2.218 (wir1p): Nr. 215 Der Reichsminister des Innern an den Reichskanzler. 1. März 1922

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Nr. 215
Der Reichsminister des Innern an den Reichskanzler. 1. März 1922

R 43 I /777 , Bl. 320 f.

[Betrifft: Beratungen mit den Ländern über den Referentenentwurf zum Lehrerbildungsgesetz.]

Im Anschluß an die Chefbesprechung in der Reichskanzlei am Freitag, den 17. Februar, mittags 12 Uhr1, beehre ich mich, auf die Zusammenfassung der Ergebnisse am Schluß der Besprechung durch den Herrn Reichskanzler zurückzukommen, durch die in Aussicht genommen wurde, die Folgen der Weimarer Beratungen möglichst sofort in einer neuen Chefbesprechung zur Erörterung zu stellen.

Die Beratungen in Weimar wurden am 18. Februar unter Teilnahme fast aller Länder geführt. Als ihre Ergebnisse darf ich folgendes bezeichnen:

[597] 1. Sämtliche Länder (außer Bayern, das seine Präparandenanstalten zu Ostern des Jahres wieder eröffnet) haben Vorbereitungen zu einer Neuordnung der Lehrerbildung getroffen, ohne miteinander oder mit dem Reich über eine Vereinheitlichung der Maßnahmen Fühlung zu nehmen. Auch Preußen hat bereits eine Denkschrift über die Ostern des Jahres zu eröffnenden Aufbauklassen, die an Stelle der Lehrerbildungsanstalten treten sollen, an die Mitglieder des Landtags verteilt und den Provinzialschulkollegien übersandt. Ohne Eingreifen des Reichs ist eine völlige Zersplitterung des deutschen Lehrerbildungswesens nicht mehr zu vermeiden. Das Reich muß unbedingt die Verabschiedung eines Lehrerbildungsgesetzes erstreben und eine Vereinheitlichung der Lehrerbildungsreform im Sinne der Verfassungsbestimmung einleiten, andernfalls bestünde die Gefahr, daß die Schuld an der Zersplitterung des deutschen Lehrerbildungswesens vor der Öffentlichkeit dem Reiche zufallen würde.

2. Sämtliche Länder wünschen, daß das Kabinett seine Stellungnahme, wonach sich das Reich an den etwaigen Mehrkosten der Lehrerbildungsreform überhaupt nicht beteiligen könne, nachprüfen möge.

3. Sämtliche Vertreter erklären, daß die Frage der Rückwirkung der Lehrerbildungsreform auf die Besoldung die wichtigste wäre.

4. Alle Vertreter, außer denen aus Preußen, die sich der Stimme enthielten, Oldenburg und vom Mecklenburgischen Finanzministerium, geben die Erklärung ab, daß sie bereit seien, im Falle einer befriedigenden Beteiligung des Reichs bei der Lösung der Kernfrage (der Beteiligung an den Mehrkosten einer später etwa notwendig werdenden Neueinstufung der Volksschullehrer) bei ihren Regierungen dafür einzutreten, daß die Kosten für die Umstellung der Lehrervor- und ausbildung von den Ländern allein übernommen werden.

Diese Erklärung erscheint mir so bedeutungsvoll, daß damit eine neue Tatsache gegeben ist, die eine Überprüfung der früheren Stellungnahme des Kabinetts notwendig machen muß2. Zu dieser Frage der Beteiligung des Reichs an den Kosten für die Volksschullehrerbesoldung bemerke ich noch, daß sich auch bei diesem Punkte durch die Beratungen in Weimar eine gewisse Klärung ergab. Die Angaben in dem Schreiben des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 11. Februar 1922 erwiesen sich als nicht stichhaltig3. Bei diesen Angaben war eine Einstufung der Lehrer in die Gruppen X, XI, XII nach der Art der Besoldung der Studienräte zu Grunde gelegt; ferner war angenommen, daß diese Einstufung sofort beginnen müßte. In Wirklichkeit stehen alle Länder auf dem Standpunkt,

1.

daß die Volksschullehrer auch nach der Lehrerbildungsreform nur in die Gruppen VIII, IX, X einzuordnen seien und

2.

daß diese Neueinstufung erst zu erfolgen habe, wenn etwa ⅓ der gesamten Lehrerschaft in der geplanten Weise vorgebildet sein wird, was etwa 20 bis 30 Jahre nach Veröffentlichung eines Lehrerbildungsgesetzes der Fall sein dürfte.

Da die Erfahrung bei der letzten plötzlichen Erhöhung der Besoldungen[598] gezeigt hat, daß das Reich die Mehrkosten auch für die Staatsbeamten und Lehrer in den einzelnen Ländern übernehmen mußte, so ist die Erwägung nicht von der Hand zu weisen, daß eine Beteiligung des Reichs bei Neueinstufungen in Zukunft ohnehin nicht mehr vermeidbar sein wird. Eine Neueinstufung der Lehrer im nächsten Menschenalter hielten aber die Vertreter fast aller Länder auf jeden Fall für notwendig, auch dann, wenn keine Erhöhung der Lehrervorbildung erfolgen würde.

