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[245] Nr. 88
Aufzeichnung des Oberregierungsrats Wienstein über eine gemeinsame Ressortbesprechung des Reichs und Preußens am 7. Oktober 1926, 11 Uhr im Reichsministerium des Innern
Anwesend: StS Zweigert, MinDir. Brecht, MinR Kaisenberg; Vortr.LegR v. Baligand, Siedler, Meyer; ORegR Wienstein, RegR Conrad; für Preußen: MinDir. Nobis, Trendelenburg; RegR Conring, Prof. Heckel.
[Reichskonkordat und preußisches Konkordat.]
Staatssekretär Zweigert eröffnete die Sitzung und führte aus, daß das Reich ein dringendes politisches Interesse an dem baldigen Abschluß eines Reichskonkordats habe, daß jedoch hierüber der Vertreter der Reichskanzlei1 noch nähere Ausführungen machen werde. Nach seiner Ansicht ständen sich Reichs- und preußisches Konkordat keinesfalls im Wege. Es sei zunächst zu erstreben, daß in Besprechungen der zuständigen Referenten Preußens und des Reichs die Frage geklärt werde, was den möglichen Inhalt eines preußischen und eines Reichskonkordats bilde.
Sodann führte Ministerialdirektor Dr. Trendelenburg aus, daß über die Frage eines preußischen Konkordats bereits zwei Besprechungen zwischen dem Minister Becker und dem Nuntius Pacelli stattgefunden hätten und daß die zuständigen preußischen Ressorts sich eingehend mit der Frage befaßt hätten und zur Zeit besonders eifrig hiermit beschäftigt seien. Es sei der Wunsch Preußens und der Kurie, die Verhandlungen zu beschleunigen. Wann und ob die Verhandlungen überhaupt zum Abschluß kommen würden, könne man nicht sagen. Er hoffe jedoch, daß man nach sechs Monaten schon ein klares Bild haben werde. Z. Zt. ruhten die Verhandlungen mit der Kurie, weil der Nuntius auf Urlaub sei. Die Preußische Staatsregierung habe besonders ein Interesse daran, daß gewisse Kautelen auf dem Gebiete der Besetzung der Bischofsstellen ihr gegeben und Zusicherungen in bezug auf die Ausbildung der Geistlichen gemacht würden. Die Kurie habe das Interesse, die Dotationen des Staates auf eine angemessene Höhe zu bringen.
Natürlich müsse der preußische Staat es sich angelegen sein lassen, den konfessionellen Frieden zu wahren. In diesem Zusammenhange werde es nötig sein, auch mit der evangelischen Kirche zu verhandeln. Hier seien die Aussichten gar nicht zu übersehen, vor allem deshalb, weil die evangelische Kirche, jedenfalls zu einem Teil, dem jetzigen Staat ablehnend gegenüberstehe.
Was die Frage des taktischen Vorgehens anlange, so habe er persönlich den Wunsch, daß das Reich sich zunächst zurückhalte. Erst müsse nach seiner Ansicht ein Konkordat mit Preußen abgeschlossen oder jedenfalls abschlußreif sein, ehe das Reich in Verhandlungen eintrete.
[246] Den Inhalt eines Reichskonkordats könne er sich eigentlich nur so denken, daß das Reich in einem Mantelgesetz bestätige, daß die Bestimmungen des preußischen Konkordats nicht gegen die Reichsverfassung verstießen.
Auftragsgemäß habe ich2 sodann darauf hingewiesen, daß schon der Vorgänger des jetzigen Herrn Reichskanzlers3 den lebhaften Wunsch gehabt habe, mit der Kurie ein Konkordat abzuschließen. Vorbereitende Schritte nach dieser Richtung seien auch schon damals unternommen worden. Hauptsächlich auch aus außenpolitischen Gründen müsse das Reich Wert darauf legen, ein Konkordat abzuschließen. Schon die Tatsache eines derartigen Abschlusses sei für das Reich von Bedeutung. Der Reichsminister des Auswärtigen habe diesen Standpunkt gleichfalls stets vertreten und sei der festen Überzeugung, daß die Deutsche Volkspartei im Reichstage für ein Konkordat zu haben sein werde.
Vortr. Legationsrat von Baligand betonte nochmals die außenpolitische Bedeutung des Abschlusses eines Reichskonkordats.
Ministerialrat Dr. Kaisenberg führte aus, daß ein Reichskonkordat immerhin noch einen anderen Inhalt haben könne als Ministerialdirektor Trendelenburg angegeben habe. Z. B. könne das Reichskonkordat die Bestimmungen der Reichsverfassung4 wiederholen und Vereinbarungen über die Militärseelsorge5 enthalten. Die Wiederholung der Bestimmungen der Reichsverfassung werde keinesfalls ohne Bedeutung sein, denn die Reichsverfassung selber könne natürlich durch ein verfassungsänderndes Gesetz abgeändert werden, damit sei jedoch noch nicht das Konkordat aufgehoben, sondern es würde dann einer Kündigung und einer anderweitigen Vereinbarung bezüglich der wiederholten Sätze der Reichsverfassung bedürfen.
Regierungsrat Conrad (Reichsministerium des Innern) führte aus, in dem Reichskonkordat könnte u. a. auch stehen, die Landesgesetzgebung sei berechtigt, bei der Besetzung der Bischofsstellen bestimmte Vorschriften aufzustellen,[247] sowie von den Geistlichen das Abiturium und die deutsche Staatsangehörigkeit zu verlangen.
