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6. Teilnahme an der Sitzung des Untersuchungsausschusses des Reichstags.
Der Reichskanzler trug vor, daß er, der Reichsminister des Innern und der Staatssekretär in der Reichskanzlei eine Ladung des Untersuchungsausschusses des Reichstags20 zu Dienstag, den 27. September, erhalten habe21. Er sei geneigt, der Ladung nachzukommen, jedoch nur als Zeuge auszusagen.
Der Reichsminister der Justiz führte aus, daß die rechtliche Lage einwandfrei sei. Es handele sich hier um eine Zeugenladung. Die ladende Stelle sei zu der Ladung berechtigt. Der Zeuge müsse der Ladung folgen.
Reichskommissar Dr. Bracht warf die Frage auf, ob Anlaß bestehe, grundsätzlich die Ladung abzulehnen.
Der Reichsminister der Justiz führte aus, es sei rechtlich unmöglich, das Erscheinen als Zeuge mit der Begründung abzulehnen, daß die letzten Abstimmungen des Reichtags nach seiner Auflösung ungültig seien.
Der Reichswehrminister neigte der Auffassung zu, daß die geladenen Zeugen erscheinen und über Tatsachen aussagen müßten.
Der Reichsminister des Innern führte aus, es sei bestritten, ob der Reichskanzler, er und der Staatssekretär in der Reichskanzlei rechtlich zum Erscheinen als Zeugen verpflichtet seien22. Man solle sich nach seiner Auffassung bei[635] der Zeugenaussage auf die Beantwortung von Fragen über tatsächliche Vorgänge beschränken. Sollte es politisch zweckmäßig erscheinen, so müßten die erwähnten Mitglieder des Reichskabinetts natürlich auch die Freiheit haben, andere Fragen zu beantworten.
Die übrigen Mitglieder des Reichskabinetts stimmten diesen Darlegungen zu23.
Fußnoten
- 20
Es handelt sich um den Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung („Überwachungsausschuß“), der sich in seiner Sitzung vom 14. 9. in einen Untersuchungsausschuß über die Vorgänge, die zur Reichstagsauflösung am 12. 9. führten, umgewandelt hatte. Zum Beschluß des Ausschuses (14. 9.) über den Gegenstand der Untersuchung und die vorzuladenden Personen s. Anm 2 zu Dok. Nr. 142.
- 21
Die Vorladung zur Zeugenvernehmung war ergangen durch den Ausschußvorsitzenden Löbe mit Schreiben vom 22. 9., in dem es weiter hieß: „Ich mache gemäß § 51 der Strafprozeßordnung darauf aufmerksam, daß ein ordnungsgemäß geladener Zeuge, welcher nicht erscheint, in die durch das Ausbleiben verursachten Kosten sowie zu einer Ordnungsstrafe in Geld, evtl. zur Strafe der Haft bis zu 6 Wochen verurteilt werden kann und daß auch die zwangsweise Vorführung des Zeugen zulässig ist.“ (R 43 I/1010, Bl. 145–146).
- 22
Der RIM bezieht sich hierbei vermutlich auf Ausführungen Jellineks in einem zur Veröffentlichung in der Presse vorgesehenen, jedoch anscheinend nicht publizierten Aufsatz (Überschrift: „Reichskanzler und Überwachungsausschuß“), dessen Manuskript (7 Seiten) von Jellinek an StS Zweigert (RIMin.) und von diesem am 21. 9. an den StSRkei übermittelt worden war. Darin hatte Jellinek das Verhältnis der Art. 33 RV („Der Reichstag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit des Reichskanzlers und jedes Reichsministers verlangen“) zu Art. 34 („Auf Erhebungen der Untersuchungsausschüsse und der von ihnen ersuchten Behörden finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäße Anwendung“) und Art. 35 (der Überwachungsausschuß hat die Rechte von Untersuchungsausschüssen) untersucht und die Frage aufgeworfen: „Geht es wirklich an, dem Reichskanzler eine doppelte Erscheinungspflichet aufzuerlegen: als Reichskanzler und als Auskunftsperson? Dies scheint mir unmöglich Sinn der Reichsverfassung sein zu können, vielmehr enthält Art. 33 für die Mitglieder der Reichsregierung eine Sonderregelung, die an die Stelle, nicht neben die allgemeine Erscheinungspflicht eines jeden Staatsbürgers tritt. Die Unterstellung des Reichskanzlers unter die Strafprozeßordnung geht schon deshalb nicht, weil nach StPO. § 243 die Zeugen zwischen Aufruf und Vernehmung abtreten, während der Reichskanzler nach RVerf. Art. 33 Abs. 2 unbedingten Zutritt zu den Reichstagsausschüssen hat und auf sein Verlangen jederzeit zu hören ist (Abs. 3). Für den Reichskanzler besteht also nur die eine, die rein staatsrechtliche Pflicht zum Erscheinen, und hinter dieser Pflicht steht kein Zeugniszwangsverfahren.“ Und weiter: „Aber auch bei Zubilligung strafprozessualer Befugnisse an den Überwachungsausschuß liegen die Dinge nicht klar zu Gunsten des Ausschusses. Nach § 8 des Reichsministergesetzes erstreckt sich die Amtsverschwiegenheit des Reichskanzlers und der Reichsminister auch auf solche ihnen amtlich bekanntgewordenen Angelegenheiten, deren Geheimhaltung von der Reichsregierung beschlossen worden ist.“ Die RReg. könne also dem RK „über alle mit der Reichstagsauflösung zusammenhängenden Vorgänge Schweigen auferlegen. Allerdings darf sie nach § 9 Abs. 1 [des Reichsministergesetzes] die Genehmigung zur Vernehmung als Zeuge nur versagen, wenn die Ablegung des Zeugnisses dem Wohle des Reichs Nachteile bereiten würde. Aber die Reichsregierung kann mit gutem Gewissen der Ansicht sein, daß jede Vernehmung vor einem Ausschuß, der die Amtsanmaßung des Reichstags vom 12. September gutheißt, unabsehbare Nachteile für das Reich mit sich bringen würde.“ (R 43 I/1010, Bl. 136–143).