Ob bezüglich der Verbände noch eine Note kommt, ist zweifelhaft. Schließlich mußten wir zu Ende kommen. Ich erklärte: es ist ganz evident, die meisten Punkte sind[221] bereinigt, irgendein paar kleine Punkte können übrig bleiben. Bezüglich der Polizei und der Verbände müßten wir uns noch verständigen. Ist es dazu aber notwendig, daß die I.M.K.K. noch ad calendas Graecas in Berlin sitzen sollte? Es wurde zwischen uns erörtert, sie sollte zunächst am 1. Nov. verschwinden. Da war die große Aussprache Briand-Stresemann31 noch nicht gewesen. Das wurde als ausgeschlossen bezeichnet. Am 1. November wäre die Sache noch nicht bereinigt. Schließlich bin ich auf den Vorschlag, der im Kabinett gemacht worden war, gekommen, wonach die Kommission sofort verschwinden sollte, daß aber einige namentlich bezeichnete Offiziere noch den Auftrag erhalten sollten, ad hoc hierher zu kommen und binnen einer bestimmten Frist die Bereinigung der Punkte zu überprüfen32. Herr Massigli schien dem Vorschlage sehr geneigt, stellte es aber so dar, als wenn es nicht im Interesse Deutschlands wäre, wenn die Kommission geschlossen wegginge. Das haben wir bestätigt; aber das deutsche Interesse hört dann bald auf, wenn es nicht sehr bald geschieht, sondern sich noch hinzieht. Es ist möglich, daß bei der Aussprache Schubert-Massigli33 so etwas herauskommt, daß die Kommission sofort verschwindet und ein ganz kleiner Stab von Offizieren im Sinne ihres Vorschlags noch hier bleibt, falls nicht im Sinne der großen Politik auch diese Frage sich nicht noch etwas günstiger regeln sollte.
Soweit über die Entwaffnung.
Ich komme jetzt zu dem Angelpunkt der ganzen Angelegenheit, zu den deutsch-französischen Verhandlungen. Briand hatte schon in einem frühzeitigen Stadium der Konferenz Stresemann wissen lassen, daß er den Wunsch habe, sobald die großen Völkerbundsfragen, insbesondere die Ergänzung des Rats, erledigt seien, mit ihm eine ganz große Aussprache über die gesamten deutsch-französischen Verhältnisse zu haben34. Diese Aussprache wurde schließlich, nachdem die Ratsfrage erledigt war, für vergangenen Freitag [17. 9.] in einer überaus geheimen Weise vorbereitet. Es wußte zeitweise nur der Professor Hesnard – Herr v. Schubert sollte35 auch nichts davon wissen –; Professor Hesnard auf der französischen Seite und meine Wenigkeit auf der deutschen Seite haben den Ort ausgesucht. Thoiry ist eine halbe Stunde von Genf entfernt auf französischem Gebiet. Professor Hesnard hat es sich angelegen sein lassen, die Straße abzufahren. Man konnte auf verschiedenen Routen hingelangen. Es ist ein kleiner Ort mit kleinen, sehr guten Hotelchen. Es wurden doppelte Autos verwendet. Die beiden Minister verließen zu einer völlig unvorhergesehenen Zeit das Hotel und fuhren zunächst nach einem anderen Punkt, wo das Delegationsauto bereit gehalten wurde, das sie dann hinbrachte, so daß tatsächlich niemand von den vielen hundert Leuten der Presse von der Zusammenkunft etwas erfahren hatte, obgleich schon Wetten von mehreren hundert Dollar[222] stattgefunden hatten, daß bestimmt Ort und Zeitpunkt der Besprechungen herauskommen würden. Am Morgen dieses Tages hat eine kleine Besprechung der Teilnehmer der Delegationssitzung, die ich eingangs erwähnte, stattgefunden, worin das Problem der deutsch-französischen Politik von Herrn Stresemann zur Erörterung gebracht wurde. Ausgangspunkt war der Kabinettsbeschluß der letzten Kabinettssitzung36:
1.) wenn es möglich ist, Generalbereinigung;
2.) wenn es nicht möglich ist, die großen Einzelfragen: Erleichterung im besetzten Gebiet, die besonders ihren Niederschlag gefunden hat in der Kabinettsvorlage des Herrn Reichsministers Dr. Bell37, die auch neulich besprochen worden ist.
Zu Punkt 1): Ist die Generalbereinigung möglich, hat man sich in der Delegation auf den Standpunkt gestellt, folgendes zu verlangen: 1. müsse bezüglich der Saar der Rückkauf der Saargruben sofort konzediert werden. Bezüglich der Frage des Preises ist bekannt, daß damals von Deutschland ein Betrag von 1,1 Milliarde Goldmark angegeben worden war als uns anzurechnender Gegenwert. Aber damals war das Interesse daran umgekehrt. Die Reparationskommission hat diese Summe damals nicht anerkannt und sich in einem Gutachten dahin geäußert, daß sie nur 290 Millionen Goldmark wert seien. Die Frage ist nie endgültig entschieden worden, und Herr Stresemann hat sich nach der Aussprache in der Delegation dahin zusammengefaßt, daß er dieses erste Angebot von 1,1 Milliarden einfach etwas unter den Tisch fallen lassen wollte und nur hervorheben wollte, daß bereits die Reparationskommission seinerzeit das Gutachten abgegeben hätte für die 290 Millionen Mark. 300 Millionen würden also wohl das deutsche Angebot sein. Auf das Ergebnis komme ich gleich in diesem Zusammenhang. Ich will nur erst die Programmpunkte erwähnen. Also Rückkauf der Saargruben, politische Rückgabe des Saargebiets, Frage der Volksabstimmung oder ohne Volksabstimmung. Das wurde von der Delegation verschieden beurteilt. Jedenfalls wurde gesagt, Deutschland hat ein gutes Gewissen, man kann auch eine Volksabstimmung tragen; wenn es aber ohne eine solche geht, ist es besser. Zeitpunkt: so schnell als möglich; es müßte sofort begonnen werden. Erledigung im Laufe des nächsten Jahres mit allen Details.
Falls Punkt 1) in diesem Sinne erledigt würde, käme Punkt 2): zu verhindern, daß die Saarleute, wie sie immer sagen, aus dem Regen des Völkerbundes in die Traufe der besetzten Zone kämen, also auch eine sofortige Einbeziehung der zweiten und dritten Zone in dieses Arrangement, also Abzug der gesamten Besatzung sofort aus der zweiten und dritten Zone. Wenn Briand auf die Frage der Gegengabe kommen würde, ist das bekannte Problem der Eisenbahnobligationen eingehend besprochen worden, das auch seinerzeit im Kabinett schon besprochen worden ist. Es war mit Chamberlain über die Dinge gesprochen worden. Er sagte, er begrüße die in Aussicht stehenden Verhandlungen und er erwarte einen positiven Erfolg. Es ist grundfalsch, wenn in der heutigen englischen Presse schon steht, die Engländer witterten einen deutsch-französischen[223] Bund und sie rutschten hinten herunter und schauten scheel auf die Verhandlungen. Das ist ganz falsch. Chamberlain hat mehrfach erklärt, er beteilige sich nicht daran, aber er hoffe dringend auf positiven Erfolg. Aber das hat er auch gesagt: diese wirtschaftlichen Vorteile Frankreichs nur im Rahmen der bestehenden Bestimmungen, also Frankreich nur 52%38, also keineswegs eine wirtschaftliche Sondergabe für Frankreich.
Die große Frage war: was wird Frankreich auf diesem Gebiete verlangen? In der Delegation hat man gesagt: man wird bei der Mobilisierung etwa bis zur Höhe von 1,5 Milliarden gehen können, wenn die Gegenleistung die Generalbereinigung ist, nicht Verkürzung der Besatzungsfristen, sondern sofortige Räumung. Weiter wurde, worüber man sich im Kabinett einig war, gesagt, daß man über den Dawesplan nicht sprechen solle, daß diese rein politischen Verhandlungen Deutschlands und Frankreichs nicht mit den Fragen des Dawesplans belastet werden sollten, daß nicht erwähnt werden solle, daß die Belastung im nächsten Jahre von 2,75 Milliarden39 untragbar sei, und es ist auch von der Gegenseite dieses Thema nicht angeschnitten worden. Hervorgehoben sollte aber in den Verhandlungen werden, daß Frankreich seinen Widerspruch gegen die deutsch-belgischen Verhandlungen zurückziehen müsse, also freie Hand lassen müsse, daß Eupen-Malmedy entsprechend dem einmal geäußerten Entgegenkommen Belgiens an Deutschland zurückfallen müßte im Zusammenhang mit der Räumung der zweiten und dritten Zone. Die Ostfragen und die polnischen Angelegenheiten sollten nicht erörtert werden, da das das Programm Briands zweifellos belasten würde, das müßte einer weiteren Entwicklung überlassen bleiben.
