2.115 (bru1p): Nr. 115 Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Besprechung wegen der Kassenlage. 22. September 1930, 11 Uhr

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[432] Nr. 115
Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Besprechung wegen der Kassenlage. 22. September 1930, 11 Uhr

R 43 I /2366 , Bl. 139–140

[…]

Im Anschluß an die Besprechung über den Generalrat der Reichsbank1 fand eine Besprechung über die Kassenlage der Reichsregierung statt, an der sich der Reichsminister der Finanzen, der Reichsbankpräsident Dr. Luther und die Staatssekretäre Dr. Pünder und Dr. Schäffer beteiligten. Der Reichskanzler war zeitweilig durch Vortrag beim Herrn Reichspräsidenten an der Teilnahme verhindert.

1

In dieser Besprechung sollte über die Wahl von drei Mitgliedern des RbkGeneralrats entschieden werden. RbkPräs. Luther hatte als Kandidaten den RbkVPräs. Dreyse und die Bankiers Henry Nathan (Dresdner Bank) und Jakob Goldschmidt (Danatbank) vorgeschlagen. Auf Vorschlag des StS Schäffer war die Besetzung des Generalrats bis zur Verabschiedung des Golddiskontbankgesetzes und der Änderung des RbkGes. durch den RT aufgeschoben worden, um politische Angriffe gegen die Vertreter der Großbanken zu vermeiden (Vermerk Feßlers vom 22.9.30 in R 43 I /637 , Bl. 153–154). Am 29. 9. wurden Dreyse, der Präs. der Landwirtschaftskammer Pommern, v. Flemming, und der Fabrikant Müller (Oerlinghausen) in den Generalrat gewählt (Mitteilung Luthers an den RK vom 1.10.30, R 43 I /637 , Bl. 156).

Staatssekretär Dr. Schäffer begründete eingehend seinen Vorschlag, alsbald mit dem Auslande über eine Anleihe von 100 bis 125 Millionen Dollar in Verbindung zu treten2. Die erhöhten Aufwendungen und die verringerten Eingänge der Einnahmen nötigten dazu, mit einem Defizit von 580 Millionen bis 1. Januar 1931 und von weiteren 245 Millionen bis 1. April 1931 zu rechnen. Zur Deckung dieses Defizits sollten bis 1. Januar 200 Millionen Schatzanweisungen und, wenn möglich, noch weitere 80 Millionen verwendet werden.

2

StS Schäffer hatte am 12. 9. dem RbkPräs. vorgeschlagen, wegen eines Überbrückungskredits mit dem New Yorker Bankhaus Lee, Higginson in Verbindung zu treten. Das Bankhaus hätte im August 1930 durch seinen Vertreter Murnane seine Bereitschaft erklärt, dem Reich einen Kredit von 100 Mio $ einzuräumen (Aufzeichnung Schäffers vom 12.9.30 über eine Besprechung mit Luther und Dreyse: R 2 /3784 , Bl. 12–16).

Weiter sollen die Post 50 Millionen, die Bau- und Bodenbank 25 Millionen, die Angestelltenversicherung 100 Millionen, letztere gegen Verpfändung von Reichsbahn-Vorzugsaktien, zur Deckung des Defizits abgeben, so daß dann noch bis 1. Januar ein Fehlbetrag von 125 Millionen verbleiben würde. Für die Zeit vom Januar bis März werde aus Schatzanweisungen ein Betrag von 125 Millionen flüssig gemacht werden können, so daß dann noch ein weiteres Defizit von 130 Millionen verbleibt. Insgesamt betrage dann also das Defizit 255 Millionen RM.

Aus dieser Lage rechtfertige sich der Vorschlag, den 500-Millionen-Kredit3 aufzunehmen. Er solle vom 1. April 1931 an in 18 Monaten zurückgezahlt werden. Hierfür sei an die Aufsammlung eines entsprechenden Fonds gedacht, der gleichzeitig auch zur Abdeckung der schwebenden Schuld im Innern bestimmt[433] sei. Bessere sich die innere Wirtschaftslage, so solle aus dem Fonds in erster Linie diese innere Schuld abgedeckt werden. Jedenfalls müsse daraus der Auslandskredit rechtzeitig zurückzuzahlen sein.

