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Nr. 136
Der Deutsche Industrie- und Handelstag zum Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung und zur Handelspolitik. 9. Oktober 1930
R 43 I/2367, Bl. 19–221
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Der Präs. des DIHT v. Mendelssohn übersandte mit Anschreiben vom 10. 10. dem RK und den Reichsministern, dem StS in der Präsidialkanzlei und dem StSRkei diese Entschließungen (R 43 I/2367, Bl. 17–18; s. auch Schultheß 1930, S. 200–201).
Der Deutsche Industrie- und Handelstag beriet in seiner sehr zahlreich aus allen Teilen des Reiches besuchten Hauptausschußsitzung vom 9. Oktober 1930 unter dem Vorsitz seines Präsidenten Franz v. Mendelssohn die Stellungnahme zum Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung wie auch zur handelspolitischen Lage und ihren Erfordernissen. Der Ausschuß gelangte nach eingehender Erörterung auf Grund der Berichte, die der Präsident der Industrie- und Handelskammer Breslau, Dr. Grund, zum ersten, Reichsminister a. D. Dr. Hamm zum zweiten Punkt erstattete, zu folgenden Entschließungen:
Zum Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung2.
Der Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung umfaßt nicht die Gesamtheit der volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten. Aber er ist als ein Anfang der Maßnahmen zu begrüßen, die zur Rettung vor weiterem Verfall in Arbeitslosigkeit, Kapitalverarmung und wirtschaftliche wie politische Wirren notwendig sind, wie auch als eine entscheidende Unterstützung einer Anbahnung der zur Gesundung der deutschen Volkswirtschaft und darüber hinaus der Weltwirtschaft unerläßlichen Revision der Reparationsverpflichtungen.
In richtiger Erkenntnis der Zusammenhänge will der Plan die Gestehungskosten in der deutschen Volkswirtschaft senken, die öffentliche Wirtschaft durch Sparsamkeit in Ordnung bringen, damit dem Anwachsen der produktionsbelastenden öffentlichen Aufgaben ein Ende setzen und so Vertrauen im In- und Ausland als unerläßliche Grundlage wieder ansteigender Wirtschaftsentwicklung schaffen.
[513] In der Tat kann allein auf diesem Wege ohne untragbare volkswirtschaftliche Verluste eine Senkung der Preise erreicht und der drückenden Not der Arbeitslosigkeit mit dauerndem Erfolg entgegengearbeitet werden, während erzwungene künstliche Maßnahmen, wie Arbeitszeitkürzung und ähnliches, insofern sie die Produktionskosten steigern, notwendigerweise auch der Überwindung der Arbeitslosigkeit abträgliche Wirkungen auslösen würden.
Die Prüfung der Einzelheiten des Planes bleibt vorbehalten, darf aber nicht davon ablenken, den Plan als ein einheitliches Ganze zu würdigen.
Diese Einheitlichkeit des Planes fordert, daß auch die persönlichen Kosten in der Privatwirtschaft auf das mit der Erhaltung und Stärkung der Betriebe vereinbare Maß herabgesetzt werden. Ein solchen Maßnahmen entsprechendes freiwilliges Vorgehen, insbesondere auch der an führenden Stellen Tätigen, hat bereits vielfach eingesetzt und muß weitergeführt werden.
Weitergeführt werden muß auch mit Nachdruck die notwendige Reform unseres Verfassungs- und Verwaltungsaufbaues.
In der Gesamtheit der Maßnahmen handelt es sich nicht um Opfer, die von einem Berufsstande einem anderen gebracht werden sollen. Vielmehr geht es darum, die Anpassung an die innenwirtschaftlichen wie die weltwirtschaftlichen Erfordernisse zu erreichen und damit den Arbeitslosen wie der Jugend den Zugang zu Produktivität und Verbrauchskraft in einer gesunden Wirtschaft wieder zu eröffnen. Dies Ziel zu erreichen, ist die aus der Gemeinschaft des Schicksals folgende gemeinsame Aufgabe von Staat und Wirtschaft wie von Unternehmern und Arbeitnehmern.
