Text
[440] Nr. 157
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft an Staatssekretär Hemmer. 27.11.1921.
[Betrifft: Finanzpolitik des Reiches]
Zu den mit dem obengenannten Schreiben übersandten Vorschlägen der Gewerkschaften1 beehre ich mich, soweit der Geschäftskreis meines Ressorts in Frage kommt, folgendes zu bemerken:
Zu Nr. 1.2: Die Sachwerte sind von dem Maß der den Papierwerten erwachsenen Entwertung verschont geblieben3. Infolgedessen hat sowohl das Reichsnotopfer wie die jetzige Geldentwertung die Obligationenbesitzer in viel stärkerem Umfange getroffen als den Sachbesitz. Die Landwirtschaft, die gleichfalls an einer Einschränkung der Tätigkeit der Notenpresse und an einer Stabilisierung der Geldwerte ein Lebensinteresse hat, wird sich danach einer angemessenen steuerlichen Belastung der landwirtschaftlichen Sachwerte nicht entziehen können, noch wollen.
Erste Voraussetzung wird sein müssen, daß die Belastung in einer Weise erfolgt, daß dadurch die Fähigkeit der deutschen Landwirtschaft zu intensiver Produktion nicht unterbunden wird. Entscheidend hierfür ist der Umfang der in Frage kommenden Wertbelastung, die wieder von der Wertermittlung und von der Höhe des zur Hebung gelangenden Steuersatzes abhängig ist.
Soll die Fähigkeit zur intensiven Güterproduktion erhalten werden, so muß berücksichtigt werden, daß die Veräußerungspreise für landwirtschaftliche Grundstücke bei dem beschränkten Angebot und den geringen Fällen des Besitzwechsels regelmäßig eine Höhe errreichen, die in dem Ertrage keine Stütze findet, auch dann nicht, wenn davon ausgegangen wird, daß die Güterpreise bereits in Rechnung stellen, daß die jetzt noch bestehende Bindung der Preise für gewisse landwirtschaftliche Erzeugnisse (Umlagegetreide) in Zukunft wegfallen werden. Das gilt verstärkt für die Nachkriegszeit, wo Nichtlandwirte, Kriegsgewinnler, verabschiedete Offiziere die Grundstücke zu Preisen zu erwerben suchen, die der bodenständige berufsmäßige Landwirt nicht herauswirtschaften kann. Grundlage der steuerlichen Belastung der landwirtschaftlichen Grundstückswerte wird daher nicht der aus den Veräußerungspreisen ermittelte Wert, sondern der nach der Ertragfähigkeit bemessene Wert der Grundstücke sein müssen. Der nach der Ertragsfähigkeit bemessene Wert kann zunächst in Friedenswerten (Wehrbeitragswert usw.) ermittelt werden, worauf[441] dann in ein- oder mehrjährigen Perioden unter Berücksichtigung der jährlichen Veränderung des Goldwertes durch Feststellung prozentualer Zuschläge der der Steuerbelastung zu Grunde zu legende Gegenwartswert festzustellen sein würde. Die Vorschrift des § 17 des Vermögenssteuergesetzentwurfs unter entsprechender Heranziehung der vom Vorläufigen Reichswirtschaftsrat dazu unter Zustimmung der Vertreter sämtlicher politischer Parteirichtungen entworfenen Grundsätze zeigt den Weg. Dabei wird für Grundstücke, die ihren Besitzer gewechselt haben, der Erstehungspreis, auch wenn er höher ist, zu Grunde gelegt werden können.
Was die Höhe des Steuersatzes anbetrifft, so erscheint eine steuerliche Belastung der landwirtschaftlichen Grundstücke mit 25% des Ertrages nicht tragfähig. Sie würde der großen Zahl der Klein- und der kleineren Mittelbetriebe, die aus den Grundstückserträgen für die Familie des Inhabers gerade den Lebensunterhalt oder wenig darüber hinaus ziehen, die Existenzmöglichkeit nehmen und auch bei größeren Betrieben nur unter weitgehender Abänderung von anderen Steuerarten, insbesondere der Einkommenssteuer und der Grundsteuer – und auch dann nur unter weithin wirkender Abwälzung der Steuerlast auf die Verbraucher – durchführbar sein.
Es ist dabei zu berücksichtigen, daß die landwirtschaftlichen Betriebe regelmäßig wirtschaftliche Betriebseinheiten darstellen, von denen Teilstücke ohne tiefgehenden Schaden für die wirtschaftliche Produktion meist nicht abgetrennt werden können. Nur unter beschränkten Voraussetzungen besteht die Möglichkeit, durch Abtrennung von Außenschlägen den verbleibenden Restbetrieb intensiver zu gestalten. Es fehlt daher für den Inhaber des landwirtschaftlichen Betriebes regelmäßig an der Möglichkeit, eine auf den Vermögensstamm gelegte Steuer durch Veräußerung von Teilstücken zu entrichten und unter ganzer oder teilweiser Abstoßung der Steuerlast den Restbetrieb ohne wirtschaftliche Schädigung für die Allgemeinheit weiterzuführen.
