2.30 (sch1p): Nr. 27 Walter Loeb an Reichsminister Erzberger. Frankfurt a./M., 28.3.1919

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Nr. 27
Walter Loeb an Reichsminister Erzberger. Frankfurt a./M., 28.3.1919

R 43 I /1348 , S. 315-317 Telegrammabschrift

[Betrifft: Unterredung mit Oberst Conger]1

1

Die Unterredung fand in der Nacht vom 27. zum 28.3.1919 im Hotel Preußischer Hof in Limburg statt, s. Protokoll in: Nachl. Landsberg , Kl. Erw. Nr. 328–3.

Conger erteilte mir Aufklärung über seinen Bericht an seinen militärischen Führer General P[ershing]2, von dem aus er ohne Umwege an Wilson geleitet wurde. Sein Eindruck war für ihn und seinen Bericht für P[ershing] bis auf eine Ausnahme zufriedenstellend. Ausnahme selber im Bericht3. Von angegebenem letzten Datum, dem 24. März, wurde die Präliminarfriedenskonferenz auf den 29. März verschoben und nunmehr auf eine unbestimmte Zeit.

2

Oberst Conger hatte Mitte März 1919 eine Informationsreise durch Deutschland unternommen, in deren Verlauf er u. a. Noske, Erzberger, Brockdorff-Rantzau und Groener aufgesucht hatte (Epstein, Fritz T.: Zwischen Compiègne und Versailles, in: VjfZ, 3. Jg. 1955, S. 417; Noske, Gustav: Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang einer Demokratie, Offenbach 1947, S. 117; Groener, Wilhelm: Lebenserinnerungen, hrsg. v. Fr. Frhr. Hiller v. Gaertringen, Göttingen 1957, S. 490 f.).

3

Laut Protokoll der Unterredung (s. Anm. 1) hatte Conger erklärt: „Wir waren nicht zufrieden mit der Unterredung, die wir mit dem RWeM hatten, und meine eigene private Meinung ist, daß ganz gewisse Einflüsse existieren, welche den RWeM kontrollieren, und welche er selbst nicht fühlt. Ich bezweifle keineswegs Herrn Noskes guten Willen, aber die Frage ist, ob er genug Erfahrung besitzt, um die militärischen Angelegenheiten unter diesen Einflüssen richtig zu bewerten […].“ (Nachl. Landsberg , Kl. Erw. Nr. 328–3).

[115] Die Ereignisse in Ungarn4 haben nun eine schwere Verschiebung verursacht, und man versucht, alles so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. Wilson hat die Oberhand und wird sie behalten. Orlando hat schon verschiedentlich erklärt, abzubrechen, da er sein Land vernachlässigt sehe5. Nach seiner Anfrage, ob seine Regierung die letzte Erklärung der Betrachtung des Friedensabschlusses6 im Lichte eines militärischen Sieges betrachte, erteilte er die Antwort, daß dies vor der Anwesenheit Wilsons war und heute nicht mehr in Betracht komme, sicherlich nicht mehr in so radikaler Form. Über die Bedingungen zu sprechen ist unmöglich, da solche jeden Tag geändert werden. Frankreich verliert sichtlich mehr an Position, und England hat große innere Schwierigkeiten. Zum ersten Male tauchte die Frage auf, den Wert unserer Kolonien als Gegenwert zu den Kriegsentschädigungen aufzurechnen. In diesen werden voraussichtlich die wirklichen Kriegskosten nicht enthalten sein, wohl aber möglich die Versenkungen. Wilson ist isoliert, hält seinen eigenen Rat und bespricht mit niemanden zur Zeit seine Pläne. Es sind noch keinerlei Festlegungen bezüglich der Bedingungen gemacht. Was Polen anbetrifft, so ist sich Amerika ziemlich klar darüber, daß Polen nicht weiß, was es will, und alles verlangt, aber bis jetzt von seinen Versprechungen nicht nichts gehalten hat, glaubt, daß es schwierig sein wird, bei der Durchzugsfrage durch die alte östliche Krönungsstadt einen Unterschied zwischen polnischen und alliierten Truppen zu machen7. Bezüglich der Anfrage Erzbergers wegen der Art der Friedensverhandlungen bleibt Conger nach diesjährigen Mitteilungen bei seinen Erzberger gemachten Aussagen über Vorkonferenz, welche Aussprache bedeuten soll. Saar territory will stay German (Saargebiet wird deutsch bleiben). Amerika bzw. Wilson scheinen sich ernstlich mit dem Gedanken zu beschäftigen, was Deutschland tun wird, wenn Friedensbedingungen nicht seinen Erwartungen entsprechen. Wiederholt frug Conger, wie Deutschland sich den Frieden äußerst (maximal) denkt. Rede des Ministerpräsidenten von gestern8, welche ich überreichte, machte sichtlichen Eindruck. Es ist notwendig, daß ich vor Samstag sich aus vorstehendem ergebende genaue Instruktionen erhalte, damit Material habe9. Wilson hat gewünscht, von Conger fortlaufend direkt instruiert zu werden und kann dies meiner Ansicht nach nicht deutlich genug durch diese Verbindung geschehen. Conger sagt, wenn Deutschland versteht, die jetzige Situation auszunutzen, bessert es viel zu seiner Lage, doch warnt Amerika umzuschwenken,[116] keep up your present policy (halten Sie fest an Ihrer gegenwärtigen Politik)!

4

Am 21.3.1919 war die Reg. Karolyi zurückgetreten; noch am selben Tag übernahm der Arbeiterrat von Budapest die Regierungsgewalt und bildete einen revolutionären regierenden Rat, der am darauffolgenden Tag die Räterepublik ausrief (Schultheß 1919, I, S. 572 ff. ).

5

Wegen Differenzen zwischen dem ital. MinPräs. Orlando und Wilson in der Adriafrage, die hauptsächlich die Zugehörigkeit Fiumes zu Italien betrafen, reiste die ital. Delegation am 24.4.1919 von Paris ab (Schultheß 1919, II, S. 145, 479 ff. ).

6

Siehe Dok. Nr. 8.

7

Siehe Dok. Nr. 24, P. 1.

8

Während der 30. Sitzung der NatVers am 27.3.1919 hatte Scheidemann das Wort ergriffen, um sich gegen Vorwürfe von deutschnationaler Seite zu verteidigen, die Scheidemanns Angriffe gegen Ludendorff (NatVers Bd. 326, S. 46 ) und die Errichtung eines Staatsgerichtshofes betrafen (NatVers Bd. 327, S. 858  ff. ).

9

Siehe Dok. Nr. 26, P. 2.

Bitte Telegramm an Reichspräsident Ebert übersetzt weitergeben, damit auch von dort ev[entuell] Instruktionen erhalte. Bericht folgt. Falls Reise Samstag dortseitig nicht notwendig gefunden, erbitte Drahtbescheid. Walter Loeb.

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