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[1) Vorgehen gegen rechtsradikale Organisationen]
Minister Severing: Bereits in der letzten Sitzung habe ich Besprechung über gewisse Sonderorganisationen als notwendig bezeichnet3. Jetzt umso notwendiger, als in einem Teil der Koalitionspresse mir Vorwürfe gemacht werden, so in der „National-Liberalen Korrespondenz“ und in der „Zeit“ infolge des Übereinkommens zwischen der Reichsregierung und der Preußischen Regierung4. Im Januar5 wurden Mitteilungen über die Durchführung dieses Abkommens nötig, die auf der militärischen Seite von den Wehrkreiskommandos, auf der anderen Seite durch die Oberpräsidenten vorgenommen wurden6. Das ging nicht überall widerspruchslos, besonders da nicht, wo die Verbindung der Reichswehr mit Selbstschutzvereinigungen offenkundig war. Die Vertreter der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei wurden in Schleswig-Holstein und Schlesien mißtrauisch und wandten sich an die Reichstagsfraktion mit dem Ersuchen um Besprechung. Dann Benehmen mit Reichswehrminister und Erörterung zwischen der Reichsregierung und Staatsregierung. „Rote Fahne“ sprach von Hehlern des Seeckt-Putsches und bezichtigte mich und Reichstagsfraktion7. Auf dieses hin bat Vorsitzender der Landtagsfraktion8, am nächsten Tag Erklärung im Landtag abzugeben. Ich habe das abgewiesen. Dann große Anfrage im Landtag9. Auf Wahl des Zeitpunktes nahm ich keinerlei Einfluß. Inzwischen mehrten sich Anzeichen, daß die Selbstschutzvereinigungen zu[335] großem Schlag ausholten. Das machte das Auswärtige Amt ängstlich, daß öffentliche Verhandlungen die Interessen des Reichs schädigen könnten. Herr v. Rosenberg wirkte mittelbar und dann unmittelbar auf mich ein zu erklären, ich sei nicht mehr in der Lage, die große Anfrage zu beantworten. Das schien mir sehr bedenklich. Wenn ich nach Verhaftung von Rossbach10 das erklärt hätte, würde Mißtrauen und Durcheinander noch größer geworden sein. Ich sagte Herrn v. Rosenberg am letzten Tag, als er sich an mich wandte, daß er mir am Abend des Verhandlungstages sicher recht geben werde. Im Landtag habe ich durchaus nicht Material preisgegeben, sondern nur Stichproben gegeben11. Nun lief diese Aktion gegen die Deutsch-Völkischen – das war das Pech – parallel mit der parlamentarischen Aktion12. Da ich im Landtag wenig gesagt habe, was die Gefährlichkeit der Deutsch-Völkischen in der Öffentlichkeit erkennen ließ, wurde mir der Vorwurf sensationeller Aufmachung gemacht, bei der nichts herausgekommen sei.
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Über die Staatsministerialsitzung vom 20. 3. findet sich eine kurze Aufzeichnung Wevers in R 43 I/2286, Bl. 6, in der eine entsprechende Äußerung Severings aber nicht vermerkt ist.
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Bezieht sich offenbar auf das Geßler-Severing-Abkommen vom 30.1.23 (Dok. Nr. 61).
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Muß heißen: „Februar“.
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S. dazu Anm. 3 zu Dok. Nr. 61.
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In dem Artikel „Die Hehler des Seeckt-Putsches“ vom 15.3.23. Severing zitiert daraus in seiner LT-Rede am 23. 3. (LT-Protokolle, Bd. 12, Sp. 16208 f.).
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Ernst Heilmann (SPD).
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Große Anfrage Nr. 201 der Abg. Limbertz u. Gen. über die Selbstschutzorganisationen, Drucks. Nr. 4918 des PrLT.
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Am 17. März.
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Rede Severings vor dem PrLT am 23. 3. in LT-Protokolle, Bd. 12, Sp. 16206 – 16224; auch in R 43 I/2678, Bl. 157-181.
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Am 22. 3. führte die Abt. I a der Berliner Polizei aufgrund des dringenden Verdachts hochverräterischer Umtriebe eine Haussuchung in der Geschäftsstelle der DVF durch, bei der sie umfangreiches Material beschlagnahmte. Zugleich wurden einige Funktionäre der Partei verhaftet. Das Verbot der DVF in Preußen erfolgte am 23. 3. (Ministerialblatt des PrIMin. 1923, S. 330).
