Text
Nr. 82
Der Reichsschatzminister an Staatssekretär Albert. 6. Oktober 1920
[Betrifft: Widerspruch gegen das Protokoll der Ministerratssitzung vom 22. 9. 1920 über den Beschluß des Kabinetts zur Sozialisierung]
Der mir heute vorgelegte Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Reichsministeriums vom 22. September 1920 enthält unter 2k)1 eine Unrichtigkeit [von] grundlegender Bedeutung2.
- 1
Die entsprechende Stelle des Protokolls der Ministerratssitzung lautete: „Wie in der Veröffentlichung mitgeteilt, wurde der Reichswirtschaftsminister einstimmig beauftragt, auf der Grundlage der vorliegenden Berichte der Sozialisierungskommission einen Entwurf über die Sozialisierung des Kohlenbergbaues vorzulegen.“ Vgl. Dok. Nr. 73, P. 2k.
- 2
Diesem Widerspruch gegen das Protokoll war folgender Hergang vorausgegangen. Wenige Tage zuvor war die RT-Fraktion der DVP zu einer Tagung in Weimar zusammengetroffen. Hier hatte sie sich auch mit der Frage der Sozialisierung befaßt und hatte dabei in einer Entschließung die Vorschläge der Sozialisierungskommission zur Sozialisierung des Kohlenbergbaues abgelehnt. Die Minister Heinze und v. Raumer hatten an dieser Tagung teilgenommen (Vorwärts Nr. 494 v. 6.10.1920).
Der Reichswirtschaftsminister ist beauftragt worden, einen Entwurf über die Sozialisierung des Kohlenbergbaues vorzulegen. Durchaus unrichtig ist, daß er dies auf der Grundlage der vorliegenden Berichte der Sozialisierungskommission tun sollte; denn dieser Zusatz bedeutet, daß der Reichswirtschaftsminister das Gesetz auf den Beschlüssen der Sozialisierungskommission aufzubauen habe. Dies ist durchaus nicht beschlossen3. Ich beantrage demgemäß, das Protokoll richtigzustellen4.
- 3
Ebenfalls am 6.10.1920 nahm auch die der DVP nahestehende „Tägliche Rundschau“ zu dieser Angelegenheit Stellung. Mit Bezug auf die WTB-Meldung vom 23.9.1920 (s. Dok. Nr. 73, Anm. 14) wurde erklärt, daß die WTB-Meldung über den Ministerratsbeschluß falsch sei. Der Ministerrat habe lediglich die Vorlage eines Kohlenbergbaugesetzes beschlossen, den beiden Vorschlägen der Sozialisierungskommission aber nicht zugestimmt (Tägliche Rundschau Nr. 468 v. 6.10.1920; R 43 I/1359, Bl. 367).
- 4
Am 6. oder 7.10.1920 kam es daraufhin zu einer Unterredung zwischen StS Albert und dem RSchM über die Fassung des Protokolls der Ministerratssitzung vom 22.9.1920. Über diese Unterredung ist in R 43 I nichts zu ermitteln.
Am 7. 10. richtete der StSRkei zusätzlich noch ein Schreiben an den RSchM, in dem er das Zustandekommen des Protokolls erläuterte. In dem Schreiben hieß es u. a.: „Ich darf hiernach nochmals feststellen, daß die Niederlegung im Protokoll von der persönlich politischen Auffassung irgendeines Beamten nicht beeinflußt worden ist. Daß eine solche politisch nachher so schädliche Formulierung gewählt werden konnte, erklärt sich, wie ich mir gestattete, schon mündlich darzulegen, daraus, daß dem fraglichen Zusatz offenbar von keinem der im Kabinett anwesenden Herren die in Ihrem Schreiben enthaltene Deutung gegeben wurde. Von einer materiellen Übernahme der Vorschläge der Sozialisierungskommission in den GesEntw. war nicht die Rede, vielmehr nur davon, daß die Vorschläge, wie schon früher vereinbart, den formalen Ausgangspunkt für die weitere Bearbeitung bilden sollten.“ (R 43 I/1359, Bl. 372). Der Wortlaut des Protokolls wurde nicht geändert.
Am 8.10.1920 gab der RSchM auf der Sitzung des wirtschaftspolitischen Ausschusses des RWiR eine Erklärung der RReg. ab, daß der Beschluß vom 22.9.1920 selbstverständlich nicht eine Identifizierung mit den Beschlüssen der Sozialisierungskommission bedeuten könne. Was die RReg. bringen werde, werde eine durchaus selbständige Vorlage sein (Vorwärts Nr. 500 v. 9.10.1920).
v. Raumer