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Haftstättenverzeichnis

Lager für Sinti und Roma

Die Sinti und Roma in Deutschland wurden schon vor der Errichtung des NS-Regimes im Jahre 1933 diskriminiert. Staatliche Maßnahmen richteten sich dabei in erster Linie gegen die Lebensweise des nicht sesshaften Teils dieser Bevölkerungsminderheit. Im NS-Staat wurde die Diskriminierung von Sinti und Roma zunehmend rassenpolitisch begründet und die antiziganistischen Maßnahmen damit auch auf sesshafte Angehörige der Minderheit ausgedehnt. Im Unterschied zur „Zigeunerpolitik“ vor 1933 zielte die nationalsozialistische Politik nicht auf die Anpassung, sondern auf den gesellschaftlichen Ausschluss und letztlich die Vernichtung der Sinti und Roma. Ähnlich wie die jüdische Bevölkerung wurden Sinti und Roma in Deutschland und mit Beginn des Zweiten Weltkrieges auch in deutsch besetzten und mit Deutschland verbündeten Ländern Europas schrittweise entrechtet, interniert, zur Zwangsarbeit eingesetzt und schließlich in Vernichtungsstätten in den besetzten Gebieten Osteuropas verschleppt und ermordet. Allein in das „Zigeunerlager“ im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportierten die Nationalsozialisten etwa 22.600 Sinti und Roma aus Deutschland und anderen europäischen Ländern. Die meisten dieser Menschen kamen aufgrund der unmenschlichen Haftbedingungen ums Leben oder wurden ermordet.

Bereits ab 1933 waren in vielen deutschen Städten Zwangslager für Sinti-und Roma-Familien eingerichtet worden, so in Berlin, Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, Fulda, Gelsenkirchen, Hannover, Kiel, Köln und Magdeburg. Diese Lager entstanden auf Initiative kommunaler Behörden, die die Sinti und Roma als „Kriminelle“ oder „Asoziale“ betrachteten und daher isolieren und unter staatliche Kontrolle bringen wollten. Die Lager waren zumeist umzäunt, unzureichend ausgestattet und wurden von Angehörigen der Polizei, SA oder SS bewacht. In diesen Lagern waren vor allem nicht sesshafte sowie von Sozialhilfe lebende Sinti und Roma inhaftiert. Auf der Grundlage von Heinrich Himmlers Erlass „zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ vom 8. Dezember 1938 sowie dem Verbot des Wohn- und Arbeitsplatzwechsels für Sinti und Roma durch das Reichssicherheitshauptamt entstanden nach Kriegsbeginn zunehmend „Zigeunergemeinschaftslager“ oder „Anhaltelager“. Die meisten dieser Zwangslager für Sinti und Roma befanden sich auf dem Reichsgebiet. In diesen Lagern verblieben die Inhaftierten bis zur – 1940 beginnenden – Deportation in das „Generalgouvernement“ im besetzten Polen.

Es gab jedoch auch in anderen deutsch besetzten Gebieten und mit Deutschland verbündeten Staaten Lager mit ähnlicher Funktion, unter anderem im besetzten Teil der ehemaligen Tschechoslowakei. Auch in der – offiziell unabhängigen – Slowakei existierten gesonderte Sammel- und Internierungslager für slowakische Roma, während sie in den slowakischen „Asozialenlagern“ eine von mehreren Häftlingsgruppen bildeten. Im VI. Arbeitsbataillon der slowakischen Armee wiederum gab es neben jüdischen Arbeitskompanien und einer Sträflingskompanie auch eine gesonderte Arbeitskompanie für „Zigeuner“. Nach Transnistrien, das ab August 1941 unter rumänischer Hoheit stand, wurden neben Jüdinnen und Juden ebenfalls etwa 25.000 rumänische Sinti und Roma deportiert und in Ghettos und Lagern inhaftiert.

Die Roma und Sinti, die in diesen als Sammelstellen fungierenden Lagern inhaftiert waren, mussten schwerste Zwangsarbeit verrichten – oft auch Kinder und alte Menschen, ein Großteil der Inhaftierten kam bereits dort ums Leben. Von den Sammellagern aus wurden die verbliebenen Sinti und Roma meist direkt nach Auschwitz deportiert, zum Teil jedoch auch in Ghettos. Hier kamen ebenfalls viele Menschen aufgrund der katastrophalen Haft- und Arbeitsbedingungen ums Leben. Die Überlebenden des „Zigeunergettos“ Lódz wurden in das Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) deportiert und dort in sogenannten Gaswagen ermordet. Auch in den Vernichtungslagern der „Aktion Reinhardt“ (Belzec, Sobibór und Treblinka) sowie im Vernichtungslager Majdanek ermordeten die Nationalsozialisten Roma und Sinti. Nur wenige Menschen blieben in den Sammellagern zurück, wie zum Beispiel im Lager Marzahn in Berlin. Dort wurde ein Teil der Inhaftierten im Frühjahr 1945 völlig entkräftet von der Roten Armee befreit.

Im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau wurde am 26. Februar 1943 in dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellten Lagerabschnitt BIIe ein Lager für die aus den Sammellagern deportierten Roma und Sinti eingerichtet. Dieses Lager wurde auch „Familienlager“ genannt, seine offizielle Bezeichnung lautete indessen „Zigeunerlager BIIe“. In den „Hauptbüchern des Zigeunerlagers“ sind die persönlichen Daten und der Aufnahmetag von knapp 23.000 Frauen, Männer und Kinder eingetragen worden.

Das „Zigeunerlager“ wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 liquidiert, die knapp 3000 zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Sinti und Roma sind in den Gaskammern des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau ermordet worden. Lediglich 3000 überwiegend männliche Inhaftierte, die zuvor zum Einsatz als KZ-Zwangsarbeiter in Konzentrationslager im Reichsgebiet überstellt worden waren, überlebten die Haft in Auschwitz.

Literaturauswahl:

Bastian, Till. Sinti und Roma im Dritten Reich: Geschichte einer Verfolgung. München 2001.

Luchterhand, Martin. Der Weg nach Birkenau. Entstehung und Verlauf der nationalsozialistischen Verfolgung der ‚Zigeuner‘. Lübeck 2000.

Rose, Romani & Weiss, Walter. Sinti und Roma im „Dritten Reich“: Das Programm zur Vernichtung durch Arbeit. Hg. vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Göttingen 1991.

Rose, Romani (Hg.). „Den Rauch hatten wir täglich vor Augen“. Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma. Heidelberg 1999.

Rose, Romani. Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma: Katalog zur ständigen Ausstellung im Museum Auschwitz. Heidelberg 2003.

Sparing, Frank. Die Zigeunerlager. Entstehung, Charakter und Bedeutung eines Instruments zur Verfolgung von Sinti und Roma während des Nationalsozialismus. Paris 1996.

Zimmermann, Michael. Verfolgt, vertrieben, vernichtet: die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma. 2. Auflage Essen 1993.