In der Woche vor der Verhandlung erhielt ich Kenntnis, daß Rossbach in Wannsee Offiziere aller Reichsteile versammeln wolle, daß in Oberschlesien einige Leute mit Mordanschlägen auf mich und andere umgingen; keine Beachtung; wichtiger, daß Rossbach am 17. die Versammlung halten wollte, am selben Tage, an dem Versammlungen in Schlesien sein sollten. Ich habe veranlaßt, daß die Versammlung umstellt und die Personalien festgestellt wurden. Anwesend: einige Reichswehroffiziere, nicht nur aus Potsdam, sondern auch Mecklenburg, einige Unteroffiziere und Mannschaften, 15 – 20 Zivilisten13. Rossbach wurde festgenommen, bei den anderen die Personalien festgestellt. Zu gleicher Zeit Verhaftungen in Oberschlesien und Niederschlesien, dabei Material, das die Gefährlichkeit der Organisation Rossbach und der Deutsch-Völkischen in hellstem Licht erstrahlen ließ. Kurze Schilderung der Versammlung in Wannsee. Rossbach unterhielt in Brandenburg und Schlesien Arbeitsgemeinschaften, die den Zweck haben, den früheren Freikorps-Mitgliedern Arbeitsstellen zu schaffen. Ein früherer Oberleutnant Müller unterhielt Arbeitsgemeinschaften in Pommern. Zwei Kriminalbeamten, die dort als angebliche Arbeitslose eintraten, erklärte er, daß sie auf dem Gute des Grafen Finkenstein untergebracht werden sollten; sie würden aber wahrscheinlich nicht lange als Landarbeiter tätig sein, höchstens bis Mitte April, dann ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt werden, der Auseinandersetzung mit Frankreich, die[336] von uns in Szene gesetzt werde. Seiner Arbeitsgemeinschaft sei die Aufgabe gestellt, im Hinterland tätig zu sein, um den sozialistischen Dolchstoß abzufangen; dann allgemeine Wehrpflicht usw. Bisher habe es an Geld gefehlt, jetzt soviel, daß er überall herumreisen und organisieren könne. Im Kreise seien 12 Kaffeemühlen (MG) und 15 000 Bohnenstangen (Gewehre). Das genüge aber nicht für den Ernstfall. Müller erwähnte auch seine Verbindungen mit O. C.14; die Landjägerei und die Kreisbehörden arbeiteten mit ihm Hand in Hand.
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In der Stellungnahme des RWeMin. heißt es dazu: „Der PrIM, der bereits seit Tagen wußte, daß Rossbach am 17. eine Versammlung mit Offizieren plante, hat es unterlassen, dem RWeM irgendeine Mitteilung darüber zu machen. Außer Rittmeister Müller-Hickler nahmen zwei Leutnants, je einer aus Stolp und Rostock, und 21 Mann teil (keine Unteroffiziere), von diesen 15 aus Potsdam. Diese Offiziere und Leute kannten Rossbach z. T. von früher, z. T. waren sie von anderen unter dem Vorwand einer Geburtstagsfeier zu der Versammlung verlockt worden.“ (R 43 I/2678, Bl. 278-280).
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Organisation Consul.
Die Erklärung der 3 völkischen Reichstagsabgeordneten ist vollendete politische Heuchelei15. Die Deutsch-Völkische Freiheitspartei ist nur der parlamentarische Mantel einer Verschwörung. Organisationsplan: Aktionsausschuß 3 B; die Erläuterungen dazu16. Militärischer Charakter geht auch daraus hervor, daß Chiffer und Geheimsprachen vorhanden sind. Streng vertrauliches Rundschreiben aus Wien17: „Um möglichst unauffälligen Depeschenwechsel zwischen Wien, Passau, Leipzig, München, Königsberg zu ermöglichen, wird um Anwendung des folgenden Schlüssels gebeten.“ Dann kommen Namen, darunter Oberst Bauer gleich Bernhard. Ferner Decksprache: „Wann kann Paket (= Mobilmachung) abgeschickt werden? Wie schwer ist Paket?“ Das wurde in Breslau bei einem Mann gefunden, der als Vertreter des Generals Höfer für den Fall genannt wurde, daß die Selbstschutzvereinigungen gegen den Willen des Generals aufgestellt würden. Ich habe sehr bedauert, daß Reichswehroffiziere nach Wannsee geschickt wurden. Ich habe die Besorgnis, daß, wenn nicht die Polizei die Namen festgestellt hätte, ich davon nichts erfahren hätte. Die Offiziere wären zurückgekehrt, und es wäre alles ruhig gewesen. Es wäre Pflicht des Kommissars [richtig: Kommandeur] gewesen, den Agenten hinauszuwerfen18.