3

Gemeint ist der 125 Mio-$-Kredit.

Trotz des Mißtrauens des Auslandes halte er es doch für möglich, den Kredit zu erhalten, allerdings werde wohl darüber hinaus keine weitere Darlehensaufnahme im Auslande in absehbarer Zeit möglich sein.

Der Reichsbankpräsident hielt die geforderte Summe für recht erheblich. Das Ausland habe dem Reich in letzter Zeit keine neuen Kreditangebote mehr gemacht. Es werde sehr schwer werden, den neuen Etat zu balancieren. Mit einem Defizit für diesen von etwa 1 Milliarde werde wohl gerechnet werden müssen, allerdings unter Hinzunahme der neuen beabsichtigten Verpflichtung.

Die Gläubiger würden mit Recht verlangen, daß sie über die Etatslage genau unterrichtet würden.

Es dürfte zweckmäßig sein, den neuen Reichstag alsbald über den ganzen Ernst der Lage ins Bild zu setzen, etwa durch eine große Rede des Reichskanzlers bei der Einbringung im Reichsrat. Allerdings würde dann der Reichstag noch vor keine Entscheidung gestellt werden. Deswegen sei der Vorschlag zweckmäßig, ein Gesetz über die Abdeckung des beabsichtigten Kredits sofort beim Zusammentritt des Reichstags vorzulegen und auf die Priorität der Abstimmung über dieses Gesetz vor der Abstimmung über den zu erwartenden Mißtrauensantrag gegen die Regierung und den Antrag auf Aufhebung der Notverordnung zu dringen4.

4

Vgl. dazu Dok. Nr. 116, P. 1 und 2.

Auch der Reichsminister der Finanzen hielt diesen Vorschlag für zweckmäßig. Er stellte in Aussicht, daß der Etat rechtzeitig fertiggestellt und dem Reichsrat zugeleitet würde. Gleichzeitig könnten die Parteiführer unterrichtet werden. Der Etat müsse auf jeden Fall balancieren. Vor einer starken Kürzung der Beamtengehälter – bei den Ministern um etwa 30%, bei den oberen Beamten um 10%, bei den anderen Gruppen um 5–6% – dürfe nötigenfalls nicht zurückgeschreckt werden5. Das Ausland müsse sehen, daß alles geschehe, um den Etat auszugleichen. Inwieweit auf den Außendienst gewisse Rücksichten genommen werden könnten, müsse noch geprüft werden.

5

Zum Gehaltskürzungsgesetz s. Dok. Nr. 157, P. 1.

Der Reichsbankpräsident regte noch zur Beruhigung des Auslandes an, in geeigneter Form darauf hinzuweisen, daß mit einer gewissen Arbeitsfähigkeit der Rechten gerechnet werden könne. Eine große Partei sei in der Opposition nicht so beweglich wie eine kleine. Aus Gedankengängen dieser Art erwarte er eine günstige Wirkung im Auslande, das vor allen Dingen durch die Unsicherheit der weiteren Entwicklung in Deutschland beunruhigt sei.

Der Reichskanzler wurde nach seiner Rückkehr von Staatssekretär Dr. Pünder über das bisherige Ergebnis der Verhandlungen unterrichtet. Er machte noch einige Ausführungen politischer Art.

Schließlich bestand Einvernehmen darüber, daß das Reichsfinanzministerium den Reichsbankpräsidenten schriftlich ersucht, alsbald in Verhandlungen mit ausländischen Geldgebern über die Gewährung einer Anleihe von 100 bis[434] 125 Millionen Dollar, rückzahlbar nach zwei Jahren, einzutreten6 und daß auf Grund eines Kabinettsbeschlusses der Entwurf eines Abdeckungsgesetzes für diese Anleihe vorbereitet wird. Der Reichsbankpräsident wird bei seinen Verhandlungen mit dem Auslande auf die Absicht Bezug nehmen, daß das Abdeckungsgesetz von der Reichsregierung dem Reichsrat und Reichstag beschleunigt zugeleitet werden wird.

6

S. Dok. Nr. 116, Anm. 9.

F[eßler].

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