2.114.1 (ma11p): [Anlage]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 6). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx I und II, Band 1 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

Extras:

 

Text

RTF

[Anlage]

Das Wehrkreiskommando IV an das Reichswehrministerium.

Dresden, 16. Februar 1924 [Abschrift]

Das Wehrkreiskommando hatte mit Nr. 981/24 pers. die Lage am 1. Februar im Freistaat Sachsen dahin beurteilt, daß die wirtschaftliche Lage sich zu bessern beginne und damit die Führer, die die Wirtschaftskrise zur Erreichung ihrer Ziele ausnutzen wollten, zu erhöhter Tätigkeit gedrängt wurden. Durch die Vorfälle in Schwarzenberg, Aue und Alberoda, wo es Ende Januar zu bewaffneter Auflehnung gegen die Polizei gekommen war, durch die Diebstähle von Sprengstoff, Aufdeckung kommunistischer Waffenlager und planmäßige Zerstörung von Fernsprechanlagen in der Gegend von Chemnitz war die erhöhte Tätigkeit der Kommunisten bewiesen worden.

Das Selbstvertrauen der Kommunisten in Westsachsen, insbesondere dem Erzgebirge, ist durch den Ausfall der Wahlen8, die ihnen in dortiger Gegend starken Zuwachs brachten, gesteigert worden. So ist es zu erklären, daß die vom Direktorium der KPD für Mitte Februar angesetzten Unternehmungen besonders günstigen Boden im Erzgebirge fanden. Nach den eingegangenen Meldungen rechnete das Wehrkreiskommando für den 13.2.24 mit zahlreichen örtlichen Demonstrationen. Um die in den Anfängen liegende Besserung der Wirtschaftslage nicht zu gefährden, erklärte sich das Wehrkreiskommando mit dem Vorschlage der Staatspolizeiverwaltung einverstanden, am 12. abends bezw. 13. 2. früh die bekannten Rädelsführer in Schutzhaft zu nehmen. Wo die Polizei umsichtig zugriff, wurden die Verhaftungen mit Erfolg durchgeführt. An diesen Orten fielen die beabsichtigten Demonstrationen aus oder in sich zusammen.

8

Gemeint sind die sächs. Gemeinderatswahlen vom 13.1.24.

[387] In Hohenstein-Ernstthal wurde die örtliche Polizei durch Demonstranten stark bedrängt, sie hatte nicht den Entschluß zu energischem Vorgehen gefunden. Zwei als besonders radikale Elemente bereits in Fahndung stehende Kommunisten leiteten, durch einen Kreis bewaffneter Genossen geschützt, ungeniert vor den Augen der Polizei die Demonstration. Einige Bürger versuchten der bedrängten Polizei zu Hilfe zu kommen, hierbei wurde der Fabrikant Zwingenberger durch Pistolenschuß aus nächster Nähe schwer verwundet. Zu ähnlichen Ausschreitungen kam es in Limbach, Oberfrohna, Oelsnitz/Erzgeb., Lauter und Schwarzenberg. Hier wurden insbesondere Handgranatenattentate verübt, durch die ebenfalls ein Industrieller schwer verwundet wurde.

Die Wirtschaftskreise sind durch diese Vorfälle schwer beunruhigt.

Dem Rufe nach ausreichendem Schutz hat das Wehrkreiskommando durch Verlegung von Hilfspolizei in die bedrohte Gegend Rechnung getragen.

Bei zahlreichen Vorfällen hat sich in letzter Zeit ein scharfes, sachgemäßes Zugreifen der staatlichen Polizei gezeigt. Sie handelte in dem Bewußtsein, daß sie beim Wehrkreiskommando Rückhalt finde im Gegensatz zu früher, wo sie von der Regierung für Energie getadelt und gemaßregelt wurde.

Bei dieser Lage in Sachsen hat die Nachricht von der Aufhebung des Ausnahmezustandes9 wie eine Bombe eingeschlagen. Das Wehrkreiskommando wird von allen Seiten bestürmt, die Gründe für die Absicht der Reichsregierung bekanntzugeben und seinerseits den Entschluß wenigstens für Sachsen rückgängig zu machen.

9

Am 14. 2. wurde der Schriftwechsel zwischen Gen. v. Seeckt und RPräs. Ebert über die beabsichtigte Aufhebung des militärischen Ausnahmezustandes in der Presse veröffentlicht; vgl. Dok. Nr. 99, Anm. 6.