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Erklärung v. Graefes vor dem RT in RT-Bd. 359, S. 10429 und 10431.
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Das in Wulles Schreibtisch gefundene Organisationsschema der DVF weist ein besonderes Aktionsbüro III b aus, zu dem folgende Erläuterung gegeben ist: „Das Aktionsbüro III b ist ausgesprochen militärischer Natur und bearbeitet alle Fragen, die die militärische Seite eines bewaffneten Umsturzes oder eines Bürgerkrieges betreffen. Seine besondere Aufgabe wird es sein, aus den vorhandenen bzw. aufgelösten militärischen Verbänden im Rahmen der Partei eine militärisch organisierte Macht zu bilden und für deren Bewaffnung wie für ihre geeignete Führung Sorge zu tragen. Um diese Aufgabe nach außen hin zu verdecken, wird das Aktionsbüro offiziell die Organisierung eines sogen. Saalschutzes übernehmen und darüber hinaus auch der Frage des Schutzes von Arbeitswilligen gegen Streikterror, der Technischen Nothilfe usw. seine Aufmerksamkeit zuwenden. Das Büro untersteht der Leitung eines Offiziers und beschäftigt ausschließlich gediente, als verläßlich erprobte Leute.“ (Aufzeichnung einer Besprechung mit Severing in der Rkei vom 25. 3. in R 43 I/2678, Bl. 196-203, hier: Bl. 199f).
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Vgl. dazu auch die Ausführungen Scheidemanns vor dem RT am 12. 5. (RT-Bd. 360, S. 11008).
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Nach den Angaben des RWeMin. hatte am 16. 3. ein Beauftragter Rossbachs dem Kommandeur des Inf.-Reg. 6 in Schwerin, Major Bührmann, erklärt, der Bürgerkrieg stehe unmittelbar bevor. Zur Orientierung über die Lage durch Rossbach möge er Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften am 17. 3. zur Versammlung nach Wannsee entsenden. Major Bührmann habe abgelehnt und vor jeder Unternehmung gegen die Staatsgewalt und die Verfassung gewarnt; den am 16. auf Urlaub nach Berlin fahrenden Oblt. v. Lützow habe er beauftragt, dem RWeMin. von der Versammlung Mitteilung zu machen. Rossbachs Beauftragter habe sich am 16. 3. mit demselben Anliegen zum Kommandeur des Reiter-Reg. 14 nach Ludwigslust begeben, der die Entsendung von UOffz. und Mannschaften nach Wannsee aber ebenfalls abgelehnt, dagegen die Entsendung eines Off. in Aussicht gestellt habe. Am 17. 3. morgens habe er dann von Major Bührmann erfahren, daß Oblt. v. Lützow das RWeMin. orientieren würde und habe daraufhin seinen Adjutanten, Rittmeister Müller-Hickler, zur Versammlung geschickt. Am 17. 3. mittags habe das RWeMin. durch v. Lützow von der Versammlung in Wannsee erfahren, nachdem das PrIMin. ihm keinerlei Mitteilung davon gemacht hatte. Die Verdächtigungen Severings weist v. Schleicher als völlig grundlos zurück. Im übrigen würde das RWeMin. gegen die Off. und Mannschaften, die sich auf eigene Faust mit Rossbach eingelassen hätten, entsprechend einschreiten., R 43 I/2678, Bl. 278-280 Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf Seeckts Tagesbefehl vom 23. 3. (Dok. Nr. 102).
