Text
[1987] Nr. 562
Reparationsbesprechung vom 19. November 1931, 12 Uhr
Anwesend: Brüning; StS Pünder; MinDir. Köpke, Gaus, Ritter, Schwerin v. Krosigk; MinR Berger; RbkDir. Vocke; Protokoll: MinR Vogels.
Der Reichskanzler teilte mit, daß er soeben den amerikanischen Botschafter Sackett empfangen habe1. Dieser habe ihm Mitteilung von einem eingehenden Telegramm des Staatssekretärs Stimson gemacht2. Der wesentliche Inhalt dieses Telegramms sei folgender: Die Stillhalteverhandlungen müßten sofort in Angriff genommen werden. Die amerikanische Regierung erwarte eine Lösung sowohl der Stillhaltefragen wie auch der Reparationsfrage im Lichte der gegenwärtigen Krise. Diese Bemerkung habe er, der Reichskanzler, nur dahin verstehen können, daß Amerika jetzt keine Endlösung betreibe. Nach Ansicht der amerikanischen Regierung sei es unnötig, über die Frage der Ausdehnung der Vollmachten des Beratenden Sonderausschusses zu verhandeln. Der Beratende Sonderausschuß werde in sich selbst die Vollmacht haben, über alle Fragen des Reparationsproblems zu verhandeln. In diesem Sinne habe sich übrigens Ministerpräsident Laval bereits bei seinem Besuch in Washington mit Präsident Hoover geeinigt3. Wenn jetzt zwischen zwei Ländern eine Einigung über eine etwaige Beschränkung der Vollmachten des Beratenden Sonderausschusses vereinbart werden sollte, werde Amerika diese Vereinbarung nicht anerkennen. Für Amerika komme es im Augenblick in erster Linie darauf an, daß die Stillhalteverhandlungen erneut in Gang gesetzt würden. Die Frage der Präferenz der Privatschulden vor den politischen solle nicht diskutiert werden. Präsident Hoover sei auch durchaus damit einverstanden, daß anschließend an die Beratungen des Sonderausschusses eine Regierungskonferenz stattfinde.
Der Reichskanzler führte weiter aus, daß er Herrn Sackett gesagt habe, daß wir im Begriffe stünden, die ausländischen Gläubigergruppen zu den erneuten Stillhalteverhandlungen einzuladen4. Ferner habe er Herrn Sackett auch den Entwurf des deutschen Memorandums an die BIZ inhaltlich mitgeteilt. Herr Sackett habe von diesen Mitteilungen mit Befriedigung Kenntnis genommen. Er habe auch geäußert, daß es keineswegs notwendig ist, sich mit Herrn Flandin über den Wortlaut des Memorandums zu einigen. Die deutsche Regierung brauche sich bezüglich der Umschreibung der terms of reference keine Beschränkungen aufzuerlegen. Als er Herrn Sackett gegenüber bemerkt habe, daß der jetzt von ihm vertretene amerikanische Standpunkt aus dem seinerzeit veröffentlichten Kommuniqué über den Besuch Lavals in Washington nicht habe herausgelesen werden können, habe Sackett[1988] lächelnd erwidert, daß in der Zwischenzeit auch ein sehr starker Druck ausgeübt worden sei.
- 4
Siehe Anm. 7.
Anschließend an diesen Bericht des Herrn Reichskanzlers wurde im allgemeinen Einverständnis beschlossen, das Memorandum nunmehr sofort zur Absendung zu bringen. Dem von Botschafter von Hoesch übermittelten Wunsch Lavals wegen Ergänzung des letzten Satzes des vorletzten Absatzes des Memorandums soll entsprochen werden, so daß der letzte Satz nunmehr heißt: „… daß die Frage der privaten Verschuldung Deutschlands rechtzeitig vor Ende Februar n. Js. neu geregelt sein müsse, und zwar durch eine Vereinbarung, die zwischen ausländischen Gläubigern und deutschen Schuldnern zu treffen ist“5. Im übrigen aber soll Herrn Laval gesagt werden, daß die deutsche Regierung auf weitere Wünsche bezüglich des Memorandums nicht eingehen könne. Ferner soll Herr von Hoesch beauftragt werden, der im Telegramm Nr. 1253 berichteten Auffassung Flandins zu widersprechen, wonach die französische Regierung für sich in Anspruch nimmt, einseitig von dem vereinbarten Wortlaut des Memorandums abzurücken.
