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c) Luftfahrt.
Ministerialrat Brandenburg führte aus, daß es sich bei dieser Frage im wesentlichen um 3 Punkte handle.
1. Um die Regelung der Begriffsbestimmungen16;
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S. Anm. 18.
2. um die Einrichtung von Lufthäfen in der neutralen Zone;
3. um die Ordonnanz 8017.
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Ordonnanz 80, erlassen von der Irko am 7.4.21, untersagt „bis auf weiteres“ das „Überfliegen der besetzten Gebiete mit deutschen Flugapparaten oder mit Flugzeugen, welche mit deutschen Flugzeugführern besetzt sind […]. Eine feste deutsche Luftverkehrsstation kann niemals in den besetzten Gebieten eingerichtet werden.“ (S. Die Verträge über Besetzung und Räumung des Rheinlandes und die Ordonnanzen der Interalliierten Rheinlandkommission in Coblenz, S. 205).
Zu 1: Die Note vom 24. Juni bringe gegenüber dem bisherigen Zustand nur Erschwerungen18; alles sei in das Ermessen des Garantiekomitees gelegt. Es müsse versucht werden, da die zur Zeit geltenden einschränkenden Begriffsbestimmungen nicht auf dem Versailler Vertrag, sondern auf dem Londoner Ultimatum19 beruhten, den Versailler Vertrag wiederherzustellen. Das bedeute restlose Befreiung der zivilen Luftfahrt. Das Garantiekomitee könne dann wegfallen. Auf Ersatz dieses Komitees durch eine paritätische Kommission unter neutralem Vorsitz sollte man sich nicht einlassen. Eine derartige Kommission könnte äußerstenfalls dann tragbar sein, wenn sie keinen neutralen[664] Vorsitzenden habe und bei Meinungsverschiedenheiten die Entscheidung einer höheren Instanz vorgesehen würde.
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Unterhaltung und Herstellung dt. Zivilflugzeuge unterlagen bisher den einschränkenden „Begriffsbestimmungen zur Unterscheidung der zivilen von der militärischen Luftfahrt“, die von der Botschafterkonferenz mit Note vom 14.4.22 (Aktenexemplar in R 43 I/443 b, Bl. 10-20) festgelegt und von der RReg. durch VO vom 5.5.22 (RGBl. I, S. 476) in Kraft gesetzt worden waren. – Die von der Botschafterkonferenz in obengenannter Note vom 24.6.25 vorgelegte Neufassung der Begriffsbestimmungen für Zivilflugzeuge sieht in materieller Hinsicht – Motorenleistung, Ladefähigkeit, Höchstgeschwindigkeit – keine wesentliche Änderung gegenüber der Note vom 14.4.22 vor. Dagegen sind die Kontrollbefugnisse des 1922 eingesetzten all. „Garantiekomitees für die Luftfahrt“ nun erheblich erweitert: „Über die Fabriken, die Luftgerät irgendwelcher Art herstellen, sind Listen zu führen; die deutsche Regierung hat dem Garantiekomitee Nachweise der Einfuhr (einschließlich der Durchgangseinfuhr) und der Ausfuhr für alle Flugzeuge und alles Luftfahrgerät mit allen Einzelheiten, die das Komitee verlangt, zu beschaffen.“ (Schultheß 1925, S. 408 f.).
In einer nicht datierten, wohl Anfang Oktober 1925 angefertigten „Aufzeichnung für den Herrn Reichskanzler“ teilt MinR Brandenburg mit, die Note vom 24. 6. sei bisher nicht beantwortet worden. Dafür seien folgende Gründe maßgebend gewesen: „1) wollte man die Räumungsfrage durch eine ablehnende Antwort nicht komplizieren, 2) wollte man einer Verbindung der Luftnote mit der Entwaffnungsnote [all. Kollektivnote vom 4.6.25, S. Anm. 1 zu Dok. Nr. 96] ausweichen und 3) lag die Besorgnis vor, daß die Verhandlungen über den Sicherheitspakt durch eine negative Behandlung der Note gestört werden könnten.“ (R 43 I/443 a, Bl. 200-204).
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S. die Note der All. Regg. aus London vom 5.5.21, RT-Drucks. Nr. 1979, Bd. 367; auch gedr. in: Ursachen und Folgen, Bd. IV, Dok. Nr. 959.
Zu 2: Die Frage der Lufthäfen werde besonders akut, wenn Deutschland in den Völkerbund eintrete, da dann Deutschland das Überflugsrecht über das besetzte Gebiet erhalte20. Die deutschen Gesetze betreffend Luftfahrt21 müßten für das besetzte Gebiet anerkannt werden.
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Geht zurück auf einen Beschluß der Botschafterkonferenz vom 15.12.20, in dem für genannten Fall noch zugesichert wurde, daß dt. Zivilflugzeuge bei Überfliegen der bes. Gebiete die Hallen benutzen könnten, die auf all. Militärflugplätzen für die Bedürfnisse der zivilen Luftfahrt der verbündeten Mächte reserviert würden (der Beschluß ohne Anschreiben abschrl. in R 43 I/443 a, Bl. 216).
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Es handelt sich wohl vor allem um die VO der RReg. vom 5.5.22 (s. Anm. 18) und das „Luftverkehrsgesetz“ vom 1.8.22 (RGBl. I, S. 681), welche durch Anordnung der Irko vom 12.11.22 für die besetzten Gebiete aufgehoben worden waren (s. das Schreiben des RKombesGeb. an das RIMin. vom 17.11.22, abschrl. in R 43 I/443 a, Bl. 225 f.).
Der Reichskanzler hielt es für äußerst schwierig, irgend etwas am Versailler Vertrag und am Londoner Ultimatum formell abzuändern. Es müsse daher die Frage aufgeworfen werden, ob es nicht besser sei, die Frage der Luftfahrt in Locarno überhaupt nicht zu berühren, als nur ein ungenügendes Kompromiß zu erzielen.
Ministerialrat Brandenburg wies darauf hin, daß England die Bemühungen Deutschlands um eine Verbesserung seiner Lage bezüglich der Luftfahrt zweifellos unterstützen werde. Von einem Abwarten verspreche er sich nichts, da die militärischen Gesichtspunkte auch in der nächsten Zeit die rein wirtschaftlichen stark überwiegen würden, eine Verbesserung unserer Situation also durch Abwarten nicht eintrete.
Geheimrat Nord war ebenfalls der Meinung, daß es nicht möglich sei, das Londoner Ultimatum in Locarno umzustoßen. Den Vorschlag, eine paritätische Kommission anzustreben, hielt er jedoch für sehr zweckmäßig, zumal man dabei daran anknüpfen könne, daß schon nach den jetzt geltenden Bestimmungen alle zwei Jahre Nachprüfungen stattfinden sollten22.
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Bestimmung der Note der Botschafterkonferenz vom 14.4.22 (s. Anm. 18): Die Begriffsbestimmungen müßten alle zwei Jahre überprüft werden, „um die Änderungen zu berücksichtigen, welche die etwaigen Fortschritte des Flugwesens bedingen sollten.“
Ein Beschluß wurde nicht gefaßt.