2.56 (mu21p): Nr. 56 Der Bayerische Ministerpräsident an den Reichskanzler. München, 3. November 1928

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[193] Nr. 56
Der Bayerische Ministerpräsident an den Reichskanzler. München, 3. November 1928

R 43 I /2021 , Bl. 4

[Betrifft: Arbeitsschutzgesetzgebung und Auftragsverwaltung.]

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Wie ich soeben in Erfahrung gebracht habe, sind für den kommenden Mittwoch, den 7. November 1928, die Länderreferenten zu einer Vorbesprechung über den Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes eingeladen1. Soweit dessen Inhalt sich mit den einschlägigen fachlichen Fragen sozialer und wirtschaftlicher Art befaßt, habe ich heute keine Veranlassung, dazu Stellung zu nehmen. Dagegen sehe ich mich genötigt, Ihre Aufmerksamkeit schon jetzt auf jenen Teil des Entwurfes zu lenken, der sich mit der organisatorischen Seite der Angelegenheit beschäftigt2. Dieser Teil, bei dem es sich um die Einrichtung einer Auftragsverwaltung ganz besonderer Art handelt3, steht im engsten Zusammenhang mit dem Komplex der Fragen, die auf der letzten Tagung des Ausschusses der Länderkonferenz besprochen und dem zweiten Unterausschuß überwiesen worden sind4. Bekanntlich soll dieser Unterausschuß nicht nur grundsätzlich und allgemein die Frage prüfen, wie eine Auftragsverwaltung eingerichtet werden kann. Er soll auch Klarheit darüber schaffen, welche Gebiete für diese Einrichtung in Betracht kommen können. Ich halte es deshalb für gänzlich ausgeschlossen, daß nunmehr durch die Vorwegnahme einer Sonderregelung der Lösung des Problems im ganzen durch die hierfür eigens berufene Länderkonferenz vorgegriffen und diese damit vor vollendete Tatsachen gestellt wird.

[194] Die Frage der Neuregelung des Arbeitsschutzes ist, wie die Vorverhandlungen ergeben haben, keineswegs nach allen Seiten hin vollständig geklärt, jedenfalls aber nicht so vordringlich, daß bei diesem Anlaß das von der Reichsregierung der Länderkonferenz anvertraute Problem der Reichsreform auf einem so wichtigen Teilausschnitt geradezu präjudiziert werden müßte, noch dazu in einer Weise, die aller Voraussicht nach die bestehenden Mängel und Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen Reich und Ländern nur noch vermehren würde.

So scheint es mir, daß der Entwurf des Reichsarbeitsministeriums nicht recht in Einklang gebracht werden kann mit dem Grundgedanken, den die Reichsregierung mit der Länderkonferenz verfolgt. Ich darf deshalb die dringende Bitte an Sie richten, Sie möchten bei dem Herrn Reichsarbeitsminister dahin wirken, daß die Behandlung des Entwurfs bis zur Lösung der Grundfrage zurückgestellt wird, sofern nicht dem Entwurf eine Gestalt gegeben wird, bei welcher die vorstehenden Gesichtspunkte ausscheiden5.

Genehmigen Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, auch bei diesem Anlaß die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.

Dr. Held

Ministerpräsident

Fußnoten

1

Hierzu vermerkte MinR Vogels: „Der ursprüngliche Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes war vom RR bereits verabschiedet. Dem RR war jedoch ausdrücklich zugestanden worden, daß die neue RReg. nochmals zu den Beschlüssen des RR Stellung nehmen solle, und daß der GesEntw. daraufhin dem RR zur nochmaligen Beratung wieder vorgelegt werden soll. – Der Arbeitsminister hat den ursprünglichen Entwurf einer Umarbeitung unterworfen. Der umgearbeitete Entwurf wird zur Zeit mit den Reichsministern und mit den Ländern vorberaten. Die letzte Besprechung mit den Ländern hat am 7.11.28 stattgefunden [zu einer Ressortbesprechung hatte der RArbM am 17. 10. zugleich mit der Zusendung des abgeänderten Entwurfs eingeladen (R 43 I /2020 , Bl. 327-429)]. Die Vorarbeiten werden so beschleunigt, daß der neue Entwurf dem RKab. binnen etwa zehn Tagen vorliegen wird“ (8.11.28, R 43 I /2021 , Bl. 7).

2

Die detaillierten Aussetzungen des bayerischen MinPräs. s. in Dok. Nr. 62.

3

Dazu vermerkte Vogels: „Die Umarbeitung des ehemaligen Entwurfs betrifft in erster Linie den Abschnitt 6 des Gesetzes über die Arbeitsaufsicht. Auch im neuen Entwurf ist der Gedanke einer völligen Verreichlichung der Gewerbeaufsicht fallen gelassen worden. Die Gewerbeämter – jetzt Arbeitsschutzämter genannt – bleiben Landesbehörden. Das wesentlich Neue des jetzigen Entwurfs ist die obligatorische Einführung von einer Zwischeninstanz, nämlich der Oberarbeitsschutzämter, die gleichfalls Landesbehörden sein werden. Aber nicht einmal die Einrichtung einer solchen Instanz ist absolut neu. Schon jetzt bestehen in den meisten Ländern solche Aufsichtsinstanzen, z. B. in Preußen, die Gewerberäte bei der Regierung“ (8. 11.; R 43 I /2021 , Bl. 7).

4

Über dem Brieftext und am Rand vom RK mit Grünstift: „Unterausschuß wann tagt er? Im Unterausschuß prüfen, zweifellos Vorgriff. Referentenentwurf?“

5

Vgl. die Antwort des RK in Dok. Nr. 58.

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