[337] Kurse für Studenten wurden abgehalten in Königsberg, Breslau, Münster, Tübingen usw., bis ich dem Reichswehrminister vor einigen Wochen sagte, daß ich die Offiziere verhaften ließe. Der Oberpräsident in Münster19 sagte mir, daß dies auch den Arbeitern bekannt wäre und die Einheitsfront darunter nicht aufrecht zu erhalten sei. Leider werden diese Übungen noch fortgesetzt. Der Oberpräsident von Münster berichtet mir heute aus Osterode, daß ein Herr Aalemann dort solche Kurse einrichtete. Dieser Aalemann ist der militärische Führer der Deutsch-Völkischen Freiheitspartei in Hannover. Er erklärt, er sei Vertrauensmann des Reichswehrministers. Vom Regierungspräsidenten in Potsdam20 kam heute eingehender Bericht: Im Kreise Jüterbog würden Unterschriften junger Leute gesammelt, daß sie im Falle eines fremden Angriffs zu den Waffen zu greifen sich verpflichteten. Ein Leutnant Lehmann bildete in Jüterbog, angeblich im Auftrage des Reichswehrministers, Mannschaften beim Artillerie-Regiment 3 aus. Er empfange seine Geheimbefehle von der Division in Berlin. Er habe in einem Ausbildungskursus 100 Bauernsöhne und Studenten vereinigt und mit Maschinengewehren soweit vorbereitet, daß sie im Ernstfall, d. h. bei Angriff einer fremden Macht, in kurzer Zeit brauchbare Soldaten seien. In der nächsten Woche neuer Kursus. Im Kreise Teltow mustere ein Herr von Albert, angeblich als Vertrauensmann des Reichswehrministers, junge Leute. Rossbach organisiere Hundertschaften, die in den letzten Wochen in Döberitz, Kaulsdorf usw. unter Leitung ehemaliger Militärs übten. Die Hundertschaften hießen Turnerschaften. Turnerschaft Heier usw., Deutschvölkischer Soldatenbund, Vorsitzende dieselben, wie die des aufgelösten Verbandes nationalgesinnter Soldaten. Es war also höchste Zeit21.
- 19
Gronowski.
- 20
Dr. Maier.
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Zu diesem Abschnitt bemerkt das RWeMin. am 31. 3.: „Der Minister Severing operiert ferner mit der Behauptung, daß in den verschiedensten Vereinigungen eine militärische Ausbildung, Schießen pp. der Mitglieder stattfände und leitet daraus das Recht her, schärfste Angriffe gegen die Zuverlässigkeit der Reichswehr zu erheben. Demgegenüber muß betont werden, daß es für das RWeMin. eine völlige Unmöglichkeit ist, dem Auftrage der RReg., eine personelle Verstärkung des Heeres vorzubereiten, nachzukommen, wenn es ihm nicht erlaubt sein soll, auf politisch völlig neutralem Boden durch Geländegänge, Kleinkaliberschießen und ähnliches zur körperlichen Ertüchtigung und Wehrhafterhaltung der deutschen Jugend beizutragen. Es dürfte dem Minister Severing schwer sein nachzuweisen, daß die Reichswehr bei diesen Bestrebungen nicht durchaus loyal vorgegangen ist. Lediglich außenpolitische Zwecke sind für das Verhalten der Reichswehr maßgebend gewesen; nur parteipolitische Verblendung kann dieser Arbeit der Reichswehr eine innerpolitische, womöglich gar der jetzigen Staatsform gefährliche Bedeutung beilegen.“
Ich habe Bekämpfung der Kommunisten nicht für minder wichtig betrachtet. Ich habe vor einigen Wochen [7. 3.] im Hauptausschuß des Landtages erklärt, daß, sobald die Gemeindewahlen in Suhl vorüber seien, durch starke Schupo aufgeräumt werde. Ähnlich wie im Frühjahr 1921 in Mannsfeld usw. ganzer Spuk der proletarischen Hundertschaften im preußischen Mitteldeutschland verflogen22.[338] Ich denke nicht daran, das ganze Material zu veröffentlichen, insbesondere die Reichswehr heranzuziehen. Aus dem Material geht hervor, daß die Reichswehr bis Dezember in innigster Verbindung mit diesen Organisationen stand. Ich habe weiter noch nicht die Überzeugung, daß diese Verbindungen gelöst sind. Ich habe den Reichswehrminister am 9. März gebeten, kombinierte Sitzung herbeizuführen, er wie ich müsse Klarheit haben23. Ist das Kabinett der Meinung, daß dem passiven Widerstand ein aktiver folgen muß? Das kann ruhig in aller Gründlichkeit erörtert werden; denn ich bin der letzte, der Schwierigkeiten macht. Solange aber das Reichskabinett durch die berufensten Vertreter erklärt, daß es Wahnsinn wäre, den Kampfmitteln der Franzosen mit Widerstand entgegenzutreten, haben wir alle Veranlassung, die Beratungen einzustellen. Das habe ich getan, und ich glaube, daß ich die Zustimmung des Kabinetts finde. Ich habe am Freitag [23. 3.] das Material dem Oberreichsanwalt24 zugeleitet und alles weiter einlaufende Material wird a tempo dorthin weitergegeben.
