Text
[1827] Nr. 517
Dr. Silverberg an Dr. Krupp v. Bohlen und Halbach, Köln, 12. Oktober 1931
Nachl. Silverberg Nr. 234, Bl. 23–27 Abschrift
[Kabinettsbildung]
Sehr verehrter Herr von Bohlen!
Über die Vorgänge in der letzten Woche möchte ich Sie in kurzer Darstellung unterrichten1:
Am Donnerstag, den 8. nachmittag, wurde ich zum Reichskanzler befohlen, der mir unmittelbar und fast ohne Einleitung die Frage vorlegte, ob ich geneigt sei, in sein zweites Kabinett einzutreten und das Verkehrsministerium zu übernehmen; das Verkehrsministerium an sich habe als Ministerium keine erhebliche Bedeutung, die Hauptsache sei, mich als Vertreter der Wirtschaft für das Kabinett zu gewinnen. Ich fragte ihn, nach welchen Grundsätzen er in Zukunft die Regierung insbesondere auf finanz-, wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet zu führen gedächte, welche Herren in das Kabinett einträten und stellte selbstverständlich als notwendig dar, daß ich nur mit Zustimmung und mit Unterstützung meiner industriellen Freunde im Westen in ein Kabinett eintreten könne. Die erste Frage nach der beabsichtigten Politik wurde sehr unbestimmt beantwortet, vielmehr erklärt, daß einmal die Stellungnahme des Reichstags abgewartet werden müsse2, daß er jedoch beabsichtige, den Reichstag in möglichst kurzer Zeit nach Hause zu schicken3 und dann die Frage der Bindungen der Wirtschaft nach der Selbstkostenseite und durch Kartelle nach der Verkaufspreisseite auflockern wolle. Es war nicht möglich, eine bestimmte Erklärung nach dieser Richtung hin zu erreichen, wohl der Hinweis, daß nach allen Richtungen hin vorsichtig „politisch“ gehandelt werden müsse.
Bezüglich der Persönlichkeiten, die in das Kabinett eintreten sollten, nannte er die durch die Presse bekannt gewordenen, neben Warmbold für das Wirtschaftsministerium, Geßler für das Innenministerium, jedoch alles noch unbestimmt.
Als Abschluß der Erörterung gab ich die Erklärung ab, daß ich nicht die Überzeugung habe, meine industriellen Freunde, insbesondere die westliche Wirtschaft, hinter mir zu wissen; daß ich insbesondere nicht die Überzeugung habe, dem Reichskanzler das bringen zu können, was er wünsche, nämlich zumindest die Neutralität der westlichen Industrie ihm gegenüber; daß ich ferner mich auch nicht stark genug fühle, als einziger Industrieller in die Regierung einzutreten, sondern den dringenden Wunsch hätte, wenn die Not des Landes den Eintritt in die Regierung erforderlich mache, keinesfalls allein zu sein.
Nach dieser langen Unterredung wurde abgesprochen, die Frage am andern Tage nochmals mit den erreichbaren Herren Vögler und Schmitz zusammen bei[1828] dem Kanzler zu erörtern, vielleicht auch unter dem Gesichtspunkt, ob wir imstande wären, eine vierte Persönlichkeit für die Regierung vorzuschlagen. Diese Unterredung fand am andern Vormittag um 11 Uhr statt; sie änderte das Bild in keiner Weise, eine bestimmte, irgendwie greifbare oder bestimmte Erklärung des Herrn Reichskanzlers über seine beabsichtigte Politik war nicht zu erlangen. Nach der persönlichen Seite wurde zwar anerkannt, daß es mir verhältnismäßig am leichtesten sein müsse, im Gegensatz zu den Herren Vögler und Schmitz mich aus den geschäftlichen Beziehungen vorübergehend loszulösen und in eine Regierung einzutreten. Herr Schmitz machte für seine Person noch geltend, daß es doch unmöglich erschien, daß er und Herr Professor Warmbold beide aus dem Vorstande der IG gleichzeitig in eine Regierung einträten.
Auch Herr Vögler erklärte, daß, auch wenn er mit mir gleichzeitig ein Mandat annähme, er auch nicht wisse, ob er insbesondere die westliche Industrie absolut hinter sich hätte. Die Verstimmung sei zu groß. Ich fügte noch hinzu, daß die allgemeine Auffassung dahin ginge, daß die Regierung bis jetzt eine ausgesprochen unternehmerfeindliche Politik verfolgt habe. Der Reichskanzler wies dies energisch zurück. Er behauptete, seine Linie sei die Aufrechterhaltung der Privatwirtschaft. Auch die Novelle zum Aktiengesetz4 habe kein anderes Ziel, als nach den aufsehenerregenden Feststellungen in den Strafrechtsverfahren Favag5, Nordwolle, Sklarek6 erklären zu können, die Gesetzgebung habe Vorsorge getroffen, daß solche Mißstände nicht mehr entstehen könnten. Wir erwiderten darauf übereinstimmend, daß wir im Interesse der Privatwirtschaft bitten müßten, die strafrechtlichen Vergehen einzelner nicht allein zur Last zu legen.