Man kann sich der Berechtigung jener Wünsche nicht verschließen.

Selbst die Sächsische Regierung10, die gewiß kein Interesse an der Verlängerung des Ausnahmezustandes hat, tritt in der Presse mit dem in der Anlage beigefügten Artikel11 – allerdings nicht amtlich – für Beibehaltung des Ausnahmezustandes ein. Offen kann sie aus Parteigründen nicht sprechen. Von kommunistischer Seite verlautet, daß die für den 13.2.24 angesetzten Demonstrationen von der Leitung bis nach Aufhebung des Ausnahmezustandes verschoben worden sind. Wird jetzt der Ausnahmezustand aufgehoben und dadurch Gelegenheit zu einer einheitlichen Aufstandsbewegung gegeben, so ist eine erneute schwere Krisis in der sächsischen Wirtschaft zu erwarten. Erneuter Einsatz von Reichswehr wird sich baldigst notwendig machen.

10

Nachdem das sozialdemokratische Kabinett Fellisch am 14.12.23 zurückgetreten war, hatte sich am 4.1.24 eine Koalitionsregierung aus SPD, DDP und DVP unter MinPräs. Heldt gebildet.

11

Liegt nicht bei.

Die Lage wird sich naturgemäß erst ganz allmählich im Anschluß an eine gehobene Wirtschaftslage bessern. Diesen Zeitpunkt mit der Aufhebung des Ausnahmezustandes abzuwarten, ist nicht möglich. Wohl aber können noch Bürgschaften geschaffen werden, die auch nach dem Ausnahmezustand eine ausreichende öffentliche Sicherheit gewährleisten. Diese Bürgschaften liegen[388] in der Gesundung und Stärkung der Polizei und sind in meinem Schreiben Ia/Ic 1301/24 vom 14.2.24 enthalten12. Ihre Durchführung war die erste und wichtigste Aufgabe des Wehrkreiskommandos unter dem Ausnahmezustand. Sie konnte allein durch die zögernde Haltung der Sächsischen Regierung nicht zu Ende geführt werden. Wird in dieser Lage der Ausnahmezustand aufgehoben, so bricht die bisherige Arbeit zusammen. Die Wehrmacht und ihre Führer verlieren in allen Kreisen der Bevölkerung, bei Freund und Feind, Ansehen und Vertrauen. Eine Rückwirkung auf die Truppe kann nicht ausbleiben.

12

Im (beiliegenden) Bericht Genlt. Müllers vom 14. 2. an das RWeMin. heißt es hierzu: Sollte die Aufhebung des Ausnahmezustandes notwendig werden, müßten vorher folgende Bedingungen erfüllt sein: „1. Endgültige Bestätigung der vom Wehrkreiskommando getroffenen Personalveränderungen in der Polizei. Besonderen Wert legt das Wehrkreiskommando auf die Belassung des ORegR Putzger in seiner Stellung als Polizeipräs. von Dresden. 2. Verpflichtung der sächs. Reg., das politische Kommissarwesen nicht wieder in der Polizei einzuführen und die betreffenden Beamten mit dem Abbaugesetz zu erfassen. 3. Verpflichtung, die Polizei auf überparteilicher Grundlage zu erhalten. 4. Verpflichtung, die Hilfspolizei bis zur Auffüllung der Landespolizei auf ihren vollen Etat zu übernehmen, da die nur schwache Landespolizei (z. Zt. 1200 Fehlstellen) zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung nicht ausreichen würde und erneuter Einsatz der Reichswehr, somit Wiederherstellung des Ausnahmezustandes, notwendig würde. 5. Durchführung der vom Reich für die Staatspolizei gegebenen Richtlinien, die bisher in Sachsen in mehreren wichtigen Punkten nicht befolgt worden sind.“ Vgl. hierzu Dok. Nr. 73, Anm. 26.

Ich beantrage daher, die Bedingungen, unter denen der Ausnahmezustand aufgehoben werden kann13, bei der Sächsischen Regierung beschleunigt und restlos durchzusetzen oder – wenn dies nicht gelingen sollte – die Aufhebung des Ausnahmezustandes im Freistaat Sachsen bis zum Erreichen des vollen Erfolges hinauszuschieben.

13

S. die vorige Anm.

Der Befehlshaber

gez. Müller

Generalleutnant

Extras (Fußzeile):