Falls sich in der Besprechung mit Briand herausstellen sollte, daß die Erledigung des Punktes 1), Generalbereinigung, nicht möglich sein sollte, dann sollten im Sinne der Kabinettsvorlage des Herrn Ministers Dr. Bell40 die zahlreichen Einzelwünsche des besetzten Gebiets stark betont werden. Bei diesem Punkt hat auch Herr Ministerialrat Mayer an der Delegationssitzung teilgenommen und einzelne Wünsche des Rheinministeriums41 noch einmal vorgetragen. Ich darf hervorheben, nachdem die Amnestie zugesagt ist42, müßte eine Kodifizierung des gesamten Ordonnanzwesens vorgenommen werden, nicht nur eine formelle Kodifizierung, sondern eine materielle, indem die zahlreichen zu beanstandenden Härten herausgestrichen würden. Es müsse sichergestellt werden, daß erstens einmal die zugesagten 6000 Mann wirklich bis Ende September das Feld räumten, daß aber darüber hinaus noch verlangt werden müsse, daß an Stelle der drei Korps künftig nur drei Divisionen Frankreichs am Rhein bleiben sollten. Dann wurde noch die Frage der Interalliierten Militär-Kontrollkommission in der Besprechung erörtert.
[224] Die Besprechung hat um 1 Uhr mittags stattgefunden43. Die Herren haben zunächst ¾ Stunde gefrühstückt und 4½ Stunden sehr eingehend all die einzelnen Punkte durchgesprochen. (Zwischenruf). Das ist falsch, die Herren haben sehr einfach gelebt; sie haben wirklich die Zeit mit sachlichen Erörterungen verbracht. Ich habe jedenfalls mit Herrn Minister Dr. Stresemann gesprochen und nicht den Eindruck gehabt, als wenn er vier Flaschen Wein getrunken hätte.
Über diese Verhandlungen ist ein Pressecommuniqué herausgekommen, das bekannt ist. Ich darf es aber vielleicht vorlesen:
„Der deutsche Reichsaußenminister Dr. Stresemann und der französische Außenminister Briand trafen sich zum Frühstück in Thoiry. Sie hatten dort eine mehrstündige Unterhaltung, die in herzlicher Weise verlief. Im Verlauf dieser Unterhaltung prüften sie der Reihe nach alle ihre beiden Länder interessierenden Fragen und suchten gemeinsam nach den geeigneten Mitteln, um die Lösung dieser Fragen in deutschem und in französischem Interesse und im Geiste der von ihnen unterzeichneten Vereinbarungen sicherzustellen (die von ihnen unterzeichneten Vereinbarungen – also nicht den Vertrag von Versailles!). Die beiden Minister brachten ihre Auffassungen über eine Gesamtlösung der Fragen in Einklang, wobei sich jeder von ihnen vorbehielt, seiner Regierung darüber Bericht zu erstatten. Wenn ihre Auffassungen von ihren beiderseitigen Regierungen gebilligt werden, werden sie ihre Zusammenarbeit wieder aufnehmen, um zu den gewünschten Ergebnissen zu gelangen.“
Der materielle Inhalt dieser Verlautbarung ist nicht sehr groß. Briand hat insbesondere aus Gründen, auf die ich gleich kommen werde, dringend gebeten, der Öffentlichkeit nicht mehr zu sagen; er würde es in Frankreich auch nicht tun.
Über den materiellen Inhalt habe ich in der Nacht an den Herrn Reichskanzler noch ein Telegramm gerichtet, das ich noch kurz vorlesen darf (siehe anliegendes Telegramm)44.
Wenn ich nun die einzelnen Punkte noch etwas erläutern darf, so hat sich sofort herausgestellt, nicht nur nach den Verhandlungen mit Briand in Thoiry,[225] sondern auch nach Andeutungen, die er der Deutschen Delegation in den vorhergehenden Tagen hatte machen lassen, daß er unter allen Umständen auf eine Generalbereinigung ausgeht und nichts von allzu vielen Einzelwünschen wissen will. Er steht auf dem Standpunkt, daß er mit den zahlreichen deutschen Einzelwünschen seiner französischen Öffentlichkeit nicht kommen könnte, und die Franzosen betrachten das von ihrem Standpunkt aus als deutsche Nadelstiche. Da würde er gerade in seinem Kabinett, wo er der geistigen Elite seiner politischen Gegner gegenübersäße, wie er sich ausdrückte, keinen Erfolg haben. Wenn er dagegen der französischen Öffentlichkeit mit dem Plan einer gesamten Bereinigung komme, insbesondere dem, was die Franzosen in der Inflationszeit erfahren haben, würde er zweifellos Erfolg haben und würde er auch bei Poincaré auf keinen Widerstand stoßen. Für ihn war nur das eine Thema: die Generalbereinigung. Die Generalbereinigung sah er, um mit Schlagworten zu reden, in der zweiten und dritten Zone, Auflösung der Kontrollkommission. All diese Fragen sind im einzelnen durchgesprochen worden.
Bei der Saar zeigte sich Briand sofort sehr verständig und überaus gut orientiert. Er hat von sich aus gesagt, 300 Millionen Goldmark sollten angesetzt werden. Auf die wirtschaftliche Frage, wie das im einzelnen gemacht werden soll, komme ich am Schluß dieser Mitteilung noch im einzelnen.
Eine Volksabstimmung an der Saar hielt Briand für völlig überflüssig. Das Ergebnis stünde gänzlich fest. Warum noch einmal eine neue Mißstimmung hervorzurufen? Das wäre überflüssig.
Über die Frage der zweiten und dritten Zone war er auch vorbereitet, daß Herr Minister Stresemann das vortragen würde. Er sagte, das passe ganz in seine Linie. Selbstverständlich müßten, wenn die Saarfrage bereinigt würde, auch die letzten französischen Soldaten den Rhein verlassen. Über den Zeitpunkt hat man sich auch unterhalten. Briand hat gesagt, sofort, wenn die wirtschaftlichen Verhandlungen in den nächsten Wochen zu Ende seien, würden die nötigen Anordnungen erteilt werden. Aber die Abwicklung würde sich natürlich einige Monate hinziehen. Herr Minister Stresemann hat, soweit ich es im Kopf habe, von sich aus gesagt, Mitte nächsten Jahres müsse der letzte feindliche Soldat den Rhein verlassen haben. Herr Briand sprach sehr mißgünstig über die Poincarésche Finanzpolitik, das seien Mätzchen, Poincaré würde, wenn es mit dem Franken nicht bald besser würde, mit seinen wirtschaftlichen Maßnahmen sehr bald stürzen. Die wirtschaftlichen Sachverständigen hielten in einem Jahre den Goldfranken zur wahren Stabilisierung des Franken für notwendig. Diese Summe müsse bei dem Geschäft für sie herausspringen. Wenn man die 52% in Rechnung setzt und namentlich die Tatsache, daß bereits für die Saargruben ein Betrag von 300 Millionen Goldmark vorweg gezahlt würde, müßte für Frankreich eine Summe von etwa 650, vielleicht 700 Millionen Goldfranken herausspringen. Diese als 52% angesetzt, würde also bedeuten, daß eine Obligationslast von etwa 2,545 Milliarden ausgegeben werden müßte unter Beseitigung der Transferschwierigkeiten. Bei einer Verzinsung von 5%[226] käme eine laufende Belastung von Deutschland von etwa 50 bis etwa 75 Millionen im Jahre heraus, neben der einmaligen Zahlung der 300 Millionen für die Saargruben.
Das ist in ganz großen Zügen das wirtschaftliche Bild. Über alles einzelne sollen, wenn das deutsche Kabinett und das französische Kabinett sich einverstanden erklären, in den ersten Tagen des Oktober Sonderverhandlungen in Berlin beginnen, etwa am 1., 2. oder 3. Oktober, und wahrscheinlich wird es der Minister Loucheur sein, der mit einem großen Stab nach Berlin kommen wird.