Herr Schmitz regte daraufhin an, als vierte Persönlichkeit Herrn Dorpmüller um den Eintritt in das Kabinett zu ersuchen und übernahm es auf Wunsch des Kanzlers, mit Herrn Dorpmüller zu sprechen. Ich will gleich vorwegnehmen, daß dieser Versuch ergebnislos war7.
In einer besonderen Besprechung, die nachher stattfand, an der Herr Vögler, Herr Schmitz, Herr Dorpmüller, Herr Kastl und ich teilnahmen, waren wir uns darüber einig, die richtige Linie eingehalten zu haben. Hinzu kam noch, daß auch der Eintritt des Herrn Dr. Geßler in die Regierung außerordentlich unbestimmt war, was sich ja tatsächlich auch als richtig herausstellte. Wir waren uns auch darüber einig, daß die Angelegenheit ausgiebig in unserem Kreise besprochen werden müsse, daß aber, wenn die Entwicklung der allgemeinen Lage es erfordert, wir nur zusammen in die Regierung eintreten wollten, d. h. Herr Schmitz, Herr Vögler und ich, um dann in der Regierung eine genügend starke Position gegenüber rein politischen Bestrebungen nach der wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Seite zu besitzen. Diese letzten Abmachungen waren vertraulich und sind von uns nicht dem Herrn Reichskanzler mitgeteilt worden.
[1829] In den verschiedenen Unterredungen eröffnete uns der Herr Reichskanzler, daß er beabsichtige, neben dem Kabinett einen Wirtschaftsrat zu bilden, der aus 6 bis 7 Personen bestehen soll8. Herr Schmitz und ich sagten unsere Mitwirkung in einem derartigen Gremium zu. Herr Vögler behielt sich noch seine Zustimmung vor, ließ aber durchblicken, daß er nicht abgeneigt sei, auch mitzuarbeiten. Es wurden einige weitere Namen genannt und auch erwogen, ob es richtig sei, einen Vertreter der Linken, wenn auch einen nicht ausgesprochenen Gewerkschaftler, in diesen Wirtschaftsrat zuzuziehen.
Die Lösung der Regierungskrise ist eine ausgesprochene Notlösung. Sie ist vielleicht für die jetzt kommende Reichstagstagung ausreichend. Nach Ihrer Rückkehr werden wir in kleinem Kreise unsere Stellungnahme ernstlich besprechen müssen, denn ich habe doch den Eindruck, als wenn, gleich wie die Reichstagslage sich entwickelt, vor dem Winter Entscheidendes geschehen muß und es ist die Frage, ob ein Wirtschaftsrat neben dem Kabinett, wenn er noch so gut zusammengesetzt ist, ausreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gestaltung der Dinge besitzt. Man rechnet auf jeden Fall in Berlin mit einem dritten Kabinett Brüning, sei es, daß die gegenwärtige Regierung ein Mißtrauensvotum vom Reichstag erhält oder nicht. In beiden Fällen ist man der Auffassung, daß Brüning seine Regierung umbilden muß.
Ich möchte gerne, sehr verehrter Herr von Bohlen, daß Sie meinen Standpunkt verstehen. Selbst mit Professor Warmbold, den ich außerordentlich schätze, fühle ich mich allein in einem Kabinett nicht stark genug und es ist für jeden oder mehrere von uns unmöglich, ein so schwerwiegendes Mandat ohne Billigung unserer Freunde anzunehmen und ohne die Sicherheit, daß nicht nur der Reichsverband, sondern insbesondere auch unsere engere westliche Industrie hinter uns steht. – Es waren dies die entscheidenden Gründe meiner Ablehnung.
Ich hoffe, daß bald nach Ihrer Rückkehr eine Aussprache mit Ihnen möglich sein wird, zu der Sie sicher noch den einen oder andern Herrn hinzuziehen werden.
In ausgezeichneter Hochachtung bin ich mit den verbindlichsten Grüßen
Ihr sehr ergebener
gez. Dr. Silverberg
Fußnoten
- 1
Abdruck des vorhergehenden Dok. auch bei Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 339.
- 4
Gemeint ist wohl die NotVO über Aktienrecht, Bankenaufsicht und eine Steueramnestie vom 19.9.31 (RGBl. I, S. 493).
- 5
Siehe Dok. Nr. 319, Anm. 8.
- 6
Am 26.9.29 waren die Konfektionshändler Sklarek unter dem Verdacht des Betrugs zu Lasten der Stadt Berlin verhaftet worden (Schultheß 1929, S. 174).
- 7
Vgl. Brüning, Memoiren, S. 427.