Text
Nr. 108
Niederschrift über die Verhandlungen des Reichsfinanzministers und des Reichsaußenministers mit dem belgischen Minister ohne Portefeuille Francqui über ein deutsch-belgisches Markabkommen. 24. November 1919, 18 bis 19.30 Uhr1
R 43 I/1352, Bl. 251–253 Abschrift2
Herr Minister Francqui war um 5 Uhr im Reichsfinanzministerium erschienen, wo ihm der fertige Finanzvertrag zur Paraphierung vorgelegt wurde nebst dem Schreiben des Herrn Reichsfinanzministers. Dieses Schreiben war nach der Kabinettssitzung durch den Herrn Geheimrat Dr. Hemmer mit Herrn Minister Francqui verabredet worden3. Es sollte an den Minister Francqui gerichtet sein und zum Inhalt haben, daß der Reichsfinanzminister von der deutschen Regierung Vollmacht habe, den Markvertrag zu unterzeichnen unter der Voraussetzung, daß die belgische Regierung eine feste Zusicherung erteile, daß sie die Auslieferung der wegen Kriegsvergehen Angeklagten nicht verlange und[408] bei den anderen Alliierten entsprechend wirken werde. Dem Sinne dieses Schreibens entspechend sollte Minister Francqui den Vertrag lediglich paraphiert mitnehmen. Minister Francqui sprach jedoch den dringenden Wunsch aus, vor seiner Abreise den Herrn Reichsfinanzminister zu sprechen, da dies Schreiben eine Verschiebung der politischen Basis zur Folge haben würde. Auf Grund dieses Wunsches begleitete Herr Geheimrat Hemmer zusammen mit Herrn Baron von Palm und Herrn Jacob Herrn Minister Francqui in das Reichstagsgebäude und verständigte den Reichsfinanzminister und den Reichsminister des Äußern von dem Wunsche des Herrn Francqui. Der Reichsfinanzminister und der Reichsminister des Äußern verließen darauf die Kabinettssitzung und hatten mit Herrn Minister Francqui im Zimmer des Reichsfinanzministeriums im Reichstag eine Besprechung, in der Herr Minister Francqui folgendes ausführte:
Die Verhandlungen mit dem Herrn Reichsfinanzminister hatten sich bisher in so loyaler und angenehmer Weise abgespielt, daß er Berlin nicht zu verlassen wünsche, ohne in der korrektesten und offensten Weise dem Herrn Reichsfinanzminister seine Auffassung über die Folgen des von der deutschen Regierung vorgesehenen Verfahrens auseinanderzusetzen. Als er über seine Besprechung vor 3 Wochen im Kabinett in Brüssel Bericht erstattet habe, sei er vom Minister Vandervelde unterbrochen worden mit der Frage: „Ist die Frage des Markvertrages mit der Frage der Nicht-Auslieferung als conditio sine qua non verbunden?“ Darauf habe er entsprechend dem in Berlin Besprochenen geantwortet: „Nein, sie sind nicht miteinander verbunden“, worauf Minister Vandervelde geantwortet habe: „Gut, dann fahren Sie fort.“ Wenn er jetzt mit diesem Schreiben nach Belgien zurückfahren solle, so müsse er sagen, die Grundlage habe sich geändert und die beiden Fragen seien doch miteinander untrennbar verbunden. Es wüßten bereits zu viele Personen um diese Angelegenheit, er weise nur auf die 12 Mitglieder des belgischen Kabinetts hin, von denen 10 verheiratet wären, als daß nicht damit gerechnet werden müßte, daß etwas von diesen Verhandlungen durchsickert. Belgien kann sich auch nicht offiziell in dieser Frage von seinen Verbündeten trennen. Damit werde gerade in der Auslieferungsfrage ein Ergebnis erzielt werden, das dem gewollten diametral entgegengesetzt sei. Die öffentliche