Text
[480] Nr. 127
Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über Anleiheverhandlungen. 2. Oktober 1930
R 43 I/2366, Bl. 256–257 Durchschrift
Am vergangenen Sonntag1 gingen die Verhandlungen zwischen Berlin und Amerika wegen des Überbrückungskredits hin und her2. Sie wurden in Amerika von dem Bankhaus Lee, Higginson, unter Einschaltung von Morgan3, und in Berlin von der Reichsbank, dem Bankhaus Mendelsson (Kempner)4 und dem Reichsfinanzministerium (Schäffer) geführt. Durch letzteren war ich über den Ablauf dieser Gespräche laufend orientiert und hatte zusammen mit ihm die Art der deutschen Antworten mit beeinflußt. Der Herr Reichskanzler, der über die Tatsache orientiert war, hat am Montag im einzelnen von mir über die Sonntagsverhandlungen Kenntnis bekommen. Der Niederschlag der amerikanischen Fragen und der deutschen Antworten ist aus der Anlage ersichtlich, die der Herr Reichskanzler eingehend durchgesehen hat5. Die Art unserer Antworten hat der Herr Reichskanzler hinterher durchaus gebilligt. Er hielt sie gerade aus dem Grunde für besonders bedeutungsvoll, weil dadurch gegenüber den wichtigen Stellen des Auslandes, nämlich den internationalen, vor allem den amerikanischen Geldgebern, schon eine gewisse Festlegung hinsichtlich des deutschen Regierungsprogramms erfolgt sei. Wenn also der Überbrückungskredit, wie zu erhoffen ist, zustande kommt, beruht er nicht nur auf dem Schuldentilgungsgesetz6, sondern namentlich auch auf diesen ergänzenden Sonntagserklärungen der maßgeblichsten deutschen Stellen. Der Herr Reichskanzler ist der Auffassung, daß bei der bevorstehenden parlamentarischen Erledigung des Regierungsprogrammes, falls bis dahin der Überbrückungskredit zustande gekommen sei, hierauf nicht stark genug hingewiesen werden könne.
Der Herr Reichskanzler legt Wert darauf, daß dieser Gesichtspunkt zu den Akten der Reichskanzlei niedergelegt wird.
gez. Dr. Pünder