Da also dem Reiche auf jeden Fall ein Teil der Mehrkosten dieser sicher eintretenden Neueinstufung zufallen würde, und da diese Neueinstufung auch ohne Lehrerbildungsreform erfolgen müßte, so halte ich es für dringend notwendig, daß das Kabinett nunmehr seine Bereitwilligkeit erklärt, sich an den Kosten der Höherstufung der Volksschullehrer zu beteiligen, soweit die Neueinstufung durch ein Reichslehrerbildungsgesetz veranlaßt werden sollte. In das Gesetz müßte dann ein Paragraph aufgenommen werden, der Sicherungen für die Beteiligung des Reichs an den Mehrkosten enthielte, etwa in der Form, daß die Neueinstufung 20 bis 25 Jahre nach Erlaß des Lehrerbildungsgesetzes eintritt, oder allgemeiner ausgedrückt, daß sie erst erfolgen würde, wenn ⅓ der fest angestellten Lehrer nach den Vorschriften des Gesetzes vorgebildet sein würde. Ich bitte, eine Chefbesprechung über diese meine Vorschläge noch in dieser Woche anzusetzen4.

Die sofortige Chefbesprechung und eine ihr unmittelbar folgende Kabinettsberatung über diese Frage erscheint mir auch darum notwendig, weil der Deutsche Lehrerverein für Dienstag, den 7. März, eine große öffentliche Kundgebung gegen die Verschleppung der Neuordnung der Lehrerbildung plant, an der Vertreter aus ganz Deutschland erscheinen werden. Es steht zu befürchten, daß diese Kundgebung nur der Anfang einer Werbearbeit großen Stiles für die Verabschiedung eines Lehrerbildungsgesetzes bedeutet, und daß diese Werbearbeit eine dauernde Beunruhigung im ganzen Reich und in den Ländern hervorbringen und nicht eher zum Abschluß kommen wird, als nicht gesetzgeberische Schritte zur Vereinheitlichung der Lehrerbildung im Reiche erfolgen5.

Köster

Fußnoten

1

Siehe Dok. Nr. 206.

2

Kabinettsbeschluß siehe Dok. Nr. 86, P. 2.

3

Zum Schreiben vom 11.2.1922 vgl. Dok. Nr. 206 Anm. 1.

4

Protokoll dazu in R 43 I nicht ermittelt.

5

Mit einem Schreiben vom 8.3.22 an den RIM, das abschriftlich in die Rkei gelangte, legt der RFM noch einmal seinen Standpunkt zur Kostenfrage dar und führt u. a. aus: „Die Regelung der Kostenfrage zwischen Reich und Ländern, wie sie vom Reichsministerium des Innern zum Ausdruck gebracht worden ist, würde aber zweifellos eine ganz außerordentliche Belastung der Reichsfinanzen bewirken, wobei noch in Rechnung zu ziehen ist, daß Preußen sich bei den Beratungen in Weimar der Stimme enthalten hat, also ohne Zweifel beabsichtigt, noch weitergehendere Forderungen wie die übrigen Länder zu stellen. – Meines Erachtens sind diese finanziellen und außenpolitischen Gesichtspunkte von so überragender Bedeutung, daß dagegen alle anderen für eine reichsgesetzliche Regelung der Lehrerbildungsfrage sprechenden Gründe zurücktreten müssen. Ich möchte hierbei ausdrücklich bemerken, daß ich die Schwierigkeit der Stellung des Reichsministeriums des Innern keineswegs verkenne, glaube aber, daß dem besonders befürchteten Vorwurf, das Reich trage Schuld an der Verschleppung des auf Grund der Reichsverfassung erwarteten Gesetzes durch den Hinweis begegnet werden könnte, daß nicht das Reich schuld ist, sondern der unerbittliche Zwang der durch den Friedensvertrag geschaffenen Verhältnisse, und daß an sich wünschenswerte, von der Reichsverfassung programmatisch vorgesehene Reformen auf dem Gebiet des Schul- und Bildungswesens unter dem immer schärfer werdenden Druck der Kontrolle unseres gesamten Finanzgebarens durch die Verbandsstaaten einstweilen zurückgestellt werden müssen. Ich glaube auf diese Sachlage um so mehr Gewicht legen zu sollen, als sogar innerhalb der Siegerstaaten nach englischen Veröffentlichungen der letzten Zeit, der Abbau von Kulturausgaben ins Auge gefaßt wird, und uns wohl mit Recht entgegengehalten werden könnte, daß das deutsche Volksschulwesen schon bisher allgemein als auf besonders hoher Stufe stehend angesehen wurde, eine unbedingte Notwendigkeit zu einer mit hohen Kosten verbundenen Neuordnung in der gegenwärtigen Lage also nicht einzusehen sei.“ Abschließend verlangt der RFM ein Festhalten an dem in Anm. 2 zitierten Kabinettsbeschluß (R 43 I /777 , Bl. 323-327).

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