Text
Nr. 463
Aufzeichnung über die Besprechung im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft betr. Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft. 5. März 1930, vormittags1
- 1
Über der Überschrift handschriftlich: „Geheim“.
R 43 I/2542, Bl. 255 f., hier: Bl. 255 f.
Unter dem Vorsitz von Minister Dietrich fand am 5. März eine Besprechung mit Vertretern der Landwirtschaft, Brandes, Schiele, Hermes, Fehr, Hepp, Kutscher, Schlittenbauer u. a., über Maßnahmen gegen die Notlage der landwirtschaftlichen Märkte statt. Übereinstimmend wurden sehr erhebliche Zollerhöhungen für fast alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse gefordert und begründet. Sie wurden für wirksamer gehalten als andere Maßnahmen, insbesondere zur Stützung des Roggenpreises, wie Beimahlungszwang für alles in Deutschland auf den Markt kommende Mehl. Auch andere innerwirtschaftliche Maßnahmen, wie Steigerung des Kartoffelverbrauchs durch die Flockenverwertung und Erhöhung des Brennens von Kartoffeln zur Herstellung von Spiritus, auch[1540] Aufhebung des Spiritusmonopols (Schlittenbauer) spielten gegenüber den Zollerhöhungswünschen eine ziemlich nebensächliche Rolle.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft war mit wesentlichen Vorschlägen der Landwirtschaftsvertreter einverstanden, äußerte sich aber nicht endgültig, da er die Sitzung zur Teilnahme an der Ministerbesprechung verlassen mußte2. Die Beratungen wurden dann im engen Kreise der 4 Führer der Grünen Front unter dem Vorsitz von Staatssekretär Dr. Heukamp und Teilnahme von Dr. Baade3 fortgesetzt.
Dr. Baade führte aus, vordringlich sei vor allem eine rasche und durchgreifende Verbesserung des Getreidemarktes. Es sei unmöglich, ohne sie die Stützungskäufe in der bisherigen Weise fortzusetzen. Insgesamt 400 000 t seien bisher von den beauftragten Gesellschaften gekauft worden. Dadurch habe der Preis des Roggens auf etwa 160 M gehalten werden können, 30–40 M über der gegenwärtigen Ausfuhrparität. In Polen würde der Roggen mit 70–80 M gehandelt. Bis jetzt sei die Existenz der beiden Gesellschaften noch nicht gefährdet4. Die mutmaßlichen Verluste, die bei jeder Tonne Roggen mit etwa 50 M kalkuliert seien, seien durch die Reichsgarantien in Höhe von 20 Millionen RM gedeckt. Jede Tonne aber, die nun noch gekauft würde, bedeute für die beiden Gesellschaften ein ungedecktes Risiko. Werde der innere Wert des Roggens nicht durch gesetzliche Maßnahmen erhöht, so bestehe die Gefahr, daß die Gesellschaften ihren Zahlungspflichten nicht entsprechen könnten. Das müsse in kürzester Zeit abgestellt werden.
- 4
Gemeint sind wohl die Deutsche Getreide-Handelsgesellschaft und die Getreide-Industrie- und Kommissions A.G.
Deswegen sei es erforderlich, innerhalb von 10 bis 14 Tagen ein Notprogramm für die Landwirtschaft im Reichstag zu verabschieden. Es müsse so gestaltet sein, daß es sein Ziel erreiche und Aussicht habe, von den Regierungsparteien angenommen zu werden. Deswegen sei es von allen Forderungen frei zu halten, die nicht unmittelbar die Roggenpreiserhöhung zum Erfolge hätten. Alle anderen Maßnahmen könnten später angestrebt werden.
Es bestand nach eingehender Aussprache Einverständnis darüber, daß das Notprogramm folgende Punkte enthalten solle:
1. | Heraufsetzung der Höchstgrenze des Weizenzolles von 9,50 M auf 15 M. |
2. | Heraufsetzung der Höchstgrenze des Roggenzolles auf 12 M. |
3. | Auch der Gerstenzoll soll beweglich gestaltet, seine Höchstgrenze soll auf 12 M bestimmt werden. Der Regierung bleibt es überlassen, seine Höhe nach der Lage der Verhältnisse zu bestimmen. Sie soll sich nicht nach einem Richtpreise für Gerste oder dem für Roggen bestimmen. |
4. | Erhöhung des Haferzolles auf 12 M. |
5. | Für Mais soll ein Monopol geschaffen werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird ausgearbeitet. Der Maiszoll ist im Vertrage von Jugoslawien gebunden (2,50 M). Der Weltmarktpreis ist stark gesunken. Weitere [1541] erhebliche Ermäßigung ist wahrscheinlich. Dadurch würde die Manipulierung der Preise für Roggen, Gerste und Hafer auf das schwerste gefährdet. |
6. | Erhöhung des Mehlzolles entsprechend den Getreidezöllen. Offen blieb die Frage, ob an der bisherigen Berechnung, anderthalbfacher Getreidezoll + 4,25 M festgehalten oder zu der früheren Berechnung zurückgekehrt werden soll (doppelter Materialzoll + 1,50 M). |
7. | Roggenkleiezoll = der Hälfte des Roggenzolls. |
8. | Malzzoll = 1⅓ des Gerstezolles + 8 M Schutzspanne (bisher 6 M). |
9. | Erhöhung des Zolles für Erbsen und Speisebohnen von 4 auf 12 M. |
Der von den Vertretern der Landwirtschaft geforderten Erhöhung des Zuckerzolles von 25 auf 35 M stimmte Dr. Baade zunächst nicht zu.
Die Einfuhrscheine sollen ihren bisherigen Wert erhalten. Die Landwirtschaft hat erkannt, daß das Verschleudern von Futtermitteln ihrer Viehzucht schadet.
Das Notprogramm soll durch Initiativgesetz im Reichstag eingebracht und gleichzeitig dem Reichsrat mitgeteilt werden.
Die Verhandlungen werden nachmittags ½5 Uhr unter dem Vorsitz des Reichsernährungsministers fortgesetzt5.
F[eßler]