Zum Technischen ist noch zu sagen: Briand sagte, er würde am vergangenen Sonnabend [18. 9.] schon mit einigen Parteifreunden und befreundeten Kabinettsmitgliedern sprechen, und er würde im Laufe dieser Woche den entscheidenden Kabinettsrat einberufen oder bitten, daß er einberufen werde; und die innere Politik Frankreichs möchten wir ihm überlassen, hat er gesagt. Wenn er mit der Generalbereinigung käme, wäre es ganz ausgeschlossen, daß Poincaré ihm Schwierigkeiten machen würde. Er hätte nur andeutungsweise mit ihm bisher gesprochen. Es wäre ganz falsch, daß Poincaré ihm bisher Schwierigkeiten gemacht hätte während der Genfer Tage. Er hätte kein Telephonat usw. bekommen. Es stand in der Pariser Presse, er wäre wegen seiner Rede angegriffen worden. Das hat er bestritten, auch Herrn Dr. Stresemann gegenüber. Er stände vollkommen frei und würde selbstverständlich in dieser Frage die Kabinettsfrage stellen, und wenn die Entscheidung Frankreichs kommen würde, wenn er die Generalbereinigung präsentierte, dabei aber die Abkehrung vom Imperialismus und die Befreiung Deutschlands, so wäre es ausgeschlossen, daß Poincaré sich dagegen stemmen könnte. Aber Deutschland sollte ihm die innere Politik überlassen. Er hätte nur den dringenden Wunsch, daß die Dinge nicht voreilig in der Presse erörtert würden, wodurch Aufregung entstünde und ihm die Arbeiten erschwert würden. Er würde jedenfalls im Laufe dieser Woche die Entscheidung des Kabinetts herbeiführen46, und dann müßten ungesäumt die beiden Delegationen zusammenkommen, und er schlüge aus Courtoisie vor, die Verhandlungen in Berlin stattfinden zu lassen, und sagte, daß der Vertrauensmann Herr Loucheur sein würde, der in Genf war und der Bescheid wüßte, daß die Besprechung mit Herrn Dr. Stresemann stattfand.
Das Verhalten von Chamberlain habe ich bereits erwähnt.
In bezug auf die Saar, die zweite und dritte Zone und die Kontrollkommission war Briand nun genau orientiert und hob hervor, daß gerade am frühen Vormittag eine Besprechung der Deutschen Delegation mit Herrn Massigli stattgefunden habe; er wisse über das Ergebnis noch nichts, er hoffe, daß sich alles reibungslos klargestellt habe, jedenfalls sei es sein ernster Wille, daß die Kontrollkommission nun sofort verschwinde; aber er müsse noch den Bericht von Herrn Massigli abwarten. Es sollte zum Zwecke der Besprechung eine Aussprache zwischen Herrn von Schubert und Herrn Massigli stattfinden47, von der ich noch nichts weiß. Also Endgültiges kann ich darüber noch nicht mitteilen, die einzelnen Phasen habe ich alle erwähnt.
[227] Über das Verhalten Englands zu den ganzen Fragen habe ich bereits berichtet. Herr Briand hat in der Besprechung Herrn Minister Stresemann gegenüber noch einmal sehr stark betont, er habe Chamberlain aufs genaueste orientiert, er hoffe und begrüße sehr einen Erfolg der deutsch-französischen Verhandlungen, und jetzt würde Deutschland wohl auch klar sehen, warum gewisse Fragen von der Völkerbundstagung zurückgestellt worden seien. Es waren einige solche Fragen auf der Tagesordnung, denn Chamberlain habe auf dem Standpunkt gestanden, es sei direkt Deutschlands unwürdig, daß man sich jetzt über 1400 Constabler oder andere Dinge des Saargebiets unterhält, während in wenigen Wochen oder Monaten das Gesamtproblem bereinigt wäre.
Soweit über die deutsch-französischen Verhandlungen. Der Herr Reichskanzler hat vorhin bereits erwähnt, daß nach den letzten Nachrichten der Kabinettsrat in Frankreich bereits am morgigen Tage stattfinden wird, und Herr Minister Dr. Stresemann hat heute morgen bereits dem Herrn Reichskanzler telephonisch berichtet, daß er deshalb seine Abreise wahrscheinlich noch etwas beschleunigen wird.
Zu diesem Punkt ist folgendes zu sagen: Der Herr Reichskanzler hat schon gesagt: Briand und Chamberlain sind abgefahren, auch einige andere Delegationen, und gerade bei der überragenden Stellung der Deutschen Delegation im Rate der Völker und bei dem Abtasten der gesamten Atmosphäre durch die neuen Mitglieder des Rates, all der vielen kleinen Staaten, die jetzt unsicher sind, wie sie sich neu orientieren sollen, ist es von sehr großem Wert – das zeigte sich gleich in den letzten Tagen –, daß doch der eine große Mann, Herr Dr. Stresemann, weiter dort ist. Es kommen noch einige Äußerlichkeiten hinzu. Herr Minister Stresemann konnte einige notwendige Festlichkeiten, Frühstücke und Diners nicht geben, weil von Tag zu Tag das Arrangement wegen der Aussprache vorbereitet sein mußte. Diese Dinge mußte er auch in diesen Tagen erledigen, um nicht unhöflich zu sein. Hinzu kommt drittens, daß noch eine oder vielleicht zwei Ratssitzungen notwendig sind, eine erste Sitzung nach den heutigen Nachrichten wahrscheinlich heute vormittag, eine morgen oder übermorgen. Bei den anderen Ländern ist ein anderes Arrangement getroffen. Chamberlain wird durch Lord Cecil vertreten, Briand durch Boncour. Deutschland ist durch Herrn von Schubert ständig vertreten. Immerhin ist er noch nicht ganz der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht auf dem Genfer Boden. Es müßte auch nach der Ansicht des Herrn Ministers Stresemann künftig eine Persönlichkeit gefunden werden, die der dauernde Eckpfeiler Deutschlands bei diesen Verhandlungen ist, der die Vertretung dauernd übernehmen könnte, so überaus segensreich und ungemein wertvoll selbstverständlich die Arbeit von Herrn von Schubert in diesem Augenblick gewesen ist. Daran würde auch noch Herr Dr. Stresemann teilnehmen.
Bemerkenswert ist noch, daß Herr von Schubert eine sehr eingehende Aussprache mit dem Herrn polnischen Außenminister hatte48. Im einzelnen ist nicht viel Positives herausgekommen. Aber der polnische Außenminister hat[228] einen ganz betont freundlichen Akt getan, indem er Herrn von Schubert bitten ließ, auf seiner Yacht auf dem Genfer See eine Fahrt zu machen. Die Herren sind 2¾ Stunden herumgefahren, es war zu der Zeit, als gerade die Orangen blühten, und haben alle Probleme fast bis an den Korridor, wie Herr von Schubert sich ausdrückte, durchgesprochen, und er hofft, daß es zu einer weiteren Befruchtung der deutsch-polnischen Beziehungen kommen würde.
Interessant ist insbesondere noch die Haltung der französischen Presse gegenüber den Taten von Briand in Genf. Es ist überaus bemerkenswert, daß die Auffassung in Frankreich sehr ruhig ist und überall durchströmt, daß, wenn die Generalbereinigung kommt mit einer wirtschaftlichen Hilfe für Frankreich, das Thema sehr diskutabel sei.
Reichskanzler Dr. Marx: Ich danke dem Herrn Staatssekretär recht sehr für seinen eingehenden und übersichtlichen Vortrag. Ich glaube, es war sehr zweckmäßig, daß der Herr Staatssekretär nach Genf gesandt worden ist, schon um die Nachrichten hinzubringen und uns dann auch frühzeitig schon Bericht zu erstatten.
Nun habe ich eine dringende Bitte an die Herren. Es wird ja zweifellos heute bekannt werden, daß wir uns heute durch Herrn Staatssekretär Dr. Pünder haben Bericht erstatten lassen, und dann geht zweifellos wieder der große Strom der Presse los. Ich möchte doch dringend bitten, der Presse absolut nichts über die Sache mitzuteilen. In der „Deutschen Tageszeitung“ standen z. B. gestern schon Einzelheiten über die Sache, die sie aus Schweizer Zeitungen entnommen hatte. Es ist wahrscheinlich anzunehmen, daß Briand und andere Herren auf der anderen Seite es absolut nicht so ernst mit der Vertraulichkeit nehmen, wie wir es zu nehmen pflegen. Diese Erfahrung haben wir auch damals in London49 gemacht, wo die Leute, als sie von uns abgewiesen waren, einfach lachten und sagten: da gehen wir zu Herriot und erfahren dort alles, und das stand dann anderen Tags in der Zeitung. Jedenfalls möchte ich dringend bitten, daß wir die Presse die paar Tage hinhalten. Es kann gesagt werden: es ist noch nichts Sicheres mitzuteilen, Herr Dr. Stresemann ist noch in Genf, und ehe er noch nicht zurückgekehrt ist, kann noch nichts mitgeteilt werden. Auf diesen Standpunkt müßten wir uns einigen. Es müßte einmal möglich sein, daß wirklich nichts über die materiellen Dinge, die verhandelt worden sind, in die Presse kommt. Das kann von unabsehbaren Folgen sein. Man kann jetzt, wo die Sache so auf des Messers Schneide steht, gar nicht übersehen, was durch irgendeine unvorsichtige Nachricht in unserer Presse in Paris für ein Unheil passieren kann. Ich bitte dringend, der Presse doch absolut nichts mitzuteilen. Wir haben schon mit der Presseabteilung gesprochen. Sie glaubt auch, die Presse die paar Tage mit Rücksicht darauf hinhalten zu können, daß am Donnerstag oder Freitag doch die Kabinettssitzung stattfindet, in der Herr Dr. Stresemann selbst Bericht erstatten wird50.