Der Reichskanzler übernahm es, Herrn von Hoesch eine entsprechende Instruktion fernmündlich durchzusagen.
Das Telephongespräch mit Herrn von Hoesch wurde anschließend an die Sitzung geführt. Hierüber wurde von Ministerialdirektor Köpke eine besondere Aufzeichnung gefertigt6.
- 6
In diesem Telefongespräch teilte der RK dem Botschafter v. Hoesch mit, daß die RReg. den Formulierungsvorschlag des MinPräs. Laval akzeptiere. Gegen die Äußerung des FM Flandin habe der RK jedoch Bedenken. Nachdem so lange und so eingehend über den Wortlaut des Memorandums verhandelt worden sei und nachdem die RReg. sich den frz. Wünschen vielfach angepaßt hätte, würde es nicht berechtigt sein, wenn die Franzosen etwa offiziell von dem Memorandum abrückten, vielmehr müßte sich auch die frz. Reg. auf der Linie des Memorandums halten. Im übrigen sei es wichtig, daß die amerik. Reg. durch ihren Botschafter habe mitteilen lassen, daß nach ihrer Auffassung die Beratungen des Sonderausschusses den ganzen Young-Plan umfassen müßten. Der RK informierte v. Hoesch darüber, daß mit der Veröffentlichung des Memorandums gleichzeitig die Verhandlungen über die Verlängerung des Stillhalteabkommens eingeleitet werden sollten. Hoesch bestätigte, daß dies jetzt durchaus der Auffassung der frz. Reg. entspreche (Aufzeichnung des MinDir. Köpke vom 19.11.31, R 43 I/331, Bl. 133–136, abgedruckt in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 67). Hoesch entledigte sich noch am selben Tag seines Auftrags (Telegramm Nr. 1261 vom 19.11.31, R 43 I/331, Bl. 137).
Ferner soll gleichzeitig mit der Absendung des Memorandums die Einladung der deutschen Schuldnergruppe an die ausländische Gläubigergruppe zwecks Wiederaufnahme der Stillhalteverhandlungen herausgehen. Geheimrat Vocke übernahm es dieserhalb, das Erforderliche zu veranlassen. Die Tatsache der Absendung des Memorandums und der Einladung für die Stillhalteverhandlungen soll der Presse in einem besonderen Kommuniqué bekannt gegeben werden7. Der Wortlaut[1989] des Memorandums soll veröffentlicht werden, sobald die Übergabe in Basel erfolgt ist8.
- 7
Gleichzeitig mit der Veröffentlichung des dt. Antrags an die BIZ auf Einberufung des Beratenden Sonderausschusses am 19.11.31 hatte der Ausschuß dt. Schuldner die an dem Stillhalteabkommen beteiligten Ausschüsse der ausländischen Gläubiger zu Verhandlungen über die Verlängerung des am 29.2.32 auslaufenden Stillhalteabkommens eingeladen (WTB Nr. 2439 vom 20.11.31, R 43 I/317, Bl. 54). Die New Yorker Banken nahmen diese Einladung am 21.11.31 an (WTB Nr. 2456 vom 22.11.31, R 43 I/317, Bl. 65).
- 8
Der endgültige Text des dt. Memorandums an die BIZ vom 19.11.31 in R 43 I/331, Bl. 144–147, frz. Übersetzung a.a.O., Bl. 148–152. Das Memorandum wurde vom WTB Nr. 2446 am 20.11.31 veröffentlicht (R 43 I/317, Bl. 158; auch in Schultheß 1931, S. 515–517).