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[38] Agrarpolitische Vorschläge der Reichsregierung.
Zunächst machte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft eingehende Ausführungen über die Lage der Getreidewirtschaft in Deutschland und in der Welt. Er erläuterte dann im einzelnen seine Vorschläge.
Der Reichskanzler dankte ihm für die eingehende Begründung seiner Vorschläge, betonte die Notwendigkeit der Landwirtschaft zu helfen und bat, daß sich die Fraktionen möglichst rasch auf den Boden der Vorlage stellen möchten. Im Rahmen der politischen Entwicklung sei diese Einigung notwendig. Sie müßte zu entsprechenden Initiativvorschlägen der hinter der Regierung stehenden Parteien führen. Eile ist geboten.
Der Abg. Professor Dr. Dessauer hielt grundsätzlich eine Begrenzung der Ermächtigungen für notwendig, die der Reichsregierung gegeben werden sollen. Er schlug vor, sie bis 31. März 1931 zu befristen und brachte eine Begrenzung des Einfuhrscheinwertes in Anregung.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte aus, der Sinn der Ermächtigungen liege darin, ein geschlossenes System von Zöllen und Einfuhrscheinwerten auf möglichst lange Frist zu schaffen, das aber im Notfalle rasch geändert werden könne. Er erhoffe davon eine ruhigere und gleichmäßigere Entwicklung, als sie bisher bei den Bindungen möglich gewesen sei. Insbesondere erwarte er eine Ersparnis in der Honorierung der Einfuhrscheine.
Auf Vorschlag des Reichskanzlers wurden die Ermächtigungen bis 31. März 1931 befristet. Beim Einfuhrscheinsystem ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Belastung der Reichskasse nicht über die Aufwendungen des Jahres 1929 hierfür hinausgingen.
Sehr entschieden wandten sich die Vertreter des Zentrums gegen den Beimahlungszwang von Roggen zu Weizenmehl. Sie wiesen dabei auf die Nachteile hin, die dem Bäckergewerbe dadurch in schwerste Konkurrenzkämpfe gegen die Brotfabriken erwüchsen. Das Kleingebäck könne mit dem beigemischten Mehl nicht hergestellt werden. Auch die Teigwarenfabriken und Konditoreien würden aufs schwerste geschädigt. Eine Überwachung der außerordentlich zahlreichen Betriebe sei unmöglich. Zuwiderhandlungen würden ins Ungemessene steigen1.
Sie sprachen sich auch dagegen aus, daß der Richtpreis für Weizen von 260 M aufgehoben würde. Beim Gerstenzoll möchte es bei der März-Regelung bleiben.
Die Vertreter der DVP waren mit diesen Erklärungen einverstanden.
Auch die Vertreter der DDP äußerten wegen der freien Bemessung des Gerstenzolles schwere Bedenken. Sie schlugen vor, ihn zwischen 2 und 10 M zu begrenzen, hatten aber gegen den Vorschlag des Abg. v. Lindeiner-Wildau, die Höchstgrenze auf 12 M festzusetzen, grundsätzlich Bedenken. Sie wiesen allgemein darauf hin, daß die Beschränkung der Futtermitteleinfuhr gegen die alten Grundsätze ihrer Partei verstoße und daß die Zustimmung für sie politisch[39] nur erträglich sei, wenn die Annahme des Steuerkompromisses gesichert wäre2.
Auf Bedenken stieß auch der Vorschlag, den Eierzoll von 6 auf 40 M zu erhöhen.
Der Abg. Dessauer fürchtete Berufungen, wenn vertraglich gebundene Zölle heraufgesetzt würden. Es lägen 160 Anträge in dieser Richtung von industrieller Seite vor. Er fürchtete auch starke Mißstimmung der weiblichen Wähler. Sein Vorschlag, den Zoll auf 30 M festzusetzen, fand Annahme, ebenso die Anregung, ein Gesetz über Kennzeichnung der Eier zu erlassen.