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Zur Niederschlagung der kommunistischen Aufstände in Mitteldeutschland Ende März 1921 s. Schultheß 1921, Bd. I, S. 105 ff.
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In der Ministerbesprechung vom 12. 3. hatte der RWeM diese Frage angesprochen (s. Dok. Nr. 97). Am 8. 4. kommt es zu einer Besprechung zwischen Cuno, Geßler, Oeser, Heinze, Hamm, Severing und v. Richter (s. Anm. 2 zu Dok. Nr. 117). Am 12. 4. findet schließlich auch eine gemeinsame Sitzung des RKab. mit dem pr. Kabinett statt, doch war darüber ein Protokoll in R 43 I nicht zu ermitteln.
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Ebermeyer.
Finanzminister v. Richter: Wir haben wohl den Eindruck, daß ganz außerordentlich ernste Dinge passiert sind und noch hätten passieren können, wenn nicht mit Energie [durchgegriffen worden wäre]. Dem stimme ich zu. Wenn ich einen Wunsch gehabt hätte, ist es der, daß der Innenminister die Freundlichkeit gehabt hätte, vor 8 Tagen uns näher zu unterrichten. Wir hätten dann der Fraktion und Presse Aufklärung geben können, daß die Untersuchung ein belastendes Material ergeben habe und daß es höchst unerwünscht wäre, wenn sich Bemerkungen an das Vorgehen knüpften, wie vorgekommen25. Rätselhaft ist das geradezu naive Verhalten der Kommandeure der Reichswehr. Der Kommandeur hätte die Tür weisen müssen. Im übrigen müssen wir die gerichtliche Untersuchung abwarten. Große Gefahr besteht, daß das Vertrauen, das die Reichswehr auch bei der Arbeiterschaft braucht, aufs Schwerste erschüttert wird. Entscheidung über Kampf und Nichtkampf nicht von irgendwelchen Unberufenen, sondern nur von den Verantwortlichen26 – Reichsregierung und[339] Reichswehrminister müssen mit aller Schärfe einsetzen. Ich würde eine gemeinsame Sitzung sehr dankbar begrüßen27.
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In der Presse war vielfach der Verdacht geäußert worden, Severings Einschreiten gegen die Deutsch-Völkischen sei ohne Billigung des pr. Kabinetts und gegen den Willen des RK erfolgt (Pressebelege in R 43 I/2678, Bl. 182-195).
