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Nr. 165
Aufzeichnung des Reichswirtschaftsministers: Maßnahmen zur Behebung der Passivität der Handelsbilanz. 3. April 19241
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RWiM Hamm übersendet die Aufzeichnung am 3. 4. an StS Bracht mit der Bitte, zu ihrer Erörterung eine Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Kabinetts auf den 8. 4. festzusetzen (Protokoll dieser Sitzung: Dok. Nr. 170). Er beabsichtige, die in der Aufzeichnung angeschnittenen Fragen auf der Tagung des wirtschafts- und des finanzpolitischen Ausschusses des Vorl. RWiR am 9. 4. zur Diskussion zu stellen (vgl. Anm. 3).
Ähnlich wie in dem oben abgedruckten Dokument wird die wirtschaftspolitische Situation dargestellt in einem Rundschreiben des RWiM vom 29. 3. an die Landesregg. sowie in einer Aufzeichnung des RWiM vom 31. 3. über „Die Lage der dt. Wirtschaft im Frühjahr 1924“ (R 43 I/1135, Bl. 11-13, 17-26). Vgl. hierzu auch Schacht, Die Stabilisierung der Mark, S. 113 ff.
R 43 I/1078, Bl. 59-63 Umdruck
A. Die Tatsachen der gegenwärtigen Konjunktur, insbesondere der Handelsbilanz.
Die Entwicklung der deutschen Wirtschaftslage seit der Jahreswende, vor allem die Gestaltung der Handelsbilanz in den Monaten Januar und Februar 1924, bietet zu ernsten Besorgnissen Anlaß. Das letzte Quartal 1923 wies einen Ausfuhrüberschuß von durchschnittlich fast 100 Millionen Goldmark im Monat[527] auf, wohl ein Anzeichen dafür, daß mit dem Herbst 1923 der wirtschaftliche Verblutungsprozeß Deutschlands sein natürliches Ende erreicht hatte und daß das Ausland die Gewährung von Einfuhr-Krediten angesichts der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit Deutschlands ablehnte. Demgegenüber schloß die Handelsbilanz im Januar 1924 mit einem Einfuhr-Überschuß von rund 150 Millionen, im Februar 1924 mit einem Einfuhrüberschuß von über 250 Millionen Goldmark.
Diese wachsende Passivität ist sowohl auf einen Rückgang der Ausfuhr wie auf eine Steigerung der Einfuhr zurückzuführen. Im Vergleich zum letzten Quartal 1923 blieb die Ausfuhr im Januar 1924 um rund 120 Millionen Goldmark, im Februar 1924 um rund 85 Millionen Goldmark zurück. Von diesem Rückgang sind alle wesentlichen Gruppen der Fabrikatausfuhr betroffen worden. So wurden gegenüber dem Vormonat im Januar 1924 weniger ausgeführt an Maschinen, elektrotechnischen Erzeugnissen und Fahrzeugen 35%, an Leder und Lederwaren 34%, an Farben und Farbwaren 25%, an Papier, Pappe usw. 23%, an Glas und Glaswaren 23%, an Fabrikaten insgesamt 24%.
Stärker noch als der Rückgang der Ausfuhr ist die Zunahme der Einfuhr, welche den Durchschnitt des letzten Quartals 1923 im Januar 1924 um 120 Millionen Goldmark, im Februar 1924 um 270 Millionen Goldmark überstiegen hat. Diese Zunahme ist im Januar vor allem auf die Steigerung der Lebensmitteleinfuhren (um 75 Millionen Goldmark gegenüber dem Durchschnitt des Jahres 1923), im Februar auf die Steigerung der Rohstoffeinfuhren (um rund 96 Millionen Goldmark gegenüber dem Durchschnitt des Jahres 1923) zurückzuführen. Die Hauptrolle spielen dabei die Rohstoffe für den deutschen Inlandskonsum. Gegenüber der durchschnittlichen Einfuhr des letzten Quartals 1923 sind im Durchschnitt der beiden ersten Monate 1924 mehr eingeführt worden an Baumwolle rd. 20%, an Wolle rd. 200%, an Häuten rd. 60%. Dagegen ist die Einfuhr von Rohstoffen der Produktionsmittelindustrie weiter zurückgegangen, so die von Eisenerzen um rd. 60%, Form- u. Stabeisen um rd. 20%, Kupfer um rd. 10%. Die Fertigwareneinfuhr ist gegenüber dem Durchschnitt 1923 im Januar 1924 um rund 16 Millionen Goldmark, im Februar um rund 56 Millionen Goldmark gestiegen. Hierunter, wie unter der Nahrungsmitteleinfuhr, befindet sich eine beträchtliche Anzahl von reinen Luxuswaren.