[229] Nun möchte ich noch sagen, daß mir Herr Dr. Stresemann durch Telephonat mitteilte, er habe wohl gehört, es sei das nicht direkt bestimmt zu sagen, aber es sei wohl nach alledem, was in Genf jetzt bekannt geworden sei, schon eine Besprechung zwischen Briand und Poincaré erfolgt; und aus dem Umstande, daß man bis jetzt nichts anderes gehört habe, entnehme man wohl, daß sie befriedigend verlaufen sei. Wenn etwa Poincaré den Plänen Briands große Schwierigkeiten entgegengesetzt hätte, dann würde wohl auch diese Nachricht herübergekommen sein. Da dies aber nicht der Fall sei, sei das wohl im günstigen Sinne aufzufassen. Es ergäbe sich dann auch, daß die Nachricht, die hier etwas Besorgnis erregt hatte, daß von Paris ein sehr heftiges Telegramm an Briand gesandt worden sei, sich auch als unrichtig erweist. Das zeigt ja auch, daß tatsächlich wegen der Rede Briands51 ein weiterer Zusammenstoß mit Poincaré nicht erfolgt ist. Ich muß ja sagen, daß ich an dem Tage nach der Rede Briands etwas besorgt war. Ich konnte mich des Gefühls nicht ganz entschlagen, als könnte das auch der Schwanengesang Briands wieder gewesen sein. Es stand doch zu befürchten, daß bei den überaus hohen Tönen, die er angeschlagen hatte, vielleicht von Paris aus ein Wasserstrahl ihn erreichen könnte und daß alles mögliche passieren könnte.
Wir werden also zunächst abzuwarten haben, was morgen das Kabinett Neues beschließt, ein Entschluß, der zweifellos von ganz unübersehbaren Folgen für die Entwicklung der politischen Geschichte Europas sein wird. Wir stehen zweifellos vor der Frage, wie sich die ganze Zukunft Europas gestalten wird, und je nachdem, wie die Entscheidungen jetzt fallen werden, wird in absehbarer Zeit die ganze Entwicklung auch der übrigen Länder Europas, nicht nur Frankreichs und Deutschlands, sich gestalten. Ich muß sagen, die Nachrichten, die Herr Staatssekretär Pünder uns gebracht hat, sind eigentlich etwas zu gut, als daß ich sie ganz glauben könnte. Ich bin allerdings auch entgegen meiner Natur etwas sehr mißtrauisch geworden und möchte sagen, es scheint ja allerdings eine außerordentliche Sicherheit durch diese Dinge hindurchzugehen. Ich glaube, Herr Staatssekretär Dr. Pünder hat auch angedeutet, daß Poincaré Briand auf die Dauer nicht widersprechen kann, weil eben, wie Briand meint, davon die Haltung des Franken abhängen wird. Wenn eben sein Plan, diese Stützung von Deutschland zu erreichen, durch Poincaré abgelehnt wird, dann, meint Briand, wäre eben der Franken nicht mehr weiter zu halten, dann würde auch zweifellos auch sonst, wenn sein Sturz dann einträte, wieder ein Weichen des Franken stattfinden, so daß dann zweifellos auch von Poincaré darauf der größte Wert gelegt werden müßte. Es scheint so, als wenn wir jetzt wirklich vor der ernsten Frage stehen, daß die ganze politische Entwicklung der beiden Länder und der übrigen Nationen von der Wirtschaft abhängt. Die wirtschaftlichen Fragen stehen eben jetzt so im Vordergrund, die finanzielle Frage hat eine so große Bedeutung erlangt, auch die ungeheueren Verluste infolge des englischen Kohlenstreiks können auf die Finanzen Englands einen sehr fühlbaren Einfluß gewinnen. Es scheint tatsächlich so: die Not der anderen Länder bringt sie dazu, uns Entgegenkommen zu zeigen. Aber ob schon in Genf all[230] unseren Wünschen in dem Maße entgegengekommen wird, wie es nach dem Bericht des Herrn Staatssekretärs Pünder den Anschein hat, das ist doch immerhin abzuwarten. Ich glaube, wir müssen in Ruhe abwarten, bis Herr Dr. Stresemann in den nächsten Tagen zu uns kommt und uns selbst Bericht erstattet.
Reichsminister Dr. Bell: Wir hatten uns in der vorherigen Kabinettssitzung52 darüber schlüssig gemacht, daß mit Rücksicht auf den von meinem Ministerium eingebrachten Entwurf53 es selbstverständlich sei, in der Frage einer Teillösung, eines Abbaues der Maßnahmen im Rheinland, den Schwerpunkt auf die Generalbereinigung zu legen. Das lag selbstverständlich in unserem Interesse, nicht nur aus theoretischen, sondern auch aus praktischen Erwägungen, vor allem aus den grundsätzlichen Bedenken heraus, daß ein Eintritt in den Völkerbund auch nach unserer Überzeugung schlechterdings mit der Aufrechterhaltung der Besatzung unverträglich sei.
Ich habe auch bei der Reise durch die Rheinlande immer wieder die Auffassung wiederholen hören, daß wir an dem grundsätzlichen Standpunkt unbedingt festhalten müssen: unser Eintritt in den Völkerbund bedeutet eine neue Ära. Wir stehen vor einer völligen Zeitenwende, die die unabweisbare Folge nach sich haben muß: die Besatzung muß verschwinden. Also in dieser Hinsicht geht die Erklärung, die Herr Briand bei den Verhandlungen als das Ziel Frankreichs gegeben hat, mit unseren Anschauungen durchaus konform. Darüber wollen wir gar keinen Zweifel aufkommen lassen. Eine andere Frage ist natürlich die, ob die Besorgnis gerechtfertigt erscheint, daß durch die grundsätzliche Einverständniserklärung die Möglichkeit eines Abbaues verhindert werde. Wenn nämlich die daran geknüpfte Besorgnis gerechtfertigt erscheint, daß trotz der günstigen Atmosphäre, die sich in Genf nach den Darstellungen des Herrn Staatssekretärs Dr. Pünder übereinstimmend mit den Pressenachrichten entwickelt hat, daß doch nachher eine andere Stimmung in Frankreich aufträte oder daß die finanziellen Verabredungen nicht zu einem positiven Ziele führen, dann würden wir doch auf den Plan zurückgreifen müssen, den wir hier entwickelt haben, und wir würden uns dann mit einer Vertagung der ganzen Generalbereinigung ad calendas Graecas nicht einverstanden erklären können. Das wird sich ja nun hoffentlich sehr bald entscheiden, wie sich die finanziellen Dinge gestalten werden.
Nun ist die Mahnung des Herrn Reichskanzlers durchaus angebracht, daß wir der Presse keinerlei Mitteilung machen; aber in gleichem Zusammenhang ist doch wohl der Besorgnis Ausdruck zu geben, daß die deutsche Presse sich jetzt schon über das Transfer-Abkommen in einer so ungünstigen Weise festgelegt hat – offenbar ohne den Grundgedanken genügend zu kennen und ohne sich namentlich in die wichtigen Einzelheiten und in die Auswirkungen vertiefen zu können –, daß die Befürchtung vielleicht angebracht ist, diese Stellungnahme der deutschen Presse wird auch in Frankreich so ungünstig gewertet, daß es auf die ganze Generalbereinigung einen nachteiligen Einfluß ausüben[231] könnte. Ich will nicht die Äußerung hervorheben, die z. B. heute aus der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ vorliegt54. Ich habe heute zu meinem Schrecken aus dem Rheinland Stimmen gehört, insbesondere Zeitungsstimmen, die mit einer solchen Schärfe und mit so pointierten Wendungen das ganze Transfer-Abkommen ablehnten, daß ich es für bedauerlich erachten würde, wenn wir nicht eine Möglichkeit fänden, hier bei der Presse etwas abzublasen. Es wurden nicht etwa nur in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ die nachteiligen finanziellen Wirkungen grell beleuchtet, sondern ich habe Zeitungen aus dem Westen, namentlich dem Rheinland, gelesen, worin direkt gesagt wird, selbstverständlich müßte ein solcher Kuhhandel, ein solches Geschäft mit aller Schärfe von Deutschland abgelehnt werden.
