2.17.2 (lut1p): 2. Verhandlungen über ein Abkommen mit Rußland.

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2. Verhandlungen über ein Abkommen mit Rußland.

Der Reichswirtschaftsminister nahm Bezug auf seine Vorlage vom 5. Februar d. J.12 und betonte, daß drei Fragen zu entscheiden seien: 1. die Russen hätten eine Forderung auf Ausdehnung ihrer Handelsdelegationen erhoben, und zwar nicht nur für Berlin, sondern auch für andere Städte; 2. die Russen hätten gewisse Forderungen zum deutschen Zolltarif geltend gemacht, insbesondere[64] was die Getreideeinfuhr betreffe13; 3. bisher sei in Moskau verhandelt worden, es entstehe die Frage, ob man nicht besser in Berlin die Verhandlungen führe.

Dem Reichswirtschaftsministerium sei bekannt geworden, daß das Auswärtige Amt eine Sonderdelegation nach Moskau zu entsenden gedenke, um dort das Terrain zu sondieren. Dagegen habe er als Reichswirtschaftsminister starke Bedenken, zumal die Industrie eine Teilnahme an Verhandlungen in Moskau ablehne.

Der Reichsminister des Auswärtigen glaubte, daß die Angelegenheit ohne Inanspruchnahme des Kabinetts hätte erledigt werden können, wenn vorher das Reichswirtschaftsministerium oder die sonst betroffenen Ressorts sich an das Auswärtige Amt gewandt hätten. Unrichtig sei die Meldung, daß das Auswärtige Amt nach Moskau eine Sonderdelegation zur Sondierung der dortigen Situation zu entsenden gedenke. Vielmehr läge eine Anregung von Tschitscherin vor, die Kommission in Moskau zu verkleinern. Exzellenz v. Koerner habe die Verhandlungen bisher in Moskau geführt, und auch der dortige deutsche Botschafter von Brockdorff-Rantzau sei der Ansicht, daß man am besten in Moskau verhandle, weil einmal die Russen nach Berlin voraussichtlich nur Vertreter schicken würden, die keine ausreichende Vollmacht besäßen, und weil ferner das Auswärtige Amt auf dem Standpunkt stehe, man könne in Moskau mehr erreichen als in Berlin.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trat der Auffassung des Reichswirtschaftsministers dahin bei, daß man versuchen solle, in Berlin zu verhandeln. Zur Zeit würden Handelsvertragsverhandlungen an zahlreichen Stellen geführt, und das Ernährungsministerium sei nicht mehr in der Lage, diese vielen Verhandlungen gleichzeitig zu beschicken. Wenn die Übung bestehen bleibe, stets im Ausland zu verhandeln, so sehe er sich genötigt, in seinem Etat neue Stellen anzufordern14.

[65] Der Reichsminister des Auswärtigen verwahrte sich gegen die Vorwürfe, daß die Verhandlungen stets im Ausland geführt würden. Das sei durchaus nicht der Fall, wie die Verhandlungen mit Polen, England, der Schweiz usw. bewiesen.

Der Reichskanzler stellte mit Zustimmung des Kabinetts fest, daß das Auswärtige Amt, das Reichswirtschaftsministerium, das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft und das Reichsfinanzministerium eine sogenannte Geschäftsordnungsbesprechung abhalten sollten, zu der das Auswärtige Amt die Einladungen ergehen lassen würde. Eine zweite Besprechung über die materielle Seite der Angelegenheit solle zwischen den gleichen Ressorts stattfinden. Das Reichsministerium des Innern solle bei dieser zweiten Besprechung hinzugezogen werden15.

Fußnoten

12

In den Akten nicht ermittelt.

13

Über das Ergebnis der Mitte Dez. 1924 abgeschlossenen Vorverhandlungen zu einem dt.-sowj. Wirtschaftsabkommen vermerkt LegR Hahn (AA) in einer Aufzeichnung vom 22.4.25: Man habe keine Annäherung, sondern lediglich eine deutliche Herausstellung der beiderseitigen Forderungen und Standpunkte erreichen können. Die sowj. Delegation habe gefordert: 1) Rechte der Handelsvertretung: Die Handelsvertretung in Berlin wird ein Teil der Botschaft. Allen Mitgliedern des Rates der Handelsvertretung werden diplomatische Vorrechte gewährt. Die Handelsvertretung erhält Exterritorialität und Steuerfreiheit, sie wird Interessenvertretung in allen Wirtschaftsfragen. Sie erhält das Recht auf Errichtung von Filialen. 2) Gewährung von Krediten. 3) Verzicht auf das Meistbegünstigungsrecht aus Art. 4 des Rapallovertrages hinsichtlich der asiatischen Grenzländer der Sowjetunion. 4) Vereinbarungen über landwirtschaftliche Zölle. 5) Abschluß einer Viehseuchenkonvention. Von dt. Seite sei gefordert worden: 1) Gleichstellung der Aktien- und Handelsgesellschaften jeder Art mit den sowj. Wirtschaftsorganen. 2) Das freie Akquisitionsrecht (d. h. das Recht dt. Firmen, ohne vorherige Registrierung dem sowj. Verbraucher mündliche Offerten machen zu können). 3) Zusicherung freien Postpaketverkehrs. 4) Sicherstellung von Kontingenten an der Wareneinfuhr in die Sowjetunion. 5) Freie Durchfahrt durch das sowj. Staatsgebiet (Pol. Arch. des AA, IV Rw-Handakten, Rußland, Bd. 63).

14

Erhebliche Bedenken gegen die Fortführung der Handelsvertragsverhandlungen im Auslande hatte der PrHandM schon am 23.12.24 mit Schreiben an den RK erhoben. Pr. werde bei Fortbestehen des gegenwärtigen Zustandes kaum noch geeignete Vertreter zu diesen Verhandlungen entsenden können. „Wir möchten annehmen, daß auch für die beteiligten Reichsressorts die Verlegung […] von Rom und Moskau nach Berlin zur Aufrechterhaltung geordneter Geschäftsverhältnisse geboten ist. Auch die Fühlung zwischen den einzelnen Delegationen bei den gleichzeitig geführten Verhandlungen, die unbedingt aufrechterhalten werden muß, scheint uns unter den jetzigen Verhältnissen keineswegs gewährleistet zu sein.“ (R 43 I /134 , Bl. 188 f.). Den gleichen Standpunkt vertrat der REM mit Schreiben an AA vom 15. 1. (abschrl. an Rkei in R 43 I /1085 , Bl. 184). Er beantragt mit Schreiben an die Rkei vom 9. 2., die Frage der Zurückziehung sämtlicher Wirtschaftsdelegationen und der Fortführung der Verhandlungen in Berlin umgehend auf die Tagesordnung einer Kabinettssitzung zu setzen. Dem wird von der Rkei nicht stattgegeben, da, wie Grävell am 13. 2. vermerkt, ein solcher Tagesordnungspunkt beim RAM „erhebliche Mißstimmung“ hervorrufen würde (R 43 I /1085 , Bl. 185 f.).

15

Hierzu in den Akten lediglich das Protokoll einer am 23. 2. in der Rkei stattfindenden Chefbesprechung, in der über die Einsetzung eines handelspolitischen Ausschusses beim AA beraten wird. S. dazu Anm. 7 zu Dok. Nr. 26.

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