Dieses Bild der Außenhandelsstatistik wird durch die Entwicklung des Arbeitsmarktes voll bestätigt. Die Arbeitslosigkeit im unbesetzten Gebiet, die am 15. Januar 1924 nahezu 1,6 Millionen Menschen als voll arbeitslos umfaßt hatte, war Mitte März d. Js. auf weniger als 1 Million Personen zurückgegangen. Die einzelnen Industriegruppen sind aber von diesem Rückgang in sehr verschiedener Weise betroffen worden. Eine wesentliche Zunahme der Beschäftigung weisen die Textil- und Lederindustrie, das Bekleidungsgewerbe sowie das Nahrungs- und Genußmittelgewerbe auf, also diejenigen Zweige, welche unmittelbar Verbrauchswaren für den inländischen Massenbedarf herstellen. Dagegen zeigt die Hauptindustrie der Produktionsmittel und zugleich eine der wichtigsten Ausfuhrindustrien, die Metallindustrie, vorläufig keine Besserung.
Die gegenwärtige Lage ist dadurch gekennzeichnet, daß unter der Wirkung der Stabilisierung und der dadurch gesteigerten Realeinkünfte der breiten[528] Massen, bzw. der von der Stabilisierung bewirkten abermaligen Einkommensumschichtung, der Inlandsverbrauch und die hierfür benötigte Einfuhr beträchtlich zugenommen hat, während die an sich bestehenden Schwierigkeiten für die deutsche Ausfuhr durch die Festlegung des deutschen Preisniveaus auf Gold verschärft worden sind. Es ist verständlich, daß nach der Einfuhrblockade, als welche sich die letzten Monate der Inflationsperiode ausgewirkt haben, die neugewonnene Stabilität der Einkünfte zunächst von allen Kreisen der Bevölkerung zur Wiederherstellung und Ergänzung der privaten Vermögenssubstanz an Kleidung, Wäsche und Mobiliar verwendet wurde. Aber abgesehen davon, daß die auf dieser Grundlage künstlich belebte Teilkonjunktur nur von vorübergehender Dauer sein kann, verschärft die sofortige und völlige Umwandlung der Einkommen in Konsumgüter die bestehende Störung des deutschen Kapitalmarktes.
Die Inflation hat das mobile Kapital entweder aufgezehrt oder auf seine Immobilisierung hingewirkt. Sie hat den Sparsinn zerrüttet und die Kreditinstitute und Sparkassen aus dem Kapitalbildungsprozeß ausgeschaltet. Wird der allgemeinen Kapitalnot, welche ihren Ausdruck in den drückenden Bankbedingungen findet, nicht durch die freiwillige Bildung neuen Sparkapitals selbsttätig entgegengewirkt, so wird die deutsche Produktion in steigendem Umfang versuchen, durch ausländische Kreditnahme ihr laufendes Betriebskapital zu beschaffen. Fast der dritte Teil der Einfuhr in den beiden ersten Monaten des laufenden Jahres konnte nicht auf dem normalen Wege der Ausfuhr beglichen, sondern mußte durch ausländische Kredite finanziert werden. Darüber hinaus haben aber schon bisher zahlreiche inländische Unternehmungen auch zur Abwicklung rein binnenwirtschaftlicher Geschäfte Auslandskredite aufgenommen, welche die Gefahr einer weiteren Einfuhrsteigerung in drohende Nähe rücken. Die ausländischen Kredite sind in der Regel nur auf kurze Frist für die Dauer von 1 bis 3 Monaten bereitgestellt worden. Ohne Rücksicht darauf, ob durch die Verwendung dieser Kredite der inländischen Wirtschaft die zur Abdeckung notwendigen Devisen zugeführt worden sind, müssen sie in absehbarer Zeit in dauernde Kapitalinvestitionen des Auslands verwandelt oder von den Schuldnern in ausländischer Währung zurückgezahlt werden. Wird dieses ausländische Geld zurückgezogen – was insbesondere beim Eintreten politischer Störungen befürchtet werden müßte –, so würden die Kreditschuldner gezwungen sein, die erforderlichen ausländischen Zahlungsmittel auf dem Devisenmarkt zu beschaffen. Damit würde die deutsche Währung, deren Stabilität nach Ordnung des Reichshaushalts von der Entwicklung der Zahlungsbilanz abhängt, von den schwersten Erschütterungen bedroht sein, wenn es nicht gelingt, durch starke Ausfuhrsteigerung ein entsprechendes Gegengewicht zu bieten.
B. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen.