Wenn wir also die Möglichkeit hätten, ohne Einzelheiten darzulegen, doch die Presse aufmerksam zu machen, daß sie sich nicht festlegen könnte, sondern daß hier die größten deutschen Interessen auf dem Spiele ständen, so würde ich das für wesentlich halten.
Nun käme eine weitere Frage, die gestreift worden ist: Eupen-Malmedy. Ich habe es so verstanden: es ist bei den Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich gesagt worden, daß die deutsch-belgischen Abmachungen über Eupen-Malmedy durch Frankreich nicht gestört werden sollten. Ich knüpfe daran die ganz Deutschland, aber uns als Rheinländer ganz besonders interessierende Frage, ob vielleicht zwischen deutschen und belgischen Delegierten das Projekt Eupen-Malmedy schon erörtert worden ist (Zustimmung des Staatssekretärs Dr. Pünder). Es wäre interessant, das noch zu hören.
Dann hätte ich noch die letzte Frage anzuschneiden, nicht als ob ich selbst besonders urgieren wollte, aber weil sie von anderer Seite nachdrücklich betont werden wird und weil Herr Minister Stresemann sich auch Pressevertretern gegenüber äußerte, ob denn die Frage des Kolonialproblems noch zur Erörterung[232] gebracht worden ist. Ich sage das ausdrücklich aus dem Grunde, weil eine Wendung in der Presse enthalten war und weil wir natürlich – ich bin im Vorsitz des Interfraktionellen kolonialen Ausschusses – darüber befragt werden. Ich nehme an, daß darüber keine besonderen Verhandlungen stattgefunden haben. Aber es wäre erwünscht, wenn auch nach der Richtung hin eine beruhigende Erklärung in dem Sinne abgegeben werden könnte, daß zwar im Augenblick, wie das ja begreiflich ist, angesichts anderer Probleme eine positive Besprechung nicht stattgefunden hat, daß aber das Kolonialproblem dadurch nicht etwa für die Zukunft im Sinne Deutschlands ausgeschaltet werden sollte.
Staatssekretär Dr. Pünder: Zu der Frage, ob man das deutsche Kredittransfer-Verfahren abwarten solle, möchte ich folgendes sagen: Herr Dr. Stresemann hat es in Genf für richtig und gut gehalten, daß er sich gerade auf den vorläufigen Widerspruch des Herrn Reichswirtschaftsministers und des Reichsfinanzministers55 berufen konnte. Damit die deutsche Gegenleistung sich als besonders groß und schwierig zu erreichen herausstellte, hat er es sehr begrüßt, Briand sagen zu können: die Sache ist für uns kolossal kitzlig, ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Briand hatte einmal in der Besprechung gesagt: Sie stehen viel besser da, Sie haben im Kabinett über die Dinge gesprochen, ich habe es noch nicht getan, nur mit einigen Freunden, die mir im Kabinett ergeben sind; aber irgendeine Aussprache im Kabinett oder gar ein Beschluß liegt nicht vor. Da hat Herr Dr. Stresemann erwidert: Bei uns ist es auch ganz anders, gerade die beiden Minister, die diese Dinge endgültig zu vertreten haben, nämlich der Finanz- und Wirtschaftsminister, sind sehr dagegen, ich kann absolut nicht versprechen, ob das zu erreichen ist. In diesem Sinne erscheint es mir nicht dumm, daß gerade heute dieser Artikel in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ steht, den ich auch gelesen habe. Es ist m. E. eine törichte Kritik. Aber ob sie Deutschland im Augenblick schadet, ist mir wenigstens zweifelhaft. Ich möchte es nur zur Diskussion stellen. (Reichsminister Brauns: Es ist zu scharf, vor allen Dingen die Bezeichnung „Kuhhandel“). Dann müßten wir gleich sagen: es ist kein Kuhhandel, aber dann wird das ganze Problem aufgerollt, und das ist das, was man nicht sagen kann, daß die Frage hochpolitisch ist.
Zu Eupen-Malmedy darf ich noch erwähnen, daß diese Fragen zwischen Deutschland und Belgien retrospektiv behandelt worden sind zwischen Dr. Stresemann, Herrn von Schubert und Vandervelde und namentlich de Brouckère56. Bei diesen Herren ist die Frage absolut keinen Schwierigkeiten begegnet. Die Herren erklärten: sofort morgen früh treten wir in Verhandlungen; wenn der französische Widerspruch ausgeräumt ist, können wir darüber verhandeln. Ich habe das vorhin vergessen zu erwähnen. Ein Zugeständnis mit Frankreich muß auch das sein: kein Widerspruch in bezug auf Eupen-Malmedy, nicht mehr jamais, jamais!, wie immer gesagt worden ist. Briand hat ausdrücklich zugesagt, daß selbstverständlich die deutsch-belgischen Verhandlungen nicht gestört werden würden. Briand hat sich etwas entschuldigt und sagte, sie[233] wären das eigentlich gar nicht gewesen, die Belgier hätten die Sache nur zu töricht angefangen, sie hätten zu lange darum herumgeredet, und es wäre zu viel an die Öffentlichkeit gekommen. Schließlich hätten sie in Frankreich, wenn nicht die ganzen großen Fragen aufgerollt wären, diese Detailfragen nicht gutheißen können. Das wäre eine Ungeschicklichkeit Belgiens gewesen.
Kolonialfragen sind, soviel ich weiß, überhaupt nicht erörtert worden. Auch die Kriegsschuldfrage ist nicht erörtert worden. Nur das eine: Herr Minister Stresemann hat in der Pressekonferenz m. E. überaus schlagend ausgeführt – nachher klatschten auch Herr Rolf Brandt und andere Herren –, mit dieser Atmosphäre von Genf ist es absolut unvereinbar zu glauben, daß der Friedensvertrag nicht formell, aber materiell noch in diesem Punkte augenblicklich Fortbestand habe. Diese Stellung, die Deutschland im Rat der Völker hat, ist unvereinbar mit den alten Erklärungen von Deutschlands Alleinschuld am Kriege und der Unfähigkeit, ein Kolonialmandat zu haben57. Aber von der Gegenseite eine Streichung der Bestimmungen zu erreichen, ist gänzlich unmöglich, und ein solches Verlangen würde uns in all den anderen Fragen unglaublich zurückschlagen.
Eins wollte ich noch nachtragen. Bei der Verhandlung über Polen und den nichtständigen Ratssitz war es für die Delegation von außerordentlich großem Wert, hier, wenn auch etwas gezwungenerweise, einen kleinen freundlichen Akt gegenüber Polen zu tun, da die Verhandlungen von Thoiry für den übernächsten Tag bevorstanden und bereits vereinbart waren. Es war bekannt, daß Briand hinluchste, was werden wird, was Deutschland bei der Wahl Polens machen wird. Wenn da Schwierigkeiten aufgetreten wären, wäre es sehr zweifelhaft, ob die Besprechung in Thoiry überhaupt stattgefunden hätte.
Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius: Der Herr Reichskanzler hat die Mitglieder gebeten, daß wir alle der Presse gegenüber vollständiges Stillschweigen bewahren sollen. Ich glaube auch, daß das das einzig Zweckmäßige in der gegenwärtigen Situation ist. Ich möchte nur bitten, daß wir eine gewisse Unterstützung insofern bekommen, als über die heutige Sitzung ein Communiqué herausgegeben wird, in dem vielleicht unterstrichen wird, daß Herr Staatssekretär Pünder einen vorläufigen Bericht gegeben hat, daß wir keine Beschlüsse gefaßt haben, daß Herr Dr. Stresemann am Donnerstag oder Freitag schon erwartet wird und daß dann erst das Kabinett zu diesen ganzen Fragen Stellung nehmen würde. Das würde uns wahrscheinlich die Möglichkeit verschaffen, den Ansturm der Journalisten zurückzuweisen, sie mit guten Gründen auf diese nächstens stattfindende Kabinettssitzung zu vertrösten. Ich würde bitten, da sonst ein Zerrbild entstehen würde, nach keiner Richtung der Presse[234] etwas zu sagen, weder nach der einen noch der anderen. Herr Staatssekretär Pünder hat schon unterstrichen, daß es natürlich auch zweckmäßig ist, wenn von unserer Seite jetzt nicht mit Hurrastimmung in diese Vorschläge eingeschlagen wird, sondern daß kritisch zurückhaltende Erörterungen, namentlich nach der Richtung des Transferproblems, in der Presse jetzt zugelassen werden. Ich glaube sogar, daß es dringend notwendig ist, eine solche Unterstützung durch die Presse zu bekommen.