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In der Stellungnahme des RWeMin. heißt es zu dieser Frage: „Für das RWeMin. hat es sich niemals darum gehandelt zu entscheiden, ob ‚dem passiven Widerstand ein aktiver folgen solle oder nicht‘, ebenso enthalten die Worte auf S. 9 ‚Die Entscheidung über Kampf und Nichtkampf dürfe nicht von irgendwelchen Unberufenen, sondern nur von den Verantwortlichen getroffen werden‘ in ihrem Zusammenhang eine Beschuldigung der Reichswehr, die völlig danebenschlägt. Der RWeM hatte lediglich vom RKab. den Auftrag erhalten, die für den Fall eines etwaigen Widerstandes erforderlichen Vorbereitungen zu treffen. Nach dieser Richtlinie ist in loyalster und offenster Weise mit der preuß. und einigen anderen Landesregierungen verhandelt worden. Das Ergebnis war das Abkommen vom 30.1.1923 zwischen dem RWeM und Minister Severing [Dok. Nr. 61]. Es ist unrichtig, daß diese Vereinbarung infolge Verschuldens der Reichswehr, insbesondere infolge deren Verbindung mit Selbstschutzorganisationen (S. 1) nicht zur Durchführung kommen konnte. Im Gegenteil muß festgestellt werden, daß Ende Februar fast alle Wehrkreise meldeten, die von ihnen in Ausführung des Abkommens unternommenen Schritte zur Verbindungnahme mit den OPräs. scheiterten daran, daß diese kürzlich vom PrIM Weisung erhalten hätten, die Abmachung als ungültig zu betrachten, jede Zusammenarbeit mit der Reichswehr in Sachen Landesschutz abzulehnen und gegen alle Organisationen sowie in der Waffenfrage aufs schärfste vorzugehen.“
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Zur Stellungnahme v. Richters bemerkt v. Schleicher in seinem Schreiben an Hamm vom 31. 3.: „Aus dem Bericht über die preußische Kabinettssitzung war mir, wie ich noch besonders bemerken muß, in hohem Maße erstaunlich die Stellungnahme, die der Finanzminister von Richter eingenommen hat. Ich kenne eine ganze Anzahl von Abgeordneten der Deutschen Volkspartei, die wenig entzückt sein würden über die Art, in der Herr von Richter in die Hetze gegen die Reichswehr einzustimmen beliebte.“ (R 43 I/2678, Bl. 275).
Minister Severing: Ich habe die Sache nicht als Ressortsache betrachtet. Mitteilungen in der letzten Sitzung leider wegen Zeitablaufs unmöglich. Ich habe versprochen, daß ich Mitteilungen zu machen hätte. Verweist auf Schreiben an Reichswehrminister vom 9. März28.
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In R 43 I nicht ermittelt.
Minister Hirtsiefer: Dringender Wunsch nach Besprechung mit Reichskabinett. Große Beunruhigung bis weit in die Kreise der christlichen Arbeiterschaft. Es wird dort gesagt, daß ein Stoß gegen die Regierung Cuno beabsichtigt ist. Daß das nicht der Fall ist, sei bewiesen. Jetzt muß durch Verlautbarung der Reichsregierung klargestellt werden, daß das nicht der Fall ist, daß das Vorgehen durchaus im Interesse des Staates und der außenpolitischen Lage ist. Das würde an der Ruhr wesentlich beruhigen.
Staatssekretär Hamm: Reichskanzler teilt den Wunsch nach gemeinsamer Besprechung und Fühlung über gemeinsame Angelegenheiten29. Die Reichsregierung sei selbstverständlich auch der Meinung, daß Entscheidung über Kampf nicht von Unberufenen ausgehen und vorweggenommen werden dürfe. Dem gelte das Bemühen der Reichsregierung. Gemeinsame Besprechung über innenpolitische Lage und enge Fühlung der Regierungen dem Reichskanzler auch da erwünscht, wo es sich wie bei Auflösung einer Reichspartei um eine dem ganzen Reiche gemeinsame Sache handele. Auch Reichskanzler und Reichsregierung sind der Meinung, daß gegen Rossbach und ähnliche Schädlinge, die in die Reichswehr eindringen und das Verhältnis zwischen dieser und dem Volke stören, rücksichtslos vorgegangen werden müsse. Das Verhalten der Kommandeure sei aber doch in anderem Sinne aufzufassen. Die Kommandeure haben Vertrauensmänner in die Verhandlungen geschickt, durch deren Bericht ist das Wesentliche bekanntgeworden. Rossbach sagte, worauf es ankommt, nur den Offizieren. Man würde nicht verkennen, daß das Verhältnis der Reichswehr zu Staat und Verfassung auf bestem Wege sei. So sehr gegen Schädlinge der genannten Art vorzugehen sei, ebensowohl sei zu überlegen ein so weittragender Schritt wie das Verbot einer ganzen Reichspartei. Jedenfalls müsse nun die[340] Entscheidung des Staatsgerichtshofes beschleunigt werden. Der Reichskanzler hatte die Hoffnung, daß auch auf dem rechten Flügel allmählich eine gewisse Ruhe erzielt werden könne und Ruhehalten nicht durch polizeiliche Repression, sondern auch von innen heraus gesichert werden könne. Namentlich im Zusammenhange mit dem Ruhreinbruch sei doch auch von radikalen, zu Aktivität geneigten Kreisen Verzicht auf Torheiten zu erhoffen gewesen. Wichtiger aber sei für die Reichsregierung, daß in breiten Kreisen nicht der Glaube entstehe, der Staat gehe einseitig nur gegen äußerste Rechte vor. Wenn die Deutsch-völkische Freiheitspartei militärische Vorbereitungen zum Wesen der Partei gemacht habe, so sei bei der kommunistischen Partei die Bildung von Arbeiterwehren doch auch nicht örtlich zufällig Angeflogenes. Bei solcher Betrachtung liege die Frage nahe, warum nicht auch gegenüber der kommunistischen Gefahr nicht nur mit Unterdrückung von Einzelerscheinungen, sondern mit Maßnahmen gegen die Partei als solche vorgegangen werde. Es sei dringend erwünscht, über diese Frage als Grundfrage der Politik Verständigung zu suchen. Jedenfalls müsse die Reichsregierung Wert darauf legen, daß nicht der Eindruck ungleichen Maßes entstehe30.