Die geschilderte Lage der Handelsbilanz und der inländischen Konjunktur machen einen unverzüglichen Eingriff erforderlich. Dabei wird man sich davor hüten müssen, in polizeistaatliche Tendenzen zurückzufallen, wie sie in der[529] Kriegs- und Nachkriegszeit teils wegen der Unmöglichkeit organischer Besserung, teils unter dem Druck der öffentlichen Meinung in schwierigen Lagen immer wieder zum Durchbruch kamen. Wirtschaft und Volk müssen lernen, daß auch die klügste und umsichtigste Regierung nicht in der Lage ist, ein unerschütterliches Gebäude zu errichten, zu dem sie nicht selbst die Bausteine liefern. Kurzsichtiger Krämergeist und leichtsinniges Dahinleben können nur von innen heraus, nicht durch staatliche Bevormundung überwunden werden. Das deutsche Volk kann in seiner gegenwärtigen Massierung nur weiter leben, wenn es nicht nur arbeitet, sondern auch mit den Erträgnissen dieser Arbeit haushälterisch wirtschaftet. Die seelischen Verwüstungen der Inflationszeit und des Reparationsdruckes können nur durch eine eindringliche Erziehungsarbeit auf den alten Geist der Sparsamkeit hin überwunden werden. In einer normalen Wirtschaft gleichen die Bewegungen der Währung selbsttätig unwirtschaftliche Verschiebungen der Außenhandelsentwicklung und des Kapitalbildungsprozesses aus. Die binnenwirtschaftliche Lösung des Währungsproblems, welche die Rentenmark darstellt, verfügt weder über die materiellen noch über die psychologischen Kräfte, um verhängnisvollen Störungen entscheidend entgegenzuwirken, wenn ihr nicht die allgemeine Wirtschaftspolitik zur Hilfe kommt.
Auch der Wirtschaftspolitik sind freilich dadurch enge Grenzen gesetzt, daß die Reichweite staatlicher Maßnahmen zur Zeit in räumlicher wie in sachlicher Beziehung eingeschränkt ist. Einer straffen Einfuhrpolitik stehen die Verhältnisse in Westdeutschland, insbesondere das Zollregime der Besatzungsmächte, entgegen. Die nach Art und Umfang bisher unübersehbaren Auslandskredite entziehen einen wesentlichen Teil des Kapitalmarktes der öffentlichen Kreditpolitik. Es muß daher eine Hauptaufgabe der Golddiskontbank sein, diesen inländischen Kreditstrom in geregelte und amtlich kontrollierbare Bahnen zu lenken2.
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Auf diesen Punkt hatte der RWiM in einem Schreiben an RbkPräs. Schacht vom 17. 3. anläßlich der Verabschiedung des Gesetzes über die Dt. Golddiskontbank besonders hingewiesen (R 43 I/673, Bl. 29).
Obwohl der Anstoß zu den augenblicklichen Schwierigkeiten durch die übermäßige Einfuhr gegeben ist, darf das Schwergewicht der Abwehrmaßnahmen nicht auf dem Gebiete der Einfuhrbeschränkungen liegen. Die deutsche Nachkriegswirtschaft ist durch ihre veränderte Struktur wie durch die auf ihr ruhenden Lasten noch mehr als das Deutschland der Vorkriegszeit auf die Steigerung der Ausfuhr angewiesen. Sie kann daher für ihr eigenes Land nicht grundsätzlich eine Politik einschlagen, welche, wenn sie durch Vergeltungsmaßnahmen der ausländischen Absatzgebiete beantwortet würde, den deutschen Ausfuhrhandel vollständig lähmen müßte. Das Ziel der Sanierungsmaßnahmen muß vielmehr auf eine möglichste Steigerung der Ausfuhr gerichtet sein, für welche nach dem Ausfuhrergebnis früherer Monate und nach der Entwicklung des Außenhandels der anderen Staaten der Weltmarkt durchaus aufnahmefähig ist.
Die maßgebenden Ausschüsse des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats werden den angeschnittenen Fragenkreis in ihrer Tagung am 9. April 1924 zur Beratung[530] stellen3. Seitens des Reichswirtschaftsministeriums ist beabsichtigt, die Erörterungen dabei vor allem auf folgende Punkte zu lenken:
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Die Ausführungen des RWiM Hamm und des RbkPräs. Schacht in der gemeinsamen Sitzung des wirtschafts- und des finanzpolitischen Ausschusses des Vorl. RWiR vom 9.–11. 4. sind wiedergegeben in: Hauschild, Der vorläufige Reichswirtschaftsrat 1920–1926, S. 101 ff.