Es wäre also, glaube ich, richtig, wenn wir allesamt überhaupt keinen Einfluß auf die Presse ausüben würden.
Ich möchte in der Sache selbst nicht sprechen. Nur das eine darf ich sagen. Wir müssen es uns alle gefallen lassen, daß wir von der Außenpolitik und dem Herrn Außenminister wie Schachfiguren hin- und hergeschoben werden. Ich habe bisher zu der ganzen Frage noch nicht Stellung genommen, ich war bisher nicht anwesend und bin über diese Dinge nicht gefragt worden, und ich möchte ruhig hier erklären, daß ich mir die persönliche Stellung dazu vorbehalte. Daß das eine außerordentlich schwierige wirtschaftliche Frage sein wird, ist ganz selbstverständlich. Auf der anderen Seite wäre ich der letzte, der die politischen Konsequenzen einer solchen Generalbereinigung der Wirtschaft wegen in den Wind schlagen würde. Ich will damit nur sagen, daß Herr Dr. Stresemann vielleicht aus taktischen Gründen auch meine Person hat in den Vordergrund schieben müssen. Tatsächlich bin ich an diesem Veto unbeteiligt. Das Veto ist lediglich vom Finanzminister ausgesprochen worden. Freilich habe ich gehört, daß der Herr Finanzminister mit vorsichtigen Worten erklärt hat, er wäre der Meinung, daß man in den Dingen Zurückhaltung üben müßte.
Reichskanzler Dr. Marx: Das war ein Widerspruch, und das hat Herr Dr. Stresemann dann sehr wohl ausnutzen können.
Reichsarbeitsminister Dr. Brauns: Ich möchte glauben, es wäre gut, wenn man der Presse wenigstens das eine sagt, daß sie keine zu scharfe Kritik übt, um uns dadurch kein Porzellan zu zerschlagen. Das gilt insbesondere auch hinsichtlich der Transferfrage. Das darf man doch sagen, ohne etwas zu verraten. Selbstverständlich könnte die Sache erst besprochen werden, wenn Herr Dr. Stresemann hier ist.
Aber im Anschluß an den Vortrag des Herrn Staatssekretärs Dr. Pünder möchte ich doch folgendes sagen. Ich nehme an, daß die stenographische Niederschrift vor der Vervielfältigung, auch vor einer geringen Vervielfältigung, die zu vertraulichen Zwecken weitergegeben wird, doch einmal auf eine Reihe von Dingen durchgesehen wird, die wahrscheinlich in der Niederschrift besser wegbleiben. Ich rechne, um ein Beispiel zu sagen, dazu die Bemerkungen, die über Holland gemacht sind. Es ist nicht nötig, daß sie darin stehen. Man muß immer damit rechnen, daß solche Dinge heute oder morgen einmal vor die Öffentlichkeit kommen und daß uns das dann sehr unangenehm aufstoßen kann. Es sind auch noch eine Reihe von persönlichen Bemerkungen über Chamberlain usw. darin, die auch vor der Weitergabe der Niederschrift genau untersucht werden müssen. Ebenso ist es mit der Anerkennung der starken Stellung Deutschlands[235] im Völkerbund. Es sind gewisse Dinge, die für die mündliche Mitteilung wertvoll sind, die aber nicht einmal vertraulich schriftlich weitergegeben werden sollten.
Reichskanzler Dr. Marx: Es ist überaus bedenklich, zu viele Schriftstücke herauszugeben.
Staatssekretär Dr. Pünder: Der Herr Minister Dr. Stresemann hatte gewünscht, daß so prozediert wird, daß der Bericht niedergeschrieben würde, damit er nächstens weiß, wie die Stimmung gewesen ist, für seinen eigenen Vortrag. Wenn die Herren Minister keinen Wert darauf legen, genügt es, wenn das eine Stück der Niederschrift in die Geheimakten übernommen wird. (Zustimmung).
Reichskanzler Dr. Marx: Es ist sehr zweckmäßig, daß der Vorschlag gemacht worden ist, ein Communiqué zu erlassen. Hier ist folgender Vorschlag eingelaufen:
Staatssekretär Dr. Pünder, der in der vergangenen Woche als deutscher Delegierter an den Völkerbundsverhandlungen teilgenommen hat, ist am gestrigen Sonntagnachmittag nach Berlin zurückgekehrt und hat noch am Abend dem Herrn Reichskanzler eingehend Bericht erstattet. Heute vormittag hat das Kabinett, das sich im übrigen mit laufenden Angelegenheiten befaßt hat, gleichfalls einen vorläufigen Bericht des Herrn Staatssekretärs Dr. Pünder entgegengenommen. Beschlüsse außenpolitischer Art wurden nicht gefaßt, da naturgemäß die Rückkehr des Herrn Reichsaußenministers Dr. Stresemann, die für Mitte oder Ende dieser Woche zu erwarten ist, abgewartet werden muß.
Wenn niemand mehr das Wort wünscht, darf ich die Sitzung schließen. (Schluß der Sitzung 1½ Uhr).
Fußnoten
- 2
Die dt. Delegation, die am 9.9.26 in Genf eingetroffen war, nahm an der VII. Völkerbundsversammlung und an der 42. Tagung des Völkerbundsrats teil. Zum Verlauf der Genfer Verhandlungen siehe Schultheß 1926, S. 470 ff.; ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 76 ff. und Anhang I.
- 3
Gemeint sind die Vorschläge für eine „Generalbereinigung“ des dt.-frz. Verhältnisses, die zwischen Briand und Stresemann am 17.9.26 in Thoiry erörtert wurden.
- 5
Graf Bernstorff, Breitscheid, Kaas und Frhr. v. Rheinbaben; vgl. Dok. Nr. 75, Anm. 7.
- 6
Am 10. 9. hatte die Vertretung der RReg. in München an die Rkei berichtet: „Die Entsendung von Parlamentariern nach Genf hat in Bayern in vielen Kreisen eine Mißstimmung hervorgerufen, die überraschenderweise bisher in der Presse noch nicht zum Ausdruck gekommen war. Lediglich die ‚Bayerische Staatszeitung‘ hatte in vergangener Woche die Beteiligung von Parlamentariern an der Delegation als eine Überspannung des demokratischen und parlamentarischen Prinzips unter teilweisem Verzicht der Reichsregierung gegenüber dem Reichstag auf die ihr allein obliegende Exekutive bezeichnet.“ Die „München-Augsburger Abendzeitung“ [vom 10. 9.] bezeichne es „als einen Mißbrauch, wenn der Versuch gemacht werde, Organe des Reichstags mit den Aufgaben der Exekutive zu betrauen. An ihrem Standpunkt ändere sich auch dadurch nichts, daß die Parlamentarier nunmehr lediglich als Sachverständige verwandt werden sollen.“ „Die Bayerische Regierung bedauert gleichfalls die Verquickung von Legislatur und Exekutive und hätte lieber gesehen, wenn eine Entsendung von Parlamentariern unterblieben wäre. Auch die Übergehung des Reichsrats wird beanstandet.“ (R 43 I/2242, Bl. 304–305).
- 7
Nachdem die Völkerbundsversammlung am 8.9.26 die Aufnahme Deutschlands in den Bund und die Zuerkennung eines ständigen Ratssitzes an Dtld. einstimmig beschlossen hatte, wurde die Aufnahme am 10. 9. in Anwesenheit der dt. Delegation in feierlicher Form vollzogen.
- 8
Die Reden Stresemanns und Briands vom 10. 9. anläßlich der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund sind abgedr. in: Schultheß 1926, S. 474 ff.
