Text
Nr. 599
Vermerk des Staatssekretärs Meissner über den Empfang des Reichstagsabgeordneten Göring beim Reichspräsidenten am 11. Dezember 1931
Nachl. Pünder Nr. 197, Bl. 158–161, Abschrift
Geheim.
Der Herr Reichspräsident empfing gestern nachmittag 5 Uhr den Abgeordneten Hauptmann a. D. Göring auf dessen Wunsch zu einer Besprechung, die etwa eine Stunde dauerte1.
Göring gab dem Herrn Reichspräsidenten zugleich im Auftrage von Adolf Hitler die bestimmte Versicherung ab, daß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei sich nur legal betätige und ihre Ziele nur auf legalem Wege verfolge2. Diese Legalitätsversicherung gelte auch für den Fall, daß die Nationalsozialisten in der Regierung säßen, und auch dann, wenn sie etwa allein die Regierung in Händen hätten. Auch dann würden sie unter Beobachtung der Gesetze und der Verfassung legal arbeiten. Das schließe nicht aus, daß sie Gesetze und – mit der verfassungsmäßigen Mehrheit – auch die Verfassung in manchen Bestimmungen ändern würden.
Auf die Frage des Herrn Reichspräsidenten, ob sie ihre Massen auch in der Hand hätten, erwiderte Göring, die Disziplin sei bei ihnen im allgemeinen gut; natürlich gäbe es in der großen Mitgliederzahl und Anhängerschaft der Nationalsozialisten[2092] auch wilde Elemente, temperamentvolle Draufgänger usw., so daß sie für jedes einzelne Wort und jeden einzelnen Mann natürlich nicht garantieren könnten3. Die Führung sei aber bestrebt, diese Elemente zurückzuhalten und rücksichtslos gegen jede Äußerung einzuschreiten, die im Widerspruch mit den Legalitätserklärungen Hitlers sei. Es sind in letzter Zeit scharfe Anweisungen in dieser Richtung ergangen, ebenso ist auch ein Verbot erlassen, daß sich Unter-Führer mit etwaigen Eventualitäten beschäftigen und hierauf gestützt, Anordnungen und Befehle vorsorglich ausarbeiten (wie im Falle Best)4. Auch gegen Best wird eingeschritten werden; die Führung ist bestrebt, alle unzuverlässigen Elemente aus der Partei auszuschließen. Sie hat das im Falle Stennes5 durchgeführt und ist stark genug, alle Leute, die illegale Absichten haben, zu eliminieren. Der im „Vorwärts“ erschienene Bericht über die Rede Strassers in Stuttgart sei falsch6. Strasser habe zwar recht temperamentvoll gesprochen, aber die hier wiedergegebenen blutrünstigen Äußerungen habe er nicht gemacht.
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Vgl. hierzu das Schreiben des PrIM Severing an den RK vom 29.12.31, in dem er sich gegen den Vorwurf des RWeM Groener wehrte, sein StS Abegg gehe darauf aus, die Nationalsozialisten zu gewaltsamen Unternehmungen zu provozieren: „Abgesehen davon, daß ich keinen Beamten in meinem Ministerium dulden würde, der mit den Mitteln des Agent provocateur oder mit ähnlichen Methoden Unruhen herbeizuführen versuchte, liegen mindestens die Absichten nationalsozialistischer Parteigänger zu gewaltsamen Unternehmungen derart klar zutage, daß es auch zur Feststellung dieser Tatsachen keinerlei provokatorischer Maßnahmen durch die Behörden bedarf. Zudem halte ich die Beobachtung und Bekämpfung der radikalen Parteien in den gegenwärtigen Zeitläufen für so wichtig und entscheidend, daß Art und Umfang der erforderlichen behördlichen Maßnahmen zu bestimmen ich mir vorbehalten habe“ (Schreiben mit Sichtparaphe des RK im Nachl. Pünder, Nr. 97, Bl. 280).
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Hitler hatte am 1.4.31 den Obersten SA-Führer Walter Stennes nach längeren Auseinandersetzungen abgesetzt (Schultheß 1931, S. 102).
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Siehe Dok. Nr. 591, Anm. 12. Vgl. auch Schulz, Staat und NSDAP, Dok. Nr. 48, Anm. 5.
Im weiteren Verlauf der Unterhaltung erklärte Göring auf eine Anfrage des Herrn Reichspräsidenten, daß sein Messagero-Interview in der Presse falsch wiedergegeben sei; er habe die den Reichskanzler kränkenden Bemerkungen nicht gemacht und habe den Korrespondenten deshalb auch zur Rede gestellt7.
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Das Messagero-Interview konnte nicht ermittelt werden.
Auf eine Frage des Herrn Reichspräsidenten erklärte Göring, daß die Zeitungsnachrichten über einen bevorstehenden Besuch Hitlers in Rom unrichtig wären8. Hitler habe sich zwar für alle Fälle ein italienisches Visum geben lassen, habe aber nicht die Absicht, in nächster Zeit nach Rom zu fahren.
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Botschafter v. Schubert hatte im Telegramm Nr. 251 am 9.12.31 aus Rom über Hitlers beabsichtigten zweitägigen Besuch in Rom berichtet (R 43 I/2683, Bl. 135), der allerdings wegen Bedenken der ital. Reg. nicht zustande kam.
Im Laufe der Unterhaltung fragte der Herr Reichspräsident, warum die Nationalsozialisten so gegen den Reichskanzler Dr. Brüning Stellung nähmen, und betonte hierbei mit besonderer Wärme, daß er, der Reichspräsident, eine sehr hohe Achtung und Verehrung für Brüning habe. Göring antwortete hierauf, daß auch er eine hohe persönliche Achtung vor dem Charakter und dem guten Willen des Kanzlers hätte, aber politische seien sie Gegner, weil Brüning in zu große Abhängigkeit zur Sozialdemokratie stehe.
[2093] Am Schluß der Unterhaltung versicherte Göring, daß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei durchaus in Verehrung zu dem Herrn Reichspräsidenten stände und eine Wiederwahl oder ein längeres Verbleiben des Herrn Reichspräsidenten im Amte begrüßen würde9. Die Parteiführung hätte übrigens an alle Gaue Deutschlands die strengste Weisung gegeben, daß Belästigungen des Herrn Reichspräsidenten oder Kundgebungen, wie sie der Herr Reichspräsident in der Besprechung mit den Herren Hitler und Göring seinerzeit beklagt habe10, nicht wieder vorkommen dürften, und daß Zuwiderhandlungen gegen diese Anweisung strengstens bestraft würden.
Mit einer Mahnung des Herrn Reichspräsidenten, Ruhe zu halten und auf die Massen in diesem Sinne einzuwirken, schloß die Unterhaltung.
Berlin, den 12. Dezember 1931
gez. Dr. Meissner.