2.113.1 (vpa1p): Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 9). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett von Papen Band 1Das Kabinett von Papen Bild 183-R1230-505Wahllokal in Berlin Bild 102-03497AGöring, Esser und Rauch B 145 Bild-P046294Ausnahmezustand in Berlin während des „Preußenschlages“.Bild 102-13679

Extras:

 

Text

RTF

Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung.

Der Reichswirtschaftsminister gab einen eingehenden Überblick über seine Vorschläge2. Nach seiner Auffassung nähert sich die Deflationsperiode in der Welt ihrem Ende. Im kommenden Frühjahr sei die Gesundung zu erhoffen.

In Deutschland seien allerdings die nationalen Kräfte für den Gesundungsprozeß so geschwächt, daß der Anschluß an die bessere Entwicklung gefährdet sei. Dies mache eine starke Hilfsstellung der Regierung erforderlich.

Sie könne nicht im Übergang zu planwirtschaftlichen Maßnahmen oder in einem Vorgehen bestehen, das die Stabilität der Währung berühren würde.

Die Verluste der Wirtschaft in der Unternehmersphäre könnten auf etwa 3 Milliarden geschätzt werden. Auch in der öffentlichen Wirtschaft seien die Schwierigkeiten so gewachsen, daß ohne starke Eingriffe die Etats nicht mehr in Ordnung gehalten werden könnten.

Die Gold- und Devisenbestände der Reichsbank seien so gering, daß ihre weitere Verringerung bei einem Anlaufen der Wirtschaft gefahrdrohend sei3. Das Steigen der Rohstoffpreise würde Verluste bringen, weil die Preise der Fertigwaren nicht in gleichem Tempo erhöht werden könnten. Deswegen sei es erforderlich, sich gegen Kredit einzudecken.

Die Defizitwirtschaft der Unternehmer müsse vorübergehend erleichtert werden, damit sie neue Arbeitskräfte in den Produktionsprozeß einstellen könnten4. Die künstlichen Arbeitsbeschaffungsprogramme würden hierzu nicht ausreichen.

[446] Deswegen müßten die Unternehmer für zwölf Monate von öffentlichen Lasten und Steuern fühlbar befreit werden. 1,8 bis 2 Milliarden wären hierzu erforderlich. Geboten wäre gleichzeitig eine Auflockerung des Tarifrechts.

Die Ausfälle, die daraus der Reichskasse entständen, müßten durch eine einmalige Belastung von hohen Einkommen und Vermögen gedeckt werden. Die Reichsbank solle die Zwangsanleihe5 vorfinanzieren, die erst später zur Einzahlung kommen solle. Die erhöhte Flüssigkeit dürfe nicht zur erhöhten Liquidität der Banken, sondern zu stärkerer Kreditgewährung und dadurch zur Einstellung neuer Arbeitskräfte führen. Darauf müsse die Bankenpolitik mit Entschiedenheit hinwirken.

Noch immer seien die Läger im allgemeinen zu groß. Es frage sich, ob der Absatz schnell genug zunehmen werde, um Neueinstellungen von Arbeitern zu ermöglichen. Wichtig sei aber die Vornahme unterlassener Reparaturen und anderer Arbeiten in allen Betrieben6, deren Vergebung besonders der mittleren und kleineren Industrie zugute kommen würde. Neuinvestitionen kämen nicht in Frage, weil der Produktionsapparat bereits übersetzt sei.

Um die Wirkung baldiger Einstellung von Arbeitskräften zu erzielen, sei weiter zu erwägen, für jeden neu eingestellten Arbeiter ein Drittel des Lohnes, also etwa 400 RM von Reichs wegen in Aussicht zu stellen. Bei einer Gesamtlohnsumme von 4,5 Milliarden also 1,5 Milliarden. Sie könnten den Unternehmern durch Entlastung von Steuern und öffentlichen Abgaben zugeführt werden.

Der Reichsbankpräsident hielt es ebenfalls für geboten, jetzt entscheidende Schritte zu wagen. Die Überbrückung durch Vorfinanzierung seitens der Reichsbank dürfe aber keinesfalls die Inflationspsychose wecken.

Die geplanten Verpflichtungsscheine würden voraussichtlich vielfach nicht liquidiert werden. Sie würden aber in der Rentabilitätsrechnung als Aktive erscheinen. Auch als Unterlagen für Kredite der Banken würden die Verpflichtungsscheine Verwendung finden. Nur soweit diese nicht in der Lage seien, Kredite selbst zu gewähren, würde die Reichsbank in Anspruch genommen werden. So bekäme also die Wirtschaft die erforderliche Liquidität, um sich die Beträge, von denen sie entlastet wird, im Kreditwege zu beschaffen. Die Reichsbank stände hinter dieser Bewegung.

Im übrigen müßten die Stillhalteverhandlungen7 eine Konsolidierung der Forderungen des Auslandes herbeiführen.

Die Wirkungen der Lausanner Abmachungen8 auf die Wirtschaft seien im Auslande stärker als in Deutschland. Sie müßten dahin ausgenutzt werden, daß der Wirtschaft wieder Mut zu Unternehmungen gemacht werde. So würde sich ein Zustand bilden, in dem die Belebung sich in natürlichen Formen vollziehe.[447] Reichsbahn und Reichspost müßten sich in gleicher Weise wie die privaten Unternehmungen an der stärkeren Aktivität beteiligen. Gegen den neuen Vorschlag des Reichswirtschaftsministers bestehe das Bedenken, daß zusätzliche Arbeit nur sehr schwer festzustellen sei.