- 9
Die Wahl der neun nichtständigen Ratsmitglieder durch die Völkerbundsversammlung erfolgte am 16. 9. Im ersten Wahlgang wurden Kolumbien, Polen, Chile, El Salvador, Belgien, Rumänien, Holland und China gewählt, im zweiten Wahlgang die Tschechoslowakei. In weiteren Wahlgängen wurde entschieden, daß Polen, Chile und Rumänien einen dreijährigen Ratssitz, Kolumbien, Holland und China einen zweijährigen Ratssitz, El Salvador, Belgien und die Tschechoslowakei einen einjährigen Ratssitz erhalten. Im letzten Wahlgang wurde Polen, das einen entsprechenden Antrag gestellt hatte, das Recht auf Wiederwählbarkeit in den Rat zuerkannt. Siehe Schultheß 1926, S. 482 f.
- 10
Am 15.9.26 hatte MinDir. Offermann an die dt. Delegation in Genf telegrafiert: „Staatssekretär Meissner teilt mit, daß Reichspräsident Schwierigkeiten voraussieht, wenn Deutsche Delegation für polnischen Sitz stimme. Er hält zum mindesten Stimmenthaltung für richtig. Reichskanzler glaubt Entscheidung hierüber der Delegation überlassen zu müssen. Ich wäre zum Zweck der Unterrichtung Reichspräsidenten für möglichst umgehende Orientierung dankbar.“ (R 43 I/326, Bl. 43).
- 11
Über diese Delegationssitzung vom 15.9.26, in der die Stellungnahme des RPräs. (Anm. 10) erörtert und die Haltung der dt. Delegation zur poln. Ratskandidatur festgelegt wurde, berichtete Pünder mit Telegramm vom 16. 9. aus Genf; abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 87.
- 12
Siehe ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 69.
- 13
Siehe Anm. 11.
- 14
Am 16.9.26 meldete der „Sozialdemokratische Pressedienst“, daß die dt. Delegation trotz des telegrafischen Einspruchs des RPräs. für den poln. Ratssitz gestimmt habe. Am folgenden Tage wurde der RPräs. in Artikeln der „Frankfurter Voksstimme“ und der „Rheinischen Zeitung“ wegen seiner Einwirkung auf die dt. Delegation scharf kritisiert. Daraufhin schrieb der RPräs. am 20. 9. an RAM Stresemann in Genf: „Durch eine sehr bedauerliche Indiskretion ist meine Ihnen durch die Reichskanzlei am 15. September übermittelte Stellungnahme, betreffend die Abstimmung über den Ratssitz Polens [siehe Anm. 10], einem Teil der sozialdemokratischen Presse übermittelt und teilweise zu scharfen Angriffen gegen mich ausgenutzt worden. Dieser Vertrauensmißbrauch […] hat mein lebhaftes Befremden erregt und veranlaßt mich, Sie, Herr Reichsminister, zu bitten, mit allem Nachdruck zu untersuchen, wer der Schuldige ist, und mir das Ergebnis bekanntzugeben. Wie Sie in Ihrem Telegramm vom 16. September meldeten [siehe Anm. 11], haben Sie es für notwendig erachtet, meine Meinungsäußerung zum Gegenstand der Erörterung mit den 4 parlamentarischen Mitgliedern der Delegation und dem Preußischen Staatssekretär [Weismann] zu machen. Es entspricht dies nicht meiner Auffassung, die dahin geht, daß eine Meinungsäußerung, die ich als Vollmachtgeber an die von mir bevollmächtigten Herren gebe, nur von diesen zu erörtern ist und nur diesen zu etwaiger Gegenäußerung Veranlassung geben kann. […] Es liegt bei dieser Sachlage die Vermutung nahe, daß es der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei [Breitscheid] ist, der, wie mir gemeldet wurde, mit dem in Genf weilenden Vertreter der Rheinischen Zeitung und der Frankfurter Volksstimme, der die Nachricht seinen beiden Blättern schon am 16. September abends übermittelte, in nahem Verkehr stehen soll. Dieses Mitglied der Delegation wird unter Vorhalt der vorliegenden Tatsachen zu befragen sein; […]“ (R 43 I/326, Bl. 29–31; vgl. auch den Vermerk Plancks vom 17. 9., R 43 I/326, Bl. 38). Dazu teilte MinDir. Kiep in einem Schreiben vom 20. 9. aus Genf an StS Meissner u. a. mit: „Nach den auf Anordnung des Herrn Reichsministers Stresemann getroffenen Feststellungen ist die bekannte Meinungsäußerung des Herrn Reichspräsidenten lediglich dem im telegraphischen Bericht des Staatssekretärs Pünder [Anm. 11] genannten Kreise zur Kenntnis gekommen; die beteiligten Herren haben auf Befragen erklärt, die Angelegenheit über den genannten Kreis nicht hinausgetragen und sie insbesondere mit keinen Pressevertretern erörtert zu haben. Auch eine Indiskretion durch Büropersonal oder andere Organe der deutschen Delegation hat nicht festgestellt werden können, so daß lediglich die Vermutung einer zufälligen Mitanhörung eines Gesprächs oder einer telephonischen Besprechung verbleibt.“ (R 43 I/326, Bl. 37). Bereits am 18. 9. hatte Kiep die Rkei telefonisch davon unterrichtet, „daß auf Anweisung des Reichsministers des Auswärtigen in Genf der Presse mitgeteilt worden sei, ein Telegramm des Reichspräsidenten, wie es die Nachricht der ‚Frankfurter Volksstimme‘ und ‚Rheinischen Zeitung‘ schildere, sei niemals abgegangen; die Nachricht sei völlig unrichtig. Anweisung zu gleicher Information sei an die Presse-Abteilung in Berlin ergangen.“ (Vermerk Plancks vom 18. 9., R 43 I/326, Bl. 37).
- 15
Studienkommission für die Zusammensetzung des Völkerbundsrats.
- 16
Siehe ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 69.
- 17
Carol I.
- 18
Die Wahl der nichtständigen Ratsmitglieder erfolgte am 16. 9. (vgl. Anm. 9). Schon am gleichen Tag trat der neugewählte Rat zu seiner ersten Sitzung zusammen; siehe Schultheß 1926, S. 48.
- 19
Zur Frage der Abberufung der IMKK und zum Stand der Entwaffnungsfrage bei Beginn der Genfer Verhandlungen siehe die Aufzeichnung des LegSekr. Clodius vom 6.9.26, in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 78.
- 20
Gemeint ist offenbar das „Material über die Entwaffnungsfrage für Genf“ (mit Begleitschreiben des Gen. v. Pawelsz an die Rkei vom 26.10.26, in R 43 I/439, Bl. 155–270); hierin auch eine „Denkschrift über die betonierten Unterstände von Königsberg“ mit dem einschlägigen Notenwechsel zwischen der IMKK und Pawelsz (ebd., Bl. 159–169). Vgl. hierzu Dok. Nr. 75, Anm. 1.
- 21
Die Besprechung zwischen Briand, Weismann und Pünder über die Entwaffnungsfrage und die Zurückziehung der IMKK fand am 15. 9. statt. Pünder erwähnt diese Besprechung in seinem telegrafischen Bericht aus Genf vom 16. 9., in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 87.
- 22
In ihrer Note Nr. 3111 vom 2.7.26 hatte die IMKK auf einen Beschluß der all. Botschafterkonferenz hingewiesen, wonach die Funktion eines Generalinspekteurs des Heeres einem der beiden Gruppenkommandeure der Reichswehr zu übertragen sei; diese Maßnahme verfolge den Zweck, den Oberbefehl des Heeres dem Chef der Heeresleitung zu entziehen (R 43 I/439, Bl. 172–174). Gen. Pawelsz antwortete mit Note R.K. Nr. 608 vom 14. 8., daß es die Stelle eines Generalinspekteurs niemals gegeben habe und daß nicht beabsichtigt sei, eine solche Stelle zu schaffen (R 43 I/439, Bl. 175–176). Vgl. dazu ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 27.
- 23
Siehe Dok. Nr. 75, Anm. 5.
- 24
Siehe dazu Dok. Nr. 118, P. 2.
- 25
Bei Königsberg waren betonierte Unterstände gebaut worden, die die Aufmerksamkeit der IMKK erregt hatten. In Noten an Gen. Pawelsz hatte die IMKK genaue Angaben über die Befestigungsanlagen angefordert. Siehe dazu Anm. 20.
- 26
Siehe das Protokoll über die Chefbesprechung vom 30. 8.: Dok. Nr. 72.
- 27
Statt „Kriminalpolizei“ muß es „Kommunalpolizei“ heißen. Vgl. Dok. Nr. 72, Anm. 1.
- 28
Bei den Verhandlungen mit der all. Botschafterkonferenz und der IMKK über die zahlenmäßige Begrenzung der dt. Polizei wurde u. a. auch die Frage erörtert, ob in die Zahl von 150 000 Polizeibeamten, die Dtld. nach der all. Note von Boulogne vom 22.6.20 zugestanden wurden, auch 15 000 (nicht 42 000!) Feldhüter und Nachtwächter einzurechnen seien. Vgl. ADAP, Serie B, Bd. I,1, Dok. Nr. 142.