Leitsätze zur Handelspolitik
Beschluß des Hauptausschusses des Deutschen Industrie- und Handelstags
vom 9. Oktober 1930
1.
Die deutsche Handelspolitik muß weiter von der Erkenntnis getragen sein, daß die deutsche Volkswirtschaft nicht ohne starke Ausfuhr und demgemäß ohne starken Außenhandel bestehen kann. Eine Politik, die irgendwie auf die Abschließung der deutschen Wirtschaft von der Weltwirtschaft abzielt, erfordert deshalb im Interesse der Gesamtheit entschlossene Abwehr. Sie würde eine weitere Steigerung der Arbeitslosigkeit, Kapitalverarmung und Verschuldung bedeuten und damit auch zum Schaden der Landwirtschaft ausschlagen. Dabei soll die Bedeutung eines gesunden aufnahmefähigen Inlandsmarktes auch für die Ausfuhr nicht übersehen werden. Insbesondere ist es erstrebenswert, die Ernährung des deutschen Volkes in steigendem Maße, namentlich durch wachsende Anpassung der Erzeugung an den Bedarf auf dem heimischen Boden abzustellen.
2.
Das im Laufe der letzten sechs Jahre geschaffene Handelsvertragssystem hat sich in der Entwicklung der Ausfuhr, die freilich zum Teil durch Kapitalarmut und Verschuldung erzwungen war, grundsätzlich bewährt, wennschon in[514] vielen Ländern übersteigerte Maßnahmen des unmittelbaren wie des mittelbaren Protektionismus den internationalen Güteraustausch stärker einengen, als es der wohlverstandene Nutzen der nationalen und der internationalen Wirtschaft bedingt. Zu einer grundsätzlichen Abkehr vom bisherigen System besteht daher kein Anlaß; es ist vielmehr klar und stetig weiterzuführen.
3.
Die Meistbegünstigung ist in Verbindung mit ausreichenden Zolltarifabreden nach wie vor als die nützlichste Grundlage der internationalen Handelsbeziehungen anzusehen. Sie ist für Deutschland bei der Vielfältigkeit seiner Ausfuhr in besonderem Maße notwendig, um eine Schlechterstellung gegenüber der Ausfuhr von Wettbewerbsländern auszuschließen.
4.
Die neue Entwicklung der Weltwirtschaft weist darauf hin, durch die Schaffung großräumiger Wirtschaftsgebiete auch in Europa einen besseren industriell-agrarischen Ausgleich zu erleichtern. Jeglicher hierauf abzielende engere Zusammenschluß, der frei von politischen Vorherrschaftsabsichten und unter Wahrung eines angemessenen Schutzes heimischer Arbeit, insbesondere der Landwirtschaft, die Wirtschaftskraft Europas zu stärken geeignet ist, wird zu fördern sein. Dabei ist die Voraussetzung, daß solche auf besonderer wirtschaftlicher und geopolitischer Verbundenheit der beteiligten Länder beruhende zollpolitische Annäherungen die grundsätzliche Beibehaltung der Meistbegünstigung nicht in Frage stellen.
5.
Auch sonst verdienen internationale Maßnahmen zur Wirtschaftsverständigung aufmerksame Förderung. Hierbei kommt es mehr darauf an, praktische Ergebnisse, sei’s auch in einem engeren Kreise beteiligter Staaten, zu erreichen und ihre gegenseitige Durchführung zu sichern, als mit unerreichbaren Vorschlägen die Gesamtheit der Staaten umspannen zu wollen. Wo daher brauchbare Ergebnisse bei Verhandlungen zwischen der Gesamtheit aller Staaten nicht erreichbar sind, sollen umsomehr im engeren Kreise von Staaten größerer kultureller und wirtschaftlicher Gleichmäßigkeit alsbald wirksame Vereinbarungen angestrebt werden, so besonders über die Behandlung der Ausländer, die Bekämpfung des indirekten Protektionismus, die Vereinfachung der Zollförmlichkeiten.
Als ein Beitrag zu solcher Wirtschaftsverständigung wird die Genfer Handelskonvention vom 24.3.1930 der baldigen Ratifizierung empfohlen3.
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Vgl. Schultheß 1930, S. 456–459.