Der Reichsarbeitsminister machte eingehende Ausführungen über sein Sozialprogramm. Die Erleichterungen im Tarifrecht sollen eintreten, wenn weitere Arbeiter eingestellt werden. Auch die elastischere Gestaltung der Tarife und die Berücksichtigung besonderer wirtschaftlicher Schwierigkeiten von Unternehmungen sollten in gleicher Richtung wirken. Er erläuterte eingehend die von ihm vorgelegte und in der Sitzung verteilte Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit (Anlage)9.

Der Reichsminister der Finanzen sprach sich ebenfalls für Beendigung der Deflation durch Entlastung der Wirtschaft von öffentlichen Abgaben und starren Tarifen aus. Er wies auf die Bedenken hin, die sich bei einzelnen Steuern, insbesondere bei den Realsteuern, bei der Durchführung der Entlastung ergeben. Eine Zwangsanleihe würde nach seiner Auffassung dem Bestreben entgegenwirken, in der Wirtschaft Vertrauen und den Willen zur Einstellung neuer Arbeitskräfte herbeizuführen. Auch über die technischen Schwierigkeiten bei den Berechnungsscheinen machte er längere Ausführungen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bat um eine Denkschrift über die Pläne. Er erklärte sich außer Stande, von den Interessen der Landwirtschaft aus zu den Vorschlägen ohne eingehende Prüfung Stellung zu nehmen. Eine Zwangsanleihe würde in der Landwirtschaft starke Beunruhigung auslösen.

Er gebe zu, daß der Landwirtschaft allein durch Zölle nicht geholfen werden könne und sei grundsätzlich damit einverstanden, wenn der Industrie Mittel zur Verfügung gestellt würden, um die Produktion stärker anzutreiben.

Das Kabinett stimmte dem Entwurf des Reichsarbeitsministers für eine Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit zu, der in der Ministerbesprechung am 26. August verteilt worden war.

Die Sitzung wurde auf nachmittags 4 Uhr 30 vertagt10. In der Zwischenzeit sollen die neuen Vorschläge des Reichswirtschaftsministers geprüft werden.

Fußnoten

2

Zu den Vorschlägen Warmbolds s. Dok. Nr. 111.

3

Am 31.8.32 betrug der Goldbestand der Rbk 768 Mio, ihr Devisenbestand 157 Mio RM (Verwaltungsbericht der Reichsbank 1932, S. 29).

4

RbkPräs. Luther hierzu in einer Tagesnotiz vom 26. 8. u. a.: Warmbold „kam dann zu dem vorher nicht ausgesprochenen Gedanken, man sollte den zur Verfügung zu stellenden Betrag in Beziehung zur Neueinstellung von Arbeitern setzen. Ich widerriet dringend, nachdem auch schon Krosigk auf die Gefahr der Korruption hingewiesen hatte, indem ich meinerseits davon sprach, daß es keine Subvention sei, und darauf aufmerksam machte, daß die Abhängigmachung der Erleichterung von der Neueinstellung von Arbeitern in das Tarifgebiet falle und daß dazu die Schäffer’schen Vorschläge [vgl. unten Anm. 9] bestimmt seien, während es sich hier nur darum handeln könne, die allgemeine Belastung in der Produktionssphäre vorzunehmen.“ (NL Luther  369, Bl. 64).

5

Vgl. Dok. Nr. 111.

6

Luther dazu in seiner Tagesnotiz vom 26. 8. (vgl. oben Anm. 4): „Warmbold errechnete, daß von dem jährlichen Erhaltungsbedarf der deutschen Wirtschaft von 7½ Milliarden in den beiden letzten Jahren nur 1½ befriedigt worden seien und der Rest aufgestauten Bedarf darstelle.“

7

Vgl. Anm. 7 zu Dok. Nr. 111.

8

Anm. 2 zu Dok. Nr. 56.

9

Der beiliegende Entwurf des RArbM (R 43 I /1457 , S. 349–359) stimmt im Wortlaut mit der am 5.9.32 erlassenen „Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit“ (RGBl. I, S. 433 ) fast völlig überein. Die VO hebt die Verbindlichkeit von Tarifverträgen nicht grundsätzlich auf, ermächtigt aber diejenigen Betriebe, welche die Zahl ihrer Arbeitnehmer in bestimmten Prozentsätzen erhöhen, zu erheblicher Kürzung (10–50%) der „jeweiligen tarifvertraglichen Lohnsätze für die einunddreißigste bis vierzigste Wochenarbeitsstunde“. Sie bestimmt außerdem: „Gefährdet die Erfüllung der dem Arbeitgeber obliegenden tarifvertraglichen Verpflichtungen die Weiterführung eines Betriebes oder seine Wiederaufnahme infolge besonderer, diesen Betrieb betreffender, außerhalb seines Einflusses liegender Umstände, so kann der Schlichter den Arbeitgeber ermächtigen, die tarifvertraglichen Lohn- und Gehaltssätze im bestimmten Umfang [jedoch nicht um mehr als 20%] ohne Änderung des Arbeitsvertrags zu unterschreiten.“

10

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 113.

Extras (Fußzeile):