Meinung, die sich z. Z. nicht mit der Sache befasse, werde die alliierten Regierungen zwingen, auf der Auslieferung zu bestehen, mit anderen Worten, die Bedingung, an die der Abschluß des Markvertrages und damit der Abschluß des ganzen politischen Arrangements deutscherseits geknüpft werde, mache das politische Arrangement schon von vornherein hinfällig. Die beiden Reichsminister nahmen von dieser Erklärung Kenntnis, betonten aber, daß ein Kabinettsbeschluß vorläge und sie dazu ohne erneute Befragung des Kabinetts nicht Stellung nehmen könnten. Darauf fand die Befragung des Kabinetts statt. Der Herr Reichsfinanzminister kehrte zusammen mit dem Herrn Reichsminister des Äußern nach einer halben Stunde zurück. Reichsfinanzminister Erzberger ergriff das Wort und teilte mit, er sei vom Kabinett ermächtigt, den Mark-Vertrag zu unterzeichnen, jedoch gehe die deutsche Regierung hierbei von der Voraussetzung aus, daß die belgische Regierung, wie von Herrn Minister Francqui wiederholt zugesagt, es[409] der deutschen Regierung ermöglichen werde, die Ein- und Ausfuhrverbote in dem von belgischen Truppen besetzten Gebiet in Kraft zu setzen, worüber im einzelnen Verhandlungen von Herrn Unterstaatssekretär Hirsch in Aachen gepflogen werden sollen4, daß die belgische Regierung ferner die über deutsche Vermögen in Belgien verhängten Zwangsverwaltungen aufheben werde und die Vermögensgegenstände, soweit sie nicht liquidiert seien, in natura, soweit Liquidation stattgefunden habe, die Liquidationserlöse in belgischen Franken den Berechtigten zurückgegeben werden, daß die belgische Regierung ferner die Auslieferung keines Deutschen verlangen würde und auch durch Beeinflussung ihrer Verbündeten ihr möglichstes tun werde, damit kein Deutscher vor ein fremdes Gericht gestellt werde. Minister Francqui ist hiermit mit einer einzigen Änderung, betreffend die Auslieferungsfrage, einverstanden, indem er betont, daß man sagen müsse, die belgische Regierung werde fortfahren, ihr möglichstes zu tun, da sie bisher schon in diesem Sinne gewirkt habe. Damit ist volles Einverständnis erzielt, und es wird verabredet, daß Herr Minister Francqui denselben Abend nach Brüssel zurückkehrt, während Herr Generaldirektor Rombouts, der hierzu vom belgischen Ministerpräsidenten5 ermächtigt ist, am nächsten Tage die Unterzeichnung des Vertrages über die Mark vornehmen werde6.
Schluß der Sitzung.
gez. Erzberger
gez. Müller
Fußnoten
- 1
Zum Gesamtzusammenhang s. Dok. Nr. 94. – Zur zeitlichen Einordnung der Verhandlungen vgl. Dok. Nr. 107 b.
- 2
Vom AA mit Anschreiben vom 17. 12. dem UStSRkei auf Anforderung übersandt (R 43 I/52, Bl. 28) und zu den Kabinettsprotokollakten genommen.
- 4
Vgl. dazu die Abschrift einer „Niederschrift über die Besprechung mit belgischen Delegierten im Rathaus zu Aachen am 17. und 18. Dezember 1919“ vom 21.12.19, in der UStS Hirsch mit Befremden feststellt, daß den belg. Unterhändlern der Umfang des vorliegenden Abkommens unbekannt sei. Die Belgier erklären, in der Frage der Ein- und Ausfuhrverbote sei Belgien „an die Beschlüsse der Friedenskonferenz gebunden, und wolle und könne sich in dieser Frage von seinen Verbündeten nicht trennen“. Man sei vielmehr nur erschienen, um etwaige dt. Wünsche entgegenzunehmen (Nachl. von Le Suire, vorl. Nr. 27).
- 5
Léon Delacroix, zugleich FM.