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In einem nicht ausgefertigten Briefentwurf des RK an MinPräs. Braun heißt es: „Zu meinem tiefen Bedauern verbietet mir mein Gesundheitszustand diejenige eingehende mündliche Aussprache mit Ihnen, zu der ich mich bei der gegenwärtigen innerpolitischen Lage gedrängt und verpflichtet fühle.“ (R 43 I/1313, Bl. 74 f.). Der RK war unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Stuttgart am 24. 3. erkrankt.
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Im Briefentwurf an Braun erklärt Cuno: „Ich habe den Eindruck, daß in der Tat, zuvörderst natürlich unter dem Eindruck der schweren Bedrohung des Vaterlandes im Ruhrgebiet, dann aber doch wohl auch zufolge der ruhigen Führung der Geschäfte in diesem Sinne, sich über die Parteigegensätze hinaus ein gewisses Vertrauensverhältnis anbahnte, das auch Gegensätze zu den Kreisen der Rechten zu mildern und selbst auf die ganz rechtsstehenden Kreise im Sinne der Mäßigung einzuwirken begann. […] Will man diesen Weg gehen, so setzt das aber voraus, daß in allen Kreisen der Bevölkerung die Überzeugung sicherer, völlig gleichmäßiger Gerechtigkeit und ruhig waltender Staatsführung besteht. Ich kann mich schwerer Zweifel nicht erwehren, ob das Vorgehen des Herrn PrIM gegen die Deutschvölkische Freiheitspartei hiermit zu vereinbaren ist. Auch ich bin selbstverständlich der Meinung, daß gegen Verbrecher mit aller Schärfe vorgegangen werden muß und halte es auch meinerseits für eines der schwersten Vergehen, wenn die Treue der Reichswehr zu Staat und Verfassung erschüttert werden soll. Aber von einem sehr entschiedenen repressiven Vorgehen gegen solche Übeltäter und Schädlinge bis zu dem Verbot einer ganzen Partei ist doch wohl ein weiter Schritt. Dazu kommt, daß bei allem dankenswerten energischen Vorgehen der Preußischen Staatsregierung gegen kommunistische Hundertschaften und dergleichen ein gleicher weitreichender Schritt gegen die kommunistische Partei aussteht und wohl auch nicht beabsichtigt ist, eine Partei, deren revolutionäre Gegensätzlichkeit zum Staate und deren Willen und Arbeit zur Revolution offen vor Augen liegt.“ (R 43 I/1313, Bl. 74 f.).
Minister Severing: Der Reichsinnenminister war von meiner Absicht unterrichtet31.
Daß die Preußische Staatsregierung nicht mit gleicher Entschiedenheit gegen links vorgeht, kann niemand annehmen. Ich bin der bestgehaßte Mann bei den Kommunisten. Wenn jetzt Verbote der Hundertschaften und gewisser Versammlungen durchgeführt werden, so wird man einsehen, was von der großsprecherischen Art der Kommunisten zu halten ist.