Es kommt weiter in Betracht, daß das laufende Kreditbedürfnis, insbesondere der landwirtschaftlichen Großbetriebe, infolge der rapide steigenden Betriebskosten außerordentlich angeschwollen ist, daß die Möglichkeiten, den nötigen 7–12monatlichen Kredit zu erlangen, für die Landwirtschaft erheblich schwieriger liegen als für die mit kurzen Krediten arbeitende Industrie, daß endlich der Mittel- und Kleinbesitz auf die Aufnahme laufender Kredite nicht in dem nötigen Umfange eingestellt ist und eher die wirtschaftlich gebotenen Aufwendungen für Betriebsmittel, Düngestoffe usw. unterläßt, als sich zur Aufnahme von laufenden Krediten zu entschließen. Eine über den Jahresertrag nach Abzug des Eigenunterhalts hinausgehende steuerliche Jahresbelastung bringt hiernach die Gefahr, den Betrieben das nötige Betriebskapital zu entziehen und die Intensität der Wirtschaft schwinden zu lassen. Aus diesem Grunde müssen der zu Ziffer 9 der Eingabe4 geforderten beschleunigten Erhebung des Reichsnotopfers, soweit sie über den § 38 des Vermögenssteuergesetzentwurfes hinausgeht, die schwersten Bedenken entgegengestellt werden.
[442] Auf der anderen Seite kann die nach der Ertragsfähigkeit bemessene Steuerbelastung umso größer sein, je mehr damit etwa eine Ermäßigung der Einkommensteuersätze verbunden ist. Die Belastung der Sachwerte ist in dieser Beziehung unter Umständen sogar geeignet, produktionsfördernd zu wirken, da sie zu größtmöglichen Leistungen zur Abdeckung der Steuerlast anspornt, während die progressiven Sätze der Einkommensteuer mit dem steigenden Ertrage einen geminderten Nutzen lassen und bei dem Zusammentreffen hoher Progressionen in den verschiedenen Steuerarten sogar zu einer Einschränkung der Produktion und zur Extensierung des Betriebes zu dem Zweck, dadurch der steuerlichen Mehrbelastung zu entgehen, führen können.
Weitere Voraussetzung dieser steuerlichen Belastung der Sachwerte wird sein müssen, daß die Gefahr einer Überfremdung infolge der Steuerveranlagung unter allen Umständen vermieden wird. Aus diesen Gründen muß m. E. vermieden werden, daß neben der laufend (jährlich oder in mehrjährigen Perioden) zu veranlagenden Steuer von dem Ertragswert eine diese Jahressteuer kapitalisierende Steuerlast auf den Stamm des Vermögens gelegt wird. Es wird dies auch, soweit ich sehe, in der Eingabe des allgemeinen deutschen Gewerkschaftsbundes für landwirtschaftliche Besitzungen nicht ausdrücklich gefordert. Eine derartige kapitalisierte Steuerforderung, die durch die steuerlichen Jahresleistungen zu verzinsen ist, würde leicht als ein besonderer, dem Reich zustehender Vermögenswert aufgefaßt werden und damit dem Druck ausgesetzt sein, im Wege der Veräußerung in absehbarer Zeit nutzbar gemacht zu werden. Für die Grundstücke erwächst dadurch die schwere Gefahr, daß sie in nicht sachkundige Hände gelangen oder der Überfremdung verfallen. Damit würde die steuerliche Gesetzgebung den Wünschen derjenigen Kreise der Entente entgegenkommen, welche über die Bestimmung des Friedensvertrages hinaus den privaten Sachbesitz zur Sicherung ihrer Forderungen in die Hand zu bekommen suchen (vgl. die in der Tagespresse, z. B. in der Morgenausgabe des schwarzen Tages vom 25. November Nr. 545 veröffentlichten Forderungen der englischen Industrie). Die Gefahr der Mobilisierung und Überfremdung des Grundbesitzes wird dann besonders groß sein, wenn eine grundlegende Änderung des Weltmarktes in landwirtschaftlichen Erzeugnissen – etwa durch Wiederanschluß von Osteuropa an den Weltmarkt – für die zum Teil von den Weltmarktpreisen abhängige deutsche Landwirtschaft neue Produktionsbedingungen schaffen würde. Insbesondere wird davon abgesehen werden müssen, die Steuerforderung in das Grundbuch einzutragen und so ihrer Übertragbarkeit die Wege zu ebnen.
