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Nr. 201
Empfang der Führer der „Grünen Front“ beim Reichspräsidenten. 17. Dezember 1930, 10.45 Uhr
R 43 I/2545 Bl. 195–198 Durchschrift
Anwesend: v. Hindenburg; Schiele; Brandes, Kalckreuth, RM a. D. Hermes, StM a. D. Fehr; Protokoll: StS Meissner.
Präsident Dr. Brandes führte aus: Die Stimmung im Lande wird immer ernster, und wir Führer der Landwirtschaft haben Sorge, ob wir Ruhe halten können. Wir erkennen dankbar an, daß wertvolle Hilfe für die Landwirtschaft in der letzten Zeit gebracht worden ist. Woran es noch fehlt, ist die Forderung der bäuerlichen Wirtschaften, insbesondere der Veredelungswirtschaft, nach höherem Zollschutz. Wir verlangen nicht, daß Handelsverträge gekündigt werden; doch bitten wir dringend, daß das, was ohne Kündigung von Handelsverträgen durch höheren Zollschutz geschehen kann, jetzt durch Notverordnung durchgeführt wird. Das muß vor Wiederzusammentritt des Reichstags geschehen. Es[739] wäre uns nicht verständlich, wenn der Butterzoll nicht erhöht würde, nachdem die handelsvertragliche Bindung beseitigt ist; die Schweiz und Amerika haben weit über unsere Zollsätze hinaus die Butterzölle erhöht.
Weiter müssen wir darüber klagen, daß die Osthilfe so sehr im Rückstand ist. Bisher ist nur die Organisation aufgezogen, aber noch kein Betrieb umschuldet worden. Auch hier muß für Beschleunigung gesorgt werden.
Staatsminister a. D. Dr. Fehr: Die bisherigen agrarischen Maßnahmen haben der bäuerlichen Wirtschaft, namentlich im Süden des Reichs, nur wenig Hilfe gebracht. Es ist nun dringend notwendig, daß in Ergänzung der früheren Maßnahmen jetzt auf dem Gebiete der bäuerlichen Veredelungswirtschaft etwas mehr geschieht, sonst werden auch in Süddeutschland die Bauern unruhig. Die Zollerhöhung für Butter braucht nicht notwendigerweise eine Erhöhung des Verbraucherpreises nach sich zu ziehen; wir schädigen daher niemand und bringen unserer Bauernschaft wirksame Hilfe, wenn wir den Butterzoll erhöhen.
Reichsminister a. D. Dr. Hermes: Die Industrie hat Sorgen geäußert, daß eine Zollerhöhung für Produkte der bäuerlichen Veredelungswirtschaft den Export der deutschen Industrie schädige1. Das können wir nicht als richtig anerkennen. Wir führen fast 4 Milliarden Lebensmittel ein, und wir müssen diese Einfuhr schrittweise einschränken2. Es muß zwischen dem Export und dem Binnenmarkt ein besseres Verhältnis hergestellt werden. Die sofortige Kündigung von Handelsverträgen verlangen auch wir nicht; aber wir dürfen auch keine neuen wirtschaftlichen Fesseln auf uns nehmen, müssen uns im Gegenteil von den wirtschaftlichen Bindungen, die der Vertrag von Versailles uns auferlegt hat, allmählich freimachen.
Reichsminister Dr. Schiele: Ich stimme im Grundsatz den Vorrednern zu und spreche mich dafür aus, daß da, wo Möglichkeiten bestehen, eingegriffen wird, um für die Veredelungsprodukte besseren Zollschutz einzuführen. Diese Möglichkeit ist für Butter durch den finnischen Handelsvertrag gegeben3. Ich bin für meine Person bereit, noch in der ersten Januar-Hälfte – und zwar auf dem schnellsten Wege – hier Verbesserungen in Kraft zu setzen4. Zwischen Landwirtschaft und Industrie muß ein gerechter Ausgleich gefunden werden. Neue Fesseln durch ein internationales Handelsabkommen dürfen wir nach meiner Meinung nicht mehr auf uns nehmen. Ich bemühe mich daher auch weiter, im Sinne der Anregungen der Vorredner tätig zu sein.
Der Herr Reichspräsident Die gegensätzlichen Interessen zwischen Industrie und Landwirtschaft müssen auf einer gerechten Mittellinie ausbalanciert werden5. Es muß von den zuständigen Ressorts und von dem Herrn Reichskanzler, in dessen Unparteilichkeit in dieser Frage ich volles Vertrauen setze, gründlich nachgeprüft werden, auf welcher Basis dieser gerechte Ausgleich gefunden[740] werden kann. Ich bitte Sie, auch unmittelbar mit dem Herrn Reichskanzler zu verhandeln6. – Was die Osthilfe anlangt, so bedauere ich, hören zu müssen, daß bisher eine wirksame Umschuldungsarbeit von ihr noch nicht geleistet worden ist. Die Tätigkeit der Osthilfe muß beschleunigt werden, und ich werde mich auch darum kümmern. Im übrigen bitte ich Sie, überzeugt zu sein, daß die Not der Landwirtschaft und alle Vorschläge, die zu ihrer Besserung gemacht werden können, stets mein warmherziges Interesse finden.