- 29
Nach weiteren Verhandlungen über die Frage der Polizeistärken traf die Botschafterkonferenz folgende Entscheidung (Note vom 21.12.26): Deutschland werden einschließlich der besetzten rhein. Gebiete insgesamt 140 000 Polizeibeamte zugestanden. Davon entfallen 105 000 Beamte auf die staatliche und 35 000 Beamte auf die kommunale Polizei. In die Gesamtzahl von 140 000 werden jedoch 15 000 Mann polizeiliche Hilfskräfte (Feldhüter und Nachtwächter) nicht eingerechnet. Siehe dazu ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 195, 228, 272.
- 30
Siehe dazu den in Dok. Nr. 75, Anm. 1 angeführten Notenwechsel zwischen der Botschafterkonferenz und der Dt. Reg. über die militärische Betätigung gewisser Verbände.
- 31
Unterredung zwischen Briand und Stresemann in Thoiry am 17.9.26; siehe unten Anm. 43.
- 32
Vgl. die Aufzeichnung Clodius’ vom 6. 9., in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 78.
- 33
Siehe die Aufzeichnung Schuberts über seine Besprechung mit Massigli am 18. 9. in Genf, in: ADAP, Bd I,2, Dok. Nr. 89.
- 34
Siehe ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 82.
- 35
Statt „sollte“ in der Vorlage „wollte“.
- 36
Siehe Dok. Nr. 75, P. 2.
- 38
Nach dem Abkommen, das die Alliierten auf der Konferenz von Spa im Juli 1920 getroffen hatten, erhielt Frankreich 52% der dt. Reparationsleistungen; auf Großbritannien entfielen 22%, auf Italien 10%, auf Belgien 8%, auf Jugoslawien 5% und auf die restlichen Reparationsgläubiger 3%.
- 39
Für das 4. Reparationsjahr (1927/28) sah der Dawes-Plan eine Reparationsbelastung von 1,75 Mrd. GM (nicht 2,75 Mrd.) vor.
- 43
Über die Unterredung zwischen Briand und Stresemann vom 17.9.26 in Thoiry liegen zwei Aufzeichnungen Stresemanns vor; gedr. in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 88 und 94.
- 44
Telegramm Pünders aus Genf vom 17. 9. (Del. Nr. 26): „Geheime Besprechung des deutschen und französischen Außenministers unter vier Augen hat heute stattgefunden. Über den allgemeinen Verlauf der überaus eingehenden fünfstündigen Aussprache berichtet ein von beiden Herren gemeinsam formuliertes Presse-Communiqué […]. Zur dortigen vertraulichen Kenntnisnahme kann ich berichten, daß die in dem Presse-Communiqué bestätigte völlige Übereinstimmung der Auffassungen darin besteht, daß Briand sich mit einer sofort völligen Bereinigung aller zwischen Deutschland und Frankreich noch schwebenden Angelegenheiten voll einverstanden erklärt hat. Hierzu gehört der Rückkauf der Saargruben gegen Rückgabe des Saargebiets ohne Volksabstimmung, die Räumung zweiter und dritter Zone und die Abberufung der I.M.K.K. Die deutsche Gegenleistung soll in einer Erleichterung bei Begebung von Obligationen bestehen. Hierbei hat Briand einen von Frankreich insgesamt benötigten Betrag von etwa einer Milliarde angegeben, worauf natürlich der etwa 300 Millionen betragende Kaufpreis der Saargruben anzurechnen wäre. Weiteren Mitteilungen hierüber sowie über zahlreiche weitere in der Aussprache berührte Punkte müsse mündlicher Bericht vorbehalten bleiben. Die jetzt notwendig werdenden politischen und wirtschaftlichen Verhandlungen sollen in den ersten Tagen des Oktober in Berlin mit französischen Sondergesandten aufgenommen werden. […]“ (R 43 I/474, Bl. 300–301; in der Anlage zum oben abgedr. Protokoll ist dieses Telegramm nicht vorhanden).
- 45
Über der Zahlenangabe „2,5“ ein hschr. Fragezeichen. Statt 2,5 Mrd. muß es wohl 1,5 Mrd. heißen. Vgl. dazu die Aufzeichnung Stresemanns über seine Unterredung mit Briand in Thoiry, in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 94.
- 46
Siehe ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 98.
- 47
Siehe Anm. 33.
- 48
Siehe die Aufzeichnung Schuberts über seine Besprechung mit dem poln. Außenminister Zaleski am 17.9.26 in Genf, in: ADAP, Serie B, Bd. II,2, Dok. Nr. 111.
- 49
Gemeint ist offenbar die Londoner Konferenz vom August 1924.
- 50
Die Berichterstattung erfolgte in der Ministerbesprechung vom 24. 9.; siehe Dok. Nr. 84, P. 1.
- 51
Rede Briands bei der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund; siehe Anm. 8.
- 54
Gemeint ist offenbar ein Artikel, der unter der Überschrift „Begebung der Obligationen?“ in der DAZ (Berliner Ausgabe) Nr. 438 vom 19.9.26 erschien. Darin wird ausgeführt, daß die dt. Wirtschaftspolitik durch die Absprachen, die Stresemann und Briand in Genf getroffen hätten, vor eine außerordentlich schwerwiegende Entscheidung gestellt würde. Für gewisse politische Konzessionen Frankreichs werde von Dtld. eine Leistung verlangt, für deren Erfüllbarkeit sich niemand verbürgen könne. Es handle sich bekanntlich um die Begebung von dt. Reparationsobligationen. Da Frankreich von dem Kapitalbetrag der Emission nur etwa 65% erhalte und zur Sanierung seiner Währung und Finanzen mindestens eine Milliarde beanspruchen werde, komme eine Emission von einer Höhe in Betracht, bei der zunächst einmal die Aufnahmefähigkeit der internationalen Kapitalmärkte geprüft werden müsse. Diese Obligationen könnten außerdem nur dann untergebracht werden, wenn Verzinsung und Amortisation transferfrei gestellt würden, d. h. wenn der Reparationsagent darauf verzichte, die dt. Zahlungen nur nach Maßgabe der vorhandenen Devisenüberschüsse vorzunehmen. Mit der Aufhebung des Transferschutzes wäre aber das Kernstück der ganzen Dawes-Regelung durchbrochen. In der Praxis habe Dtld. die Reparationen bisher nicht aus erarbeiteten Überschüssen seiner Zahlungsbilanz, sondern aus Auslandskrediten gezahlt. Wenn Dtld. nun die Verpflichtung übernähme, Zinsen und Amortisationen für die Obligationen ohne Transferschutz zu zahlen, so müsse auch die Gewißheit bestehen, daß die dt. Zahlungsbilanz so aktiviert werden könne, daß nicht nur die schon bestehenden Auslandsverpflichtungen der Privatwirtschaft und des Staates herausgewirtschaftet werden, sondern daß darüber hinaus noch ein zusätzlicher Devisenüberschuß erzielt wird. In den ersten 11 Monaten des 2. Reparationsjahres habe sich jedoch allein in der dt. Handelsbilanz ein Passivsaldo von 350 Mio Mark ergeben. „Wie denkt man sich die Entwicklung, wenn man für den Dienst der Obligationen den Transferschutz preisgibt? Das ist die Frage, die unsere Staatsmänner zu beantworten haben!“
- 55
Siehe Dok. Nr. 75, P. 2 b.
- 56
Siehe hierzu die Aufzeichnung Schuberts vom 11.9.26, in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 81.
- 57
Vor den in Genf anwesenden Vertretern der dt. Presse führte Stresemann am 16.9.26 u. a. aus: „Wir sind nicht bedingungslos in den Völkerbund eingetreten. In Locarno sprachen wir es aus, daß unser Eintritt in den Völkerbund niemals die Anerkennung moralischen Unrechts von deutscher Seite bedeuten könne; wir haben uns dagegen verwahrt, daß wir unfähig seien, an der kolonialen Arbeit anderer Weltvölker teilzuhaben. […] Wir wollen doch das eine hier feststellen: Es gibt keine ausdrucksvollere Zurücknahme der moralischen Anschuldigung als die Aufnahme Deutschlands selbst, so, wie sie sich am Freitag [10. 9.], begrüßt von den Nationen der Welt, vollzogen hat.“ (nach „Tägliche Rundschau“ vom 17. 9.).