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Nr. 333
Der Reichsminister des Innern an den Reichskanzler. 4. November 1927
[Mitwirkung der Reichsregierung bei der Ernennung von Botschaftern und Gesandten.]
Hochverehrter Herr Reichskanzler!
Im Anschluß an die gestrige Besprechung im Reichskabinett über die Besetzung des Botschafterpostens in Washington1 erlaube ich mir in Ergänzung meiner Ausführungen nochmals folgendes klarzulegen:
Meine Bezugnahme auf § 18 Ziffer 2 c der nach Artikel 55 der Reichsverfassung von der Reichsregierung beschlossenen und vom Herrn Reichspräsidenten genehmigten Geschäftsordnung vom 3. Mai 1924 (Reichsministerialblatt S. 173)2 berührt keineswegs das Recht des Herrn Reichspräsidenten zur Ernennung der Reichsbeamten und zur Beglaubigung der Gesandten (Art. 46, 45 der R.V.), vielmehr nur die Frage, wieweit der zuständige Reichsminister nach der Geschäftsordnung seine Vorschläge zur Ernennung eines Botschafters dem Reichskabinett zu unterbreiten hat. Dies geht schon daraus hervor, daß die Geschäftsordnung überhaupt nicht die Rechte und Pflichten des Herrn Reichspräsidenten,[1045] sondern nur die Rechte und Pflichten der Reichsregierung und der einzelnen Reichsminister behandelt. Ich gestatte mir in diesem Zusammenhange darauf aufmerksam zu machen, daß die gleiche Frage bereits im Jahre 1926 zwischen den zuständigen Stellen einer Erörterung und Prüfung unterzogen worden ist. Die sich hierauf beziehenden Vorgänge, nämlich Abschriften
1. | eines Schreibens des Staatssekretärs im Reichsministerium des Innern vom 29. März 1926 – I 5020/29.3. – an den Herrn Staatssekretär in der Reichskanzlei3, |
2. | eines Schreibens des Büros des Herrn Reichspräsidenten vom 10. April 1926 – R.P. 1532/26 – an den Herrn Staatssekretär in der Reichskanzlei4, |
3. | eines von meinem Herrn Amtsvorgänger in Gemeinschaft mit dem Herrn Reichsminister der Justiz erstatteten Gutachtens – I 5020/28.5. –5 |
füge ich bei. Das zu 3 genannte Gutachten entspricht dem Standpunkt, den ich vertreten habe.
Bei der Bedeutung der Angelegenheit bitte ich um Stellungnahme des Reichskabinetts in einer Ministerbesprechung6.
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Hierauf antwortete StS Pünder mit Schreiben vom 5.11.27 an RIM v. Keudell, daß der RK die Angelegenheit zunächst dem RPräs. unterbreiten möchte. An StS Meissner übersandte Pünder eine Abschrift des obigen Schreibens des RIM mit der Bitte, ihn (Pünder) über die Wünsche des RPräs. zu informieren (R 43 II/1413, Bl. 18–19). Daraufhin teilte Meissner der Rkei telefonisch mit, „daß der Herr Reichspräsident über die Kabinettsvorlage des Herrn Ministers von Keudell in der Angelegenheit der Besetzung von Botschafterposten sehr entrüstet sei und daran festhalte, daß das Recht der Ernennung von Botschaftern ihm, dem Reichspräsidenten, uneingeschränkt zustehe. Er lasse sich in dieser Beziehung keine Beschränkungen auferlegen.“ Der RPräs. werde mit den Ministern Stresemann und Geßler Rücksprache halten und sodann auch den RK in der Angelegenheit empfangen. Die Rücksprache mit Geßler erkläre sich aus der Befürchtung des RPräs., „daß auch sein Recht, die Offiziere zu ernennen, angetastet werden könne, wenn dem Antrage des Herrn Ministers von Keudell in der Frage der Besetzung von Botschafterposten nachgegeben werde“ (Vermerk des MinDir. v. Hagenow vom 7.11.27, R 43 II/1413, Bl. 22). An RWeM Geßler schrieb Meissner am 7. 11.: Der RPräs. sei „fest entschlossen, mit allem Nachdruck diesen Vorstoß des Herrn von Keudell abzuwehren und die seit 8 Jahren bestehende Staatspraxis festzuhalten, die dahin geht, daß Personalien des Auswärtigen Dienstes und der Reichswehr im Hinblick auf die Sonderbestimmungen der Reichsverfassung über die völkerrechtliche Vertretung des Herrn Reichspräsidenten und seinen Oberbefehl über die Reichswehr lediglich zwischen ihm und dem Herrn Ressortminister behandelt werden, ohne der Beschlußfassung des Kabinetts, wie die Beamtenernennungen, zu unterliegen.“ Würde dem Schreiben Keudells nachgegeben, dann könne „heute oder morgen dasselbe Verlangen für die Beförderung der höheren Offiziere erhoben“ werden. „Eine solche Beschlußfassung hielte der Herr Reichspräsident aber für ganz unerträglich.“ Der RPräs. rechne in dieser Frage auf die Unterstützung des RWeM und wolle mit diesem in den nächsten Tagen gern darüber sprechen (Nachl. Geßler, Nr. 18, Bl. 163–164). – Zum Fortgang siehe Dok. Nr. 343.
Mit dem Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung habe ich die Ehre zu sein, hochverehrter Herr Reichskanzler,
Ihr sehr ergebener
v. Keudell