- 6
Das „Markabkommen“ wird am 25. 11. von Rombouts und Erzberger unterzeichnet. Ein Abdruck befindet sich in der Denkschrift des ehemaligen RbkVPräs. von Glasenapp über „Die belgischen Markbestände“ vom Juli 1926 in: R 43 I/53, Bl. 167 ff. – Mit Schreiben vom 18. 12. legt das Rbk-Direktorium die gegen den Vertrag sprechenden rechtlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Gründe dar. U. a. wird der Anspruch Belgiens, von Dtld. den Rückkauf der Markbeträge zum Pariwert zu verlangen, bestritten. Es dürfte „wenig wahrscheinlich sein, daß die Commission des réparations den Anspruch demnächst anerkannt und Deutschland die Verpflichtung, ihn zu befriedigen, auferlegt hätte. Aber selbst eine derartige Anerkennung könnte Deutschland auch im schlimmsten Falle keine größere Last auferlegen, als Deutschland jetzt freiwillig übernimmt. Dabei ist zu bedenken, daß für die tatsächliche Erfüllung einer aus den Beschlüssen der Commission des réparations sich etwa ergebenden Belastung auf seiten Deutschlands nur gerade ebensoviel Verpflichtung, Anlaß und Möglichkeit vorliegen würde wie für alle anderen uns durch den unausführbaren Friedensvertrag auferlegten Lasten, und wir würden ebenso wie bei diesem auf eine Revision dringen können. Übernehmen wir aber jetzt die gewaltige Last freiwillig, so müssen wir sie, weil eben freiwillig übernommen, unweigerlich unter allen Umständen erfüllen.“ Wie hoch schließlich die durch den Vertrag bedingte finanzielle Belastung sein werde, hänge von der Entwicklung des Markkurses ab, der jedoch gerade durch die Ausführung des Vertrages (d. h. die Beschaffung hoher Frankenbeträge) sehr ungünstig beeinflußt werde. Unter der Voraussetzung eines dem gegenwärtigen Stand entsprechenden Kurses (100 bfrs = 460 M) würde die von Dtld. „schließlich zu deckende Frankenschuld einen Markwert von rund 58,6 Milliarden M darstellen und somit den vermutlichen Ertrag des Reichsnotopfers weit übersteigen. Der Gedanke, daß das deutsche Volk einmal sich einem verstärkten Reichsnotopfer unterwerfen muß, nur um ein der belgischen Regierung gemachtes Geschenk zu bezahlen, hat etwas furchtbares.“ Außerdem sei zu berücksichtigen, „daß die Entente gegenüber dem Einwande, es sei Deutschland unmöglich, die finanziellen Forderungen Frankreichs und Englands zu erfüllen, sich nicht ohne Grund auf den Vertrag berufen wird, durch den Deutschland trotz seiner angeblichen Leistungsunfähigkeit eine enorme Verpflichtung zu Gunsten Belgiens freiwillig übernimmt […]“. Abschließend heißt es: „Ob Konzessionen auf politischem Gebiete den Abschluß eines mit so unerhörten Opfern verknüpften Vertrages rechtfertigten und bedingten, entzieht sich unserer Beurteilung. Der uns vorliegende Vertragstext enthält derartige Konzessionen nicht. Davon, daß neben dem Vertrage schriftliche Abreden getroffen sind, ist uns nichts bekannt. Wir befürchten, daß die belgischen Vertreter, die zu anderen als rein finanziellen Verhandlungen schwerlich bevollmächtigt waren, sich auf allgemeine Redewendungen beschränkten, die in vagen Ausdrücken ein gewisses Entgegenkommen in Aussicht stellten, daß sie aber jede feste, klare und bündige Verpflichtung vermieden. Durch derartige Redewendungen sind die deutschen Vertreter gelegentlich der Waffenstillstands- und der Friedensverhandlungen oft genug getäuscht worden; irgendein greifbarer Wert ist ihnen nach den gemachten Erfahrungen kaum beizumessen. Das dürfte vor allem von den erwarteten rein politischen Zugeständnissen gelten.“ Schließlich bittet das Rbk-Direktorium darum, seine ablehnende Haltung bei den Ratifizierungsverhandlungen deutlich zum Ausdruck zu bringen (Das Rbk-Direktorium an den RK; abschr. an das RKab., den PrMinPräs., PrHandM, PrFM und den Präs. der Reichsschuldenverwaltung; 18.12.19; R 43 I/52, Bl. 29–42). Der Vertrag wird den gesetzgebenden Körperschaften nicht zur Ratifizierung vorgelegt. – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 159.