1.219 (bru2p): Nr. 471 Vermerk des Ministerialrats Olscher über die Besprechung des Reichskanzlers mit den süddeutschen Ministerpräsidenten vom 15. September 1931, 11 Uhr

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Nr. 471
Vermerk des Ministerialrats Olscher über die Besprechung des Reichskanzlers mit den süddeutschen Ministerpräsidenten vom 15. September 1931, 11 Uhr

R 43 I /2373 , S. 1011–1019 Durchschrift1

1

Der RFM übersandte am 16.9.31 dem RK eine Durchschrift der Aufzeichnung Olschers (R 43 I /2373 , S. 1009).

I. Fehlbeträge 1931.

Bayern

29 Mill. RM

Sachsen

24 Mill. RM (Ordinarium)

Baden

10 Mill. RM

Württemberg

12 Mill. RM

Hessen etwa

10 Mill. RM

[1691] Die Fehlbeträge gehen von der Steuerschätzung auf Grund der 2. Notverordnung aus. Um das Entstehen eines neuen Defizits durch Steuerrückgang zu verhindern, schlagen die Länder einmütig eine Garantie des Steueraufkommens aus den Überweisungssteuern nach dem Stande vom Juni 1931 vor. Der Herr Reichskanzler hat diese Garantie abgelehnt2.

2

S. dazu die Aufzeichnung von MinR Vogels über diese Besprechung: Dok. Nr. 470.

II. Deckungsmaßnahmen der Länder.

a) Bayern

hat den Fehlbetrag durch Notverordnung ausgeglichen, und zwar insbesondere durch folgende Maßnahmen:

auf Beamtengebiet:

Kürzung der Dienst- und Versorgungsbezüge der ledigen und kinderlos verheirateten Beamten und Angestellten um 5 v.H.,

Einschränkung der Anstellungen, Versetzungen und Beförderungen,

Vereinfachungsmaßnahmen auf dem Schulgebiet,

Erhöhung der Schlachtsteuer um 50%,

Einführung einer Wohlfahrtsabgabe auf die Miete, und zwar in Höhe von 1 M auf 100 M Miete

(Ertrag etwa 4,5 Mill. RM),

Kürzung der Sachausgaben.

b) Sachsen

Sachsen hat seine bisherigen Fehlbeträge ebenfalls ausgeglichen durch eine demnächst erscheinende Notverordnung. Die Notverordnung umfaßt insbesondere folgende Maßnahmen:

Herabsetzung der Personalbezüge in dreierlei Richtung,

Änderung der Besoldungssätze bei sehr vielen Beamtengruppen,

Allgemeine Kürzung um 5%;

weitere Kürzung um 5% bei Ledigen und kinderlos Verheirateten;

Beschneidung der sächlichen Ausgaben,

Verwaltungsreform,

Auflösung einer Kreishauptmannschaft,

mehrerer Amtshauptmannschaften, Amtsgerichte,

Forstämter, Bauämter usw.

c) Württemberg

hat die notwendigen Kürzungsmaßnahmen seiner Meinung nach bereits bei der Aufstellung des Etats 1931 durchgeführt. In ihm ist der Zuschußbedarf von 162 Millionen Reichsmark im Jahre 1930 auf 132 Millionen Reichsmark im Jahre 1931 gesenkt. Darin sind auch bereits Verwaltungsvereinfachungen vorgenommen und die Sachausgaben um 20% gekürzt worden. Bei den Lehrern liegen in Württemberg gegenüber den mittleren Beamten keine Überschneidungen vor. Die Ausbildung erfolgt nicht auf pädagogischen Hochschulen, sondern, wie früher, in Seminaren. Vom Jahre 1928 ist der Überschuß in Höhe von 45 Millionen[1692] RM bis jetzt aufgebraucht worden bis auf einen Rest von 16 Millionen, der als Betriebsmittelfonds noch vorhanden ist. Der Etatsfehlbetrag könnte nur ausgeglichen werden durch eine Kürzung der persönlichen Ausgaben, die 120 Millionen RM betragen, um 10%. Das würde für das letzte halbe Jahr 6 Millionen RM ausmachen. Die restlichen 6 Millionen RM müßten auf andere Weise eingespart werden.

d) Baden

hat durch Notverordnung die Beamtenbezüge allgemein um 5% gekürzt und den Finanzausgleich mit den Gemeinden zuungunsten der Gemeinden geändert. Trotzdem bleiben 10 Millionen RM Defizit. Baden schlägt eine allgemeine Gehaltskürzung um 8–10% vor und vertritt den Standpunkt, daß die Gebäudesondersteuer weder ermäßigt noch aufgehoben werden darf. Es empfiehlt dem Reiche die Streichung der örtlichen Sonderzuschläge, die in Baden schon seit einem Jahre gestrichen wären.

e) Hessen

glaubt, sein Defizit ohne eine allgemeine Gehaltskürzung nicht abdecken zu können. Es habe in den letzten beiden Jahren bereits so viel an den Ausgaben abgestrichen, daß jetzt weitere Abstriche nicht mehr möglich seien.

Der Herr Reichskanzler erwidert auf die verschiedenen Anregungen einer allgemeinen Gehaltskürzung, daß die Verhältnisse hinsichtlich des Finanzbedarfs und der Beamtenbesoldung in den verschiedenen Ländern, insbesondere aber bei den Gemeinden, z. Z. noch so verschieden lägen, daß eine allgemeine Kürzung keine gleichmäßige Hilfe bringen könne.

III. Frage der Wohlfahrtserwerbslosen.

Von Bayern wurde die Frage der Zusammenlegung der Krisenfürsorge und der Fürsorge für die Wohlfahrtserwerbslosen behandelt und dabei die Anregung gegeben, im Falle einer Zusammenlegung die Fürsorge unbedingt bei den Gemeinden zu lassen, nicht aber den Arbeitsämtern zu geben. Der Standpunkt wurde von den übrigen Ländern geteilt.

IV. Kurzfristige Schulden.

Allgemein wurde der Wunsch laut, die Länder in eine etwa vorgesehene Umschuldung der Gemeinden mit einzubeziehen. Eine Kreditgefährdung wurde hieraus von den Ländern selbst dann nicht befürchtet, wenn es sich um eine zwangsweise Umschuldung handelt. Sachsen fügte noch hinzu, daß der Schuldenstand Sachsens beispielsweise ganz anders sei wie der Preußens. Sachsen habe immer für seine Gemeinden gesorgt und ihnen geholfen. Es habe daher jetzt 212 Millionen Reichsmark kurzfristige Schulden, seine Gemeinden dagegen nur 130 Millionen Reichsmark. Wenn also nur die Gemeinden umgeschuldet würden, so führe das in Sachsen zu einem völlig untragbaren Ergebnis, insbesondere, da in Preußen die Hauptverschuldung bei den Gemeinden läge und infolgedessen die Umschuldung ganz verschieden in den Ländern wirke.

[1693] V. Sonstiges.

Bayern regte eine Beteiligung der Länder vor der Verkündung der Notverordnungen an. Baden und Bayern glauben, daß den politischen Gefahren dieses Winters nur durch einheitliche Maßnahmen von seiten der Reichsregierung vorgebeugt werden könne. (Uniformverbot, Demonstrationsverbot usw.). Letztere Anregungen erfolgten in Gegenwart von Staatssekretär ZweigertZweigert.

Dr. Olscher

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