Staatssekretär Zweigert faßte das Ergebnis der Sitzung folgendermaßen zusammen:
1. | Die Zuständigkeit des Reichs zum Abschluß eines Konkordats werde von Preußen nicht bestritten. |
2. | Preußen sei bereit, in gemeinsamen Referentenbesprechungen den möglichen Inhalt eines Reichs- und eines preußischen Konkordats zu umgrenzen. |
3. | Preußen habe den Wunsch, daß das Reich vorläufig noch nicht in Verhandlungen mit der Kurie eintrete. |
Ich habe Veranlassung genommen, darauf hinzuweisen, daß von dem unter 3) geäußerten Wunsch Preußens der Herr Reichskanzler in Kenntnis gesetzt werden müsse. M. E. könne das Reich sich jetzt noch keineswegs dahin festlegen, daß es diesem preußischen Wunsche entspreche. Insbesondere könne nicht zugesagt werden, daß das Reich erst dann mit der Kurie in Konkordatsbesprechungen eintrete, wenn das preußische Konkordat abgeschlossen sei.
Ministerialdirektor Dr. Trendelenburg schwächte darauf diese Ausführungen etwas ab und erklärte schließlich, es sei jedenfalls nach seiner Ansicht taktisch besser, wenn das Reich erst dann verhandle, wenn Preußen kurz vor einem Abschluß mit der Kurie stehe und wenn das Reich erkläre, es könne seinerseits ein Konkordat nicht abschließen, wenn nicht auch das preußische Konkordat abgeschlossen werde.
Die Sitzung wurde hierauf geschlossen.
M. E. ist es zunächst die Hauptsache, daß in den Referentenbesprechungen möglichst rasch eine Einigung über den möglichen Inhalt eines Reichs- und eines preußischen Konkordats erzielt wird. Die Frage des taktischen Vorgehens dürfte zur Zeit für das Reich noch nicht akut sein.
Auf Anfrage teilte Regierungsrat Conrad mit, daß man sich im Reichsministerium des Innern über den möglichen Inhalt eines Reichskonkordats noch nicht einig sei. Einigkeit bestehe nur darüber, daß jedenfalls die Sätze der Reichsverfassung wiederholt werden können.
Ich habe Herrn Conrad gebeten, diese Frage umgehend zu klären und das Ergebnis hierher mitzuteilen. Auch habe ich gebeten, für beschleunigte Anberaumung eines Termins für die gemeinsame Referentenbesprechung Sorge zu tragen6.
W[ienstein] 8. 10.
Fußnoten
- 1
ORegR Wienstein.
- 4
Gemeint sind wohl die Verfassungsbestimmungen über die Freiheit der Religionsausübung, die Rechte der Religionsgesellschaften, die Konfessionsschule und den Religionsunterricht (Art. 135–141, 146 Abs. 2 und 149 RV).
- 5
RWeM Geßler hatte Nuntius Pacelli mit Schreiben vom 10.9.26 ein „Aide-mémoire zur Frage der katholischen Militärseelsorge in der deutschen Wehrmacht“ übermittelt. Das Aide-mémoire lautet: „I. Für das Reichskonkordat ist Klärung der Frage der exemten katholischen Militärseelsorge notwendig. Während für die Seelsorge im allgemeinen Zuständigkeit der Länder besteht, gehört die Militärseelsorge als besonders wichtiges Kapitel zur ausschließlichen Zuständigkeit des Reichs. II. Nach unserer Kenntnis ist eine exemte Militärseelsorge eingerichtet durch das Konkordat mit Polen vom 10.2.25 und durch besondere Abmachungen mit Österreich, Ungarn, Jugoslawien und der Tschechoslowakei. III. Ein Berufsheer mit langjähriger Dienstzeit, wie es die deutsche Wehrmacht ist, erfordert für die Zuverlässigkeit und die Moral der Truppe eine besonders intensive Militärseelsorge, und zwar nicht nur für die Angehörigen der Wehrmacht selbst, sondern auch für ihre Familien. IV. Eine solche intensive Militärseelsorge kann nur auf der Grundlage der Exemtion gewährleistet werden, deren besondere Vorzüge sich dahin zusammenfassen lassen: a. Einheitliche Leitung durch einen besonders ausgesuchten Feldpropst, der selbst der Wehrmacht eingegliedert ist und ihre Eigenart und Bedürfnisse kennt. b. Die Jurisdiktion über die Angehörigen der Wehrmacht ändert sich weder bei Abkommandierungen oder Versetzungen noch bei Truppenverschiebungen oder im mobilen Verhältnis. c. Die Militärgeistlichen unterstehen nicht verschiedenen Bischöfen, sondern nur dem Feldpropst, der kirchlich und staatlich ihr Vorgesetzter ist.“ (R 43 I/2202, Bl. 292–293).
- 6
Mit Schreiben vom 18.10.26 an die Rkei, das AA und das RWeMin. lud RIM Külz zu einer kommissarischen Besprechung am 25. 10. ein und übersandte gleichzeitig „Richtlinien für ein Reichskonkordat“, die in vier Abschnitten die „Rechtsstellung der katholischen Kirche“, die „Vermögensrechte der katholischen Kirche“, die „Angelegenheiten der Schule“ und die „Heeres- und Anstaltsseelsorge“ behandelten (R 43 I/2202, Bl. 297–301; die „Richtlinien für ein Reichskonkordat“ sind abgedr. in: Kupper, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Anhang Dok. Nr. 12). In der Ressortbesprechung vom 25. 10. im RIMin. wurden die „Richtlinien“ erörtert; dabei erklärten die Vertreter des RIMin. und des AA, „daß die Richtlinien unverändert und in ihrer Gesamtheit zur Grundlage einer gemeinsam mit Preußen abzuhaltenden Referentenbesprechung gemacht werden sollten“ (Aufzeichnung Wiensteins vom 26. 10. in R 43 I/2202, Bl. 302–303). Siehe dazu Dok. Nr. 98.