Text
Nr. 575
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 28. November 1931
[Lage der preußischen Staatsfinanzen]
Sehr verehrter Herr Reichskanzler!
Die Lage der preußischen Staatsfinanzen ist heute nochmals Gegenstand der Beratungen des preußischen Kabinetts gewesen. Das Ergebnis der Beratungen beehre ich mich Ihnen wie folgt mitzuteilen:
Die Preußische Staatsregierung ist entschlossen, dem Landtag einen ausgeglichenen Etat vorzulegen1; gleichzeitig ist eine allmähliche Tilgung des Defizits der Jahre 1930 und 1931 vorgesehen. Zu diesem Zweck werden die Staatsausgaben weit über das bisher in Aussicht genommene Maß hinaus gekürzt, die noch vorhandenen Steuerquellen restlos ausgeschöpft werden2.
Die beabsichtigte Umgestaltung des Haushalts beeinflußt aber naturgemäß noch nicht den ungünstigen Stand der Kassenlage. Es ist zwar gelungen, durch die völlige Zurückstellung der planmäßigen Sachausgaben die Auszahlung der am 1. Dezember fälligen Gehaltsrate (halbes Dezembergehalt) sicherzustellen3, die am 10. Dezember fälligen Zahlungen können aber nicht geleistet werden. Bei äußerster Anspannung würde es unter Umständen gelingen, am 20. Dezember ein weiteres Viertel der Dezembergehälter auszuschütten. Darüber hinaus sind Zahlungen unmöglich.
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Bei einer Besprechung zwischen RbkPräs. Luther, dem Pr.FM Klepper und StS Schäffer war vereinbart worden, daß die Rbk Preußen 5 Mio. RM bis zum 30.11.31 stundet; dafür wollte FM Klepper rechtzeitig vor dem 10.12.31 seinen durch Ausgabenkürzungen und neue Einnahmen ausgeglichenen Etat vorlegen (Tagebuchaufzeichnung Schäffers vom 24.11.31, IfZ ED 93, Bd. 15, Bl. 1083; vgl. auch Nachlaß Luther Nr. 367, Bl. 30).
[2024] Über die Frage, ob am 10. Dezember Zahlungen geleistet werden können, muß die Preußische Staatsregierung spätestens bis 2. Dezember Klarheit erhalten, da sie andernfalls die notwendigen Anweisungen an die provinziellen Stellen nicht rechtzeitig herausgeben kann.
Die Preußische Staatsregierung kann die politische Verantwortung dafür, daß den preußischen Staatsbeamten – im Gegensatz zu den Beamten des Reichs – ein Teil ihrer Dezemberbezüge vorenthalten wird, nicht tragen. Wie ich mir kürzlich bereits auszuführen erlaubte, besteht, da der Preußische Staat vor der Neugestaltung des Haushalts kurzfristige Kredite nicht aufnehmen kann, der einzige Ausweg darin, daß die Reichsregierung unter Ausschöpfung ihrer finanziellen Möglichkeiten eine Überbrückung herbeiführt4. Aufgrund eines einstimmigen Beschlusses des Kabinetts darf ich deshalb Sie, Herr Reichskanzler, ergebenst bitten, mir mitteilen zu wollen, ob die Reichsregierung bereit ist, die erforderliche Hilfsstellung zu geben. Im Falle der Verneinung würde die Preußische Staatsregierung sich gezwungen sehen, alsbald der Öffentlichkeit über die Zuspitzung der Kassenlage und über die Gründe ihrer Entwicklung vollen Aufschluß zu geben. Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie vorher mir Gelegenheit zu einer Rücksprache geben wollten5.
Mit der Versicherung ausgezeichneter Hochachtung bin ich, Herr Reichskanzler,
Ihr sehr ergebener
Braun