Text
Nr. 234
Tagebuchaufzeichnung des Staatssekretärs a. D. Hans Schäffer vom 26. November 1932
Schäffer-Tagebuch, IfZ ED 93, Bd. 23 a, S. 1010–1011
[Hindenburg wünscht Neubildung der Reichsregierung durch Papen]
[…]
Reiner berichtet, er sei heute früh in der Reichskanzlei gewesen und habe dort erfahren, daß Papen und Schleicher um 9.45 bei dem alten Herrn gewesen seien. Dieser habe Papen gebeten, die Neubildung der Regierung zu übernehmen. Papen habe darauf in längerer Rede, etwa eine Stunde hindurch, dargelegt, warum er dies nicht tun wolle. Nicht nur die Parteien, sondern auch die Wirtschaft sei gegen ihn. Ferner seien auch innerhalb des Kabinetts Stimmen, die glaubten, ohne Papen leichter durchzukommen1. Auch Krosigk soll sich in[1026] diesem Sinn geäußert haben2. Am Ende der Stunde habe der alte Herr ganz traurig gesagt, es bräche ihm das Herz, daß jetzt auch Papen ihn verlassen wolle. Schleicher habe es darauf übernommen, noch einmal mit den Parteiführern, und zwar auch mit den Sozialdemokraten und mit Leipart3 zu verhandeln und ihnen darzulegen, welches Gewicht der alte Herr auf Papen lege und daß es sich darum handle, eine Notregierung über den Winter hinaus zusammenzuhalten. Er wolle ihnen vielleicht auch damit drohen, daß, wenn der alte Herr Papen entließe, er Hitler berufen könne. Ins Arbeitsministerium wolle man jemanden hineinnehmen, der gleichzeitig die Verbindung mit den Sozialisten halten könne. Man denkt an Stegerwald. Dieser wisse aber noch nichts davon. Reiner will mit ihm reden, damit er die Sache nicht ablehnt. Er sollte das nicht als Parteimann, sondern als Fachminister machen. Ebenso will Reiner mit Hilferding reden, damit Breitscheid die Einladung zu Schleicher nicht etwa ablehnt oder sich bei Schleicher schroff benimmt.
Mit Hilferding und Reiner. Reiner erzählt Hilferding von Schleichers Plan, Breitscheid einzuladen. Hilferding erwähnt, daß Breitscheid so verstimmt und pessimistisch aus Hamburg zurückgekommen ist, daß es sehr unwahrscheinlich ist, daß er zu Schleicher gehen wird. Wenn er hingeht, wird er sicher sehr schroff sein. Ich weise darauf hin, wie wichtig es ist, daß die Sozialisten weiter ihre Fühlungen behalten. Wenn sie das nicht tun, dann schalten sie sich selber[1027] aus. Hilferding unterstreicht, daß Breitscheid für so etwas nicht geeignet ist. Er will aber doch mit ihm reden4.
[…]
Fußnoten
- 1
Gemeint ist anscheinend u. a. RM Bracht, der – wie Schwerin v. Krosigk unter dem 27.11.32 in seinem Tagebuch (IfZ ZS/A-20, Bd. 4, Bl. 5) vermerkte – schon zur Ministerbesprechung am 25. 11. (Dok. Nr. 232) „nicht erschienen“ war, nachdem er dem RK mitgeteilt hatte, „daß er an einem neuen Kabinett Papen sich nicht beteiligen könne“. Schwerin v. Krosigk fuhr dann (ebd., Bl. 5) unmittelbar fort: Noch am 25. 11. sei andererseits bekanntgeworden, „daß Papen dem Präsidenten erklärt habe, er könne eine Kabinettsbildung nur übernehmen, wenn Bracht und ich mitmachten. Gleichzeitig verlautete, daß der alte Herr kampfmüde sei und eine Erklärung Papens, daß er ein Kabinett Papen nicht aufstellen könne, mit seinem Rücktritt beantworten werde.“
- 2
Der RFM in seinem Tagebuch hierzu unter dem 27.11.32: Er sei von Freunden und Bekannten gedrängt worden, sich eindeutig gegen Papen und für Schleicher zu entscheiden. „Ich entwarf in später Abendstunde [des 25. 11.] einen Brief an Papen, in dem ich meine Gründe entwickelte, daß er kein neues Kabinett bilden könne, daß hierfür nur Schleicher in Frage käme, schickte den Brief aber nicht ab. Es erschwerte meine Lage noch, daß Werner Alvensleben mich aufsuchte und mir sagte – mit tränenden Augen –, ich hätte es in der Hand, den blutigen Zusammenstoß zwischen nationaler Jugend und Reichswehr zu verhindern, der sei bei einem Kabinett Papen unausbleiblich; meine Weigerung würde das Kabinett verhindern; ich müßte das ‚nein‘ aussprechen, auf die Gefahr hin, daß der alte Herr zurücktrete. Am Sonnabend [26. 11.] war Frühstück bei Papen […]; nach dem Frühstück hatte ich eine längere Aussprache mit Schleicher, der mir auseinandersetzte, daß er in Reserve gehalten werden müsse für den Fall des Belagerungszustandes und daher nicht Kanzler werden könnte. Wir besprachen dann, wer im Kabinett ausscheiden müsse, waren uns über Braun und Schäffer einig, er wollte auch unbedingt Gayl beseitigen und schwankte bei Warmbold, den er sehr schätzte, aber für schwierige Zeiten für zu unentschlossen und theoretisch hielt. Dann sprach ich mit Gayl, der unbedingt für Schleicher’s Ernennung war, weil die doppelte Politik, die von der Wilhelm- und der Bendlerstraße getrieben würde, unerträglich sei. Ich ging dann zu Papen, mit dem ich eine einstündige Aussprache hatte und ihm eingehend darlegte, warum er als Kanzler nicht mehr möglich sei. Meine Offenheit und meine Gründe blieben nicht ohne Eindruck auf ihn. Wir trennten uns sehr freundschaftlich, und er bat mich, meine Ansicht auch dem Sohn Hindenburg darzulegen und zu entwickeln.“ Das geschah, wie Schwerin v. Krosigk an dieser Stelle weiter vermerkt, bei einer „zweistündigen Unterredung“ am Morgen des 27. 11., „die nicht sehr ergiebig war“. Seine „Argumente gegen die Wiederkehr Papens“ seien bei Oskar v. Hindenburg „anscheinend nicht auf fruchtbaren Boden“ gefallen (IfZ ZS/A-20, Bd. 4, Bl. 5–6).
- 3
Die Besprechung Schleichers mit den ADGB-Vorstandsmitgliedern Leipart und Eggert fand am 28. 11. (12 Uhr) statt. Über Verlauf und Ergebnis vgl. den Bericht der beiden Gewerkschaftsführer in der Bürositzung des ADGB vom gleichen Tage (Protokoll der Bürositzung abgedr. bei Emig/ Zimmermann, Das Ende einer Legende, in: IWK 12 (1976), S. 38–40) und das Schreiben Leiparts an Schleicher vom 29.11.32 (Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1921).
- 4
Die Unterredung zwischen Schleicher und Breitscheid soll nach Vogelsang (Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 329) am „27. oder 28. November“ stattgefunden haben. Breitscheid habe dabei versichert, seine Partei werde etwaigen Versuchen, den RT auszuschalten, größten Widerstand entgegensetzen und „auch einem Kabinett Schleicher gegenüber in scharfer Opposition verharren“.