Text
Nr. 356
Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Bülow über eine Unterredung des Reichskanzlers mit dem Amerikanischen Botschafter, 2. Juli 1931
Der Herr Reichskanzler empfing heute nachmittag den Amerikanischen Botschafter, um ihm die Antwort auf die Anfrage wegen des Panzerkreuzers B zu geben, die er heute morgen dem Herrn Reichsminister übermittelt hatte1. Der Herr Reichskanzler führte aus, daß unsere Wirtschaftslage im Augenblick äußerst prekär sei, große Zusammenbrüche stünden unmittelbar bevor. Die parteipolitische Lage habe sich so sehr zugespitzt, daß man bereits von einem latenten Bürgerkrieg sprechen könne. Die Mittelparteien, das Zentrum ausgenommen, seien mehr oder weniger in Auflösung begriffen, und alle unzufriedenen Elemente strebten den extremen Parteien zu. Unter diesen Umständen bilde die Wehrmacht die einzige Stütze des Staates, und er könne nicht daran denken, sie zu schmälern oder überhaupt die Wehrkraft zu schwächen. Er sei sicher, daß der Herr Reichspräsident auf demselben Standpunkt stehe. Die Bedeutung des Panzerkreuzers werde weit überschätzt. Der Herr Reichskanzler übergab dem Botschafter eine Aufzeichnung des Reichswehrministeriums, das das Verhältnis der deutschen zur französischen Flotte und[1273] die Bedeutung des Panzerkreuzers in das rechte Licht setze2. Sodann teilte er ihm mit, was Herr von Hoesch heute mittag über die Rolle des Panzerkreuzers für den französischen Flottenbau durchgegeben hatte, daß nämlich der Flottenbau sich gegen Italien richte, und daß unser Panzerkreuzer keine entscheidende Rolle dabei spiele3.
Der Botschafter führte unter Bezugnahme auf seine Gespräche mit Washington, und zwar mit Mills4, Castle und dem Präsidenten Hoover selbst aus, die Sorge der Amerikaner und auch weiterer anderer Kreise sei, daß Deutschland die Gelder, die unter großen Opfern ihm durch den Schuldnachlaß zur Verfügung gestellt würden, für Rüstungszwecke verwende. Die ganze Welt wolle aber von Rüstungsvermehrungen nichts wissen. Es sei selbstverständlich, daß der Panzerkreuzer A, der vom Stapel gelassen sei, vollendet werde. Der Bau des Panzerkreuzers B sollte aber während des Feierjahres eingestellt werden, und es sollte eine Zusicherung gegeben werden, daß eine Erhöhung des Heeresbudgets während des Feierjahres nicht stattfinde.
In der anschließenden Diskussion stellte der Herr Reichskanzler fest, daß eine Einstellung des Baues des bereits auf Kiel liegenden Panzerkreuzers B während des Feierjahres nicht möglich sei. Die einzige Konzession, die er machen könne sei die, daß im nächsten Jahr nicht, wie beabsichtigt, der Panzerkreuzer C auf Kiel gelegt bzw. Gelder für den Bau dieses Schiffes in den Etat eingestellt würden. Der Botschafter glaubte, daß diese vertrauliche Erklärung verbunden mit einer öffentlichen Erklärung des Inhalts, daß das Heeresbudget nicht erhöht werden würde, vielleicht seiner Regierung genügen werde. Es wurde vereinbart, daß ihm ein statement des Herrn Reichskanzlers zur Weitergabe nach Washington noch heute abend übermittelt werde5. Über[1274] eine eventuelle Bekanntgabe dieses statements in der Öffentlichkeit wurde nichts vereinbart6. Eine Bekanntgabe des Verzichts auf den Bau des Panzerkreuzers C wurde vom Herrn Reichskanzler ausdrücklich abgelehnt7.
Bülow
Fußnoten
- 1
Nicht ermittelt. Vgl. aber Anm. 3.
- 2
Ein Durchschlag dieser Aufzeichnung befindet sich in R 43 I/312, Bl. 98–102. In der Aufstellung war die zahlenmäßige und qualitative Unterlegenheit der Reichsmarine – auch unter Berücksichtigung der dt. Ersatzbauten bis 1938 – gegenüber der frz. Marine hervorgehoben worden; aus dem Vergleich hatte das RWeMin. gefolgert, daß die frz. Seerüstung nicht primär gegen Dtld, sondern gegen Italien gerichtet sei.
- 3
StS v. Bülow hatte am 2. 7. mittags „auftragsgemäß“ Botschafter v. Hoesch gefragt, worauf die amerikanische Nachricht zurückzuführen sei, der frz. Marineminister Dumont habe im Senat erklären wollen, Frankreich werde auf den Bau eines 23 000 t Schlachtkreuzers verzichten, wenn Dtld den Panzerkreuzer B nicht baue, und warum diese Erklärung unterblieben sei. Hoesch hatte geantwortet, es müsse sich um ein amerik. Mißverständnis handeln; seines Wissens sei niemals von einer öffentlichen Erklärung dieser Art die Rede gewesen. Allerdings sei er von verschiedenen Seiten darauf angesprochen worden, daß Frankreich auf den Bau des Schlachtkreuzers verzichten würde, falls Dtld auf den Panzerkreuzer B verzichtete. Wir sollten uns davor hüten, auf diese Gedankengänge einzugehen, denn sie seien eine bewußte Irreführung. Die frz. Seerüstungen richteten sich nicht gegen uns, sondern gegen Italien. Wenn wir den Panzerkreuzer B nicht bauten, würde Frankreich zwar nicht den Schlachtkreuzer, wohl aber einen anderen Kreuzer gegen Italien bauen, so daß an sich für die Sache der allgemeinen Abrüstung nichts gewonnen sei (Vermerk Bülows für den RK und den RAM vom 2.7.31, R 43 I/312, Bl. 103).
- 4
Ogden Mills, Assistant Secretary im amerik. Schatzamt.
- 5
StS v. Bülow übergab am 2.7.31 dem US-Botschaftsrat Gordon die Erklärung des RK und bemerkte, daß es dem RK an sich unerwünscht sei, die Erklärung öffentlich abzugeben, da niemand in Dtld an eine Erhöhung des Heeresbudgets denke und die Öffentlichkeit deshalb hinter dieser Erklärung Opfer auf dem Gebiet des Heerwesens vermuten werde, die am Vorabend der Abrüstungskonferenz nicht verstanden werden würden. Wenn eine Erklärung dieser Art überhaupt notwendig werde, dann müsse ein geeigneter Augenblick und eine geeignete Form dafür noch gefunden werden. Die Erklärung hatte folgenden Wortlaut: „Im Hinblick auf die in einigen Kreisen aufgetauchten Besorgnisse, die im deutschen Etat durch den Erlaß der Reparationszahlungen freiwerdenden Summen könnten für eine Vermehrung der Rüstungen Verwendung finden, stelle ich fest, daß eine Erhöhung der Aufwendungen für Heer und Flotte während des Feierjahres weder je beabsichtigt war noch stattfinden wird. Die gesamten Erleichterungen, die der Hoover-Plan Deutschland bringen wird, werden zur Deckung der zu erwartenden Einnahmeausfälle, zur Konsolidierung der finanziellen Verhältnisse und zur Rettung der deutschen Wirtschaft restlos benötigt und verwandt werden“ (Vermerk Bülows für RK und RAM und Abschrift der Erklärung in R 43 I/312, Bl. 107–108).
- 6
Zur Veröffentlichung der Erklärung s. Dok. Nr. 362.
- 7