Der Abg. Dr. Horlacher wünschte die Heraufsetzung des Hopfenzolles auf 150 M und Beseitigung der handelsvertraglichen Bindungen durch Verhandlungen mit den Vertragsstaaten Frankreich und Belgien.
Abg. von Sybel regte die Erhöhung des Zolles für kleine Pferde an.
Mit Rücksicht darauf, daß über die Schweinezölle Einigkeit bestand, verzichtete der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft auf die Aufhebung der Zwischenzölle für Speck und Schmalz (Art. 6). Mit der vorgesehenen Aufhebung des Gefrierfleischkontingents und der Wiedereinführung des § 12 des Fleischbeschaugesetzes erklärte sich der Abg. Dessauer einverstanden unter der Voraussetzung, daß entsprechende Mengen Frischfleisch zur Verfügung gestellt und die Einfuhr der notwendigen pharmazeutischen Spezialitäten gesichert werde. Es bestand Einverständnis darüber, daß die Anträge nicht gleich unterschrieben würden, daß aber in einer Pressenotiz mitgeteilt würde, über die wesentlichen Punkte sei Einigung erzielt. Jedoch sei die endgültige Entschließung der Fraktionen bedingt durch die Annahme des Deckungsprogramms der Reichsregierung im Reichstage.
Es wurde beschlossen:
1. | Die Ermächtigungen des Entwurfs an die Reichsregierung sollen bis 31. März 1931 befristet sein. |
2. | Die jährlichen Aufwendungen für Einfuhrscheine sollen die Aufwendungen des Jahres 1929 für diesen Zweck nicht überschreiten. |
3. | Vom Beimahlungszwang für Roggen zu Weizenmehl soll abgesehen werden. |
4. | Den Vorschlägen wegen des Milch- und Rahmzolles (Ziffer II der Anlage) wurde zugestimmt. Die Regierung soll ermächtigt sein, Ausnahmen zuzulassen. |
5. | Die autonomen Zölle für Eier sollen auf 30 M festgesetzt werden (nicht 40). Ein Gesetz über Kennzeichnung der Eier ist vorzulegen. |
6. | Der autonome Zollsatz für Hopfen soll auf 150 M erhöht werden. |
7. | Die Zwischenzölle für Speck und Schmalz bleiben bestehen. Art. 6 des Entwurfs wird gestrichen3. |
8. | Bis zur Aufhebung des zollfreien Gefrierfleischkontingents soll die Lieferung entsprechender Mengen von Frischfleisch an Minderbemittelte sichergestellt werden. |
[40] 9. | Die Frist, nach deren Ablauf die Notwendigkeit einer Änderung des Zollsatzes für Roggen und Weizen zu prüfen ist, wird von 3 auf 6 Monate verlängert (Anl. Ziffer 1 und 2). |
10. | Der Futtergerstenzoll soll zwischen 2 und 12 M festgesetzt werden können. Für andere Gerste soll der Zoll dem des Weizen angepaßt werden. |
11. | Weizenkleie soll zollfrei sein. |
12. | Im übrigen wird dem Gesetzentwurf mit den beschlossenen Änderungen zugestimmt unter der Voraussetzung, daß die Annahme des Deckungsprogramms der Reichsregierung im Reichstag gesichert wird4. |
- 3
Art. 6 des Entw. sah die Streichung der Zwischenzölle für Speck und Schmalz vor (R 43 I/2543, Bl. 56).
- 4
Der GesEntw. wurde von den Regierungsparteien als Änderungsantrag zum GesEntw. über Zolländerungen am 10.4.30 im RT eingebracht (RT-Bd. 441, Drucks. Nr. 1949), am 14.4.30 im Junktim mit den Steuergesetzen im RT verabschiedet (RT-Bd. 427, S. 4993–4995) und am 15.4.30 vom RPräs. vollzogen (RGBl. I, S. 131).