Ich bin nicht ganz mit Staatssekretär Hamm einig in der Bewertung des Verhaltens der Kommandeure. Was würde die Öffentlichkeit gesagt haben, wenn ein Agent des Herrn Pieck oder Scholem zu einem Kommandeur der Schupo gekommen wäre und ihm gesagt hätte, er wolle die Schupo unterrichten und wenn der Kommandeur das zugelassen hätte. Die Öffentlichkeit hätte das als einen neuen Beweis für enge Verbindung der kommunistischen Partei und[341] Reichsregierung betrachtet. Um herauszubekommen, was vorging, hätte genügt, der Kriminalpolizei Mitteilung zu machen32. Ich würde es begrüßen, wenn wir bald eine gemeinsame Besprechung hätten. Es würde wohl volle Einigkeit ergeben, daß auch nicht ein Mitglied wäre, das nicht volle Ordnung im Staate und gleichmäßiges Vorgehen gegen Gefahren rechts und links wollte. Etwas anderes schwebt auch mir nicht vor33.
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Das RWeMin. bemerkt dazu am 31. 3.: „Rossbach teilte nur den Offizieren seine Absichten mit, die von Rittmeister Müller-Hickler dem Ministerium gemeldet worden sind. Lediglich durch diese Mitteilung sowie durch die von Oblt. v. Lützow überbrachte Nachricht hat der PrIM erfahren, was Rossbach bei dieser Versammlung beabsichtigte. Der Kriminalpolizei ist es nicht gelungen, dies festzustellen. Hätten also die Kommandeure nur der Kriminalpolizei Mitteilung gemacht, wie der Herr Minister Severing auf Seite 12 sagt, so wäre durchaus nicht herausbekommen worden, was vorging!“ Lt. Mitteilung der Offiziere teilte Rossbach ihnen mit, daß Severing zum 31. 3. die Auflösung aller nationalgesinnten Vereine plane. „Er [Severing] will damit jede Möglichkeit zerschlagen, einen Freiheitskrieg zu führen. Daher unbedingte Pflicht, dieser Verfügung nicht nachzukommen. Sollte die Regierung unsere Auflösung erzwingen wollen, muß es zu offenem Entscheidungskampf zwischen uns und den linksgerichteten Vereinen und Organisationen kommen. Daß auch diese sich hierauf vorbereiten, zeigen die neu auftauchenden, unbelästigt übenden Arbeiterbataillone in Thüringen. Wir möchten, daß in diesem Kampf sich die Reichswehr unter moralischer Unterstützung der nationaldenkenden Vereine neutral hält. Um ihr dies zu ermöglichen, wollen wir jetzt schon unsere Ziele und Pläne in sie hineintragen und damit gleichzeitig verhindern, daß die Truppe wieder wie im November 1918 plötzlich von einer Revolution überrascht wird. Mit der gleichen Offenheit, mit der ich Ihnen unsere Pläne mitgeteilt habe, ist der RK Cuno von diesen unterrichtet worden, desgleichen General v. Seeckt. Beide Herren verhielten sich unseren Plänen gegenüber kühl und uninteressiert.“ (Aus dem von Severing am 25. 3. in der Rkei zur Einsicht vorgelegten Material gegen die DVF, R 43 I/2678, Bl. 196-203.)
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Der Amtliche Preußische Pressedienst ließ durch WTB am 27. 3. über den Verlauf der Sitzung mitteilen: „Das Preußische Staatsministerium nahm in seiner Sitzung vom Dienstag den Bericht des Ministers des Innern Severing über das seinem Vorgehen gegen die Deutschvölkische Freiheitspartei zugrundeliegende Tatsachenmaterial entgegen. Das Ministerium erkannte angesichts des vorliegenden Materials und des Ernstes der innen- und außenpolitischen Situation die Maßnahmen des Herrn Innenministers als notwendig und berechtigt an und gelangte in einmütiger Stellungnahme zu einer völligen Billigung seiner Politik.“ (R 43 I/2678, Bl. 239).
2) Staatssekretär Göhre wird in den vorläufigen Ruhestand versetzt. Staatssekretär Weismann wird zum Nachfolger bestimmt. Das Staatskommissariat für öffentliche Sicherheit entfällt. […]34
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Unter P. 3 wird noch die Frage einer neuen Titelordnung behandelt.