Zu Nr. 10.5 Unter Nr. 10 würden insbesondere etwaige Maßnahmen zur Beeinflussung und Überwachung der Kartelle und Syndikate fallen. Mit Rücksicht[443] auf die gesetzte kurze Frist darf ich in diesem Zusammenhang davon absehen, zu der Frage, in der das Reichswirtschaftsministerium die Feder führt, im einzelnen Stellung zu nehmen. Im Geschäftsbereich meines Ministeriums kommt hierbei in der Hauptsache die Zuckerwirtschaftsstelle des Vereins der deutschen Zuckerindustrie in Betracht. Es wird angestrebt, hier eine Kontrolle und Beeinflussung auf dem Wege zu erreichen, daß der Zuckerwirtschaftsstelle ein Beirat aus Vertretern der Zucker verarbeitenden Industrie, des Handels und der Verbraucher angegliedert wird. Diese Absicht hat bisher wegen des Widerstandes der Industrie nicht durchgeführt werden können, die Verhandlungen darüber werden aber weitergeführt. Einem gesetzgeberischen Eingreifen steht das Bedenken entgegen, daß es leicht zu einer Sprengung der Zuckerwirtschaftsstelle führen könnte, da ohnedies die Kartellfabriken mit Rücksicht auf die hinter den Preisen der Außenseiter weit zurückbleibenden Kartellpreise an dem Fortbestehen des Kartells ein besonderes Interesse nicht haben dürften. Das Auseinanderfallen des Kartells wäre aber im Interesse der Niedrighaltung der Zuckerpreise und auch um deswillen unerwünscht, weil die Regierung durch das Kartell immerhin eine größere Einwirkungsmöglichkeit besitzt, als gegenüber einer großen Reihe einzelner nicht kartellierter Fabriken.
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Siehe Dok. Nr. 150, P. 10; der RWiM schreibt dazu am 10.12.1921 an den StSRkei: „Um einen genauen Überblick über den derzeitigen Stand des Kartellwesens, insbesondere die Machtstellung und die Formen der Organisationen zu erhalten, habe ich mich mit den Spitzenverbänden der Industrie, des Großhandels und des Einzelhandels in Verbindung gesetzt. Diese sind auf meine Anregung hin damit beschäftigt, sich die zur Beurteilung des Kartellwesens notwendigen Unterlagen zu beschaffen und haben mir Einsichtnahme in das eingehende Material angeboten. – Darüber hinaus habe ich mit Führern des Kartellwesens und den Vertretern der von Kartellmaßnahmen in erster Linie betroffenen Kreise unmittelbare Aussprachen herbeigeführt. Bei diesen Verhandlungen habe ich vor allem Wert darauf gelegt, über die Natur, Ursachen und Wirkungen von Maßnahmen unterrichtet zu werden, die in den gegen Kartelle vorgebrachten Beschwerden eine besondere Rolle spielten. Als Ergebnis derartiger Besprechungen hat sich die Möglichkeit gezeigt, die Kartelle von der Verfolgung einseitiger Gewinninteressen ab- und sie vielmehr darauf hinzulenken, die in den Organisationen steckende Kraft auch zur Förderung allgemeiner Interessen, insbesondere der Hebung der Produktivität und der Vergrößerung der Erzeugung zu benutzen. Um aus dieser Möglichkeit wirklichen Vorteil zu ziehen, bedarf es einer von aufrichtigem Willen und gegenseitigem Vertrauen getragenen Zuammenarbeit der Reichsregierung mit den Vertretern der privaten Körperschaften, sowie der unmittelbaren Nutzbarmachung der in diesen Verhandlungen gewonnenen Kenntnisse bei der Ausführung der Gesetze und der Anwendung bzw. Umwandlung bestehender Vorschriften. – Ein großer Fortschritt würde es sein, wenn sich durch solche vertrauensvollen, gegenseitigen Aussprachen gemeinsame Grundsätze finden ließen, nach denen im einzelnen Falle die Grenzen des Erlaubten und Angemessenen objektiv festgestellt werden können. – Ich habe daher von den beteiligten Wirtschaftsgruppen mehrfach Beschwerden über einzelne Kartelle oder einzelne Kartellmaßnahmen entgegengenommen, um einen Ausgleich der beiderseitigen Interessen herbeiführen zu können. Eingehende Untersuchungen, die von mir in jedem Falle angestellt werden, dürften zur Aufklärung und Abstellung berechtigter Beschwerden führen. – Die drei Spitzenverbände haben sich außerdem entschlossen, Kartellübergriffen im Wege der Selbstverwaltung zu begegnen. Sie haben eine Kartelleinigungsstelle errichtet, die die Aufgabe hat, unmittelbar einen Ausgleich der gegenseitigen Interessen herbeizuführen. Die Teilnahme eines Vertreters des Reichswirtschaftsministeriums an den Verhandlungen dieser Stelle ist statutarisch vorgesehen. – Die Maßnahmen berechtigen mich zu der Annahme, daß der eingeschlagene Weg zur Zeit der gangbarste ist, um die Wirkungen der Kartelle unter den derzeitigen Verhältnissen richtig beurteilen zu können, sowie um Schädigungen der Volkswirtschaft, die aus Mißbrauch von Monopolstellungen erwachsen können, abzuwehren. Ich sehe daher im Augenblick noch keine Veranlassung, Vorschläge über den Aufbau einer besonderen Verwaltungsbehörde und den Erlaß neuer Gesetzesvorschriften zu machen. Sollte es sich ergeben, daß auf diesem Wege Übergriffe der Kartelle und Syndikate nicht zu beseitigen sind, so werde ich geeignete gesetzgeberische Vorschläge zur Einschränkung der Machtstellung dieser Wirtschaftsorganisationen in Vorschlag bringen.“ (R 43 I/2356, Bl. 136-138, hier: Bl. 138).
In Vertretung
Dr. Huber