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4. Deutsch-polnische Handelsvertragsverhandlungen.
Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete über den weiteren Verlauf der Verhandlungen mit Polen. Dem deutschen Gesandten in Warschau sei zugesagt worden, daß ihm die Novelle zur Grenzzonenverordnung4 vor der Veröffentlichung zur Einsichtnahme übersandt werden würde. Angeblich aus Versehen sei der Entwurf bei der belgischen Gesandtschaft abgegeben worden und deswegen nicht vor der Veröffentlichung in die Hand des deutschen Gesandten gelangt.
Die Rechtsstellung der Deutschen sei nach der Novelle schlechter als zuvor. Allerdings habe die Prüfung ergeben, daß sie formal-juristisch mit den Vereinbarungen zwischen dem polnischen Außenminister und dem deutschen Gesandten über das Niederlassungsrecht nicht in Widerspruch stehe5.
Deswegen könne ein Abbruch der Handelsvertragsverhandlungen aus Anlaß der Novelle ebenso wenig in Frage kommen wie die bedingungslose Wiederaufnahme dieser Verhandlungen.
Er schlage vor, durch den deutschen Gesandten in Warschau einen Notenwechsel mit der Polnischen Regierung vornehmen zu lassen, in dem Deutschland sein Befremden über die neuen Bestimmungen zum Ausdruck bringt und eine Erklärung der Polnischen Regierung verlangt, daß diese Bestimmungen[1391] nicht den Charakter von Kampfmaßnahmen gegen Deutsche haben. Wenn Polen diese Erklärung abgibt, soll Deutschland sich bereit erklären, die Verhandlungen weiterzuführen, aber lediglich in der für das Niederlassungsrecht zuständigen Kommission über die neuen Niederlassungsbestimmungen. Es müsse vermieden werden, daß der Anschein erweckt werde, als wenn Deutschland die Handelsvertragsverhandlungen abbreche, zumal dies von polnischer Seite zur Zeit wohl nicht ungern gesehen würde.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sprach sich dafür aus, daß die Grenzzonenfrage lediglich auf diplomatischem Wege zur Verhandlung gebracht und daß diese Frage nicht als Bestandteil der Handelsvertragsverhandlungen betrachtet würde. Der deutschen Gesandtschaft in Warschau könnten Mitglieder der zuständigen Handelsvertragsdelegation als Sachverständige beigegeben werden.
Im ähnlichen Sinne sprach sich der Reichsarbeitsminister aus.
Reichsminister a.D. Hermes hielt es nicht für möglich, nunmehr wieder in Handelsvertragsverhandlungen einzutreten. Andererseits könne die Verantwortung für den Abbruch der Verhandlungen nicht übernommen werden. Es bestehe die dringende Gefahr, daß Polen dann die Maximalzollverordnung in Kraft setze.
Die Niederlassungsfrage sei bewußt als eine Frage der Handelsvertragsverhandlungen behandelt worden. Polen hätte diesen deutschen Standpunkt anerkannt. Deswegen sei es möglich, diese Frage in der zuständigen Kommission weiterzubehandeln, ohne daß die Bereitwilligkeit zur Wiederaufnahme der Handelsvertragsverhandlungen im vollen Umfange erklärt würde.
Das Kabinett war sich darüber einig, daß die eigentlichen Handelsvertragsverhandlungen mit Polen nur fortgesetzt werden können, nachdem die Niederlassungsfrage in einer für Deutschland erträglichen Weise geregelt ist. Von Polen soll zunächst verlangt werden, daß die Regierung in einem Notenwechsel erklärt, die neuen Bestimmungen über das Niederlassungsrecht seien nicht gegen das Deutschtum gerichtet. Wenn Polen diese Erklärung abgibt, soll die Niederlassungsfrage in der hierfür zuständigen Unterkommission der Handelsvertragsdelegation weiterbehandelt werden6.