Text
[1087] Nr. 282
Aufzeichnung des Staatssekretärs Kempner über eine telefonische Unterredung des Reichskanzlers mit dem Reichsminister des Auswärtigen zur Frage der Besatzungsstärke im Rheinland am 5. Februar 1926
Nachlaß Luther 362
Der Reichskanzler hat heute telephonisch mit dem Außenminister Stresemann eine Unterhaltung gehabt, zu der die Grundlage das Telegramm des Botschafters Sthamer vom 4.2.26 Nr. 971 auf der einen Seite und ein Telegramm über einen Artikel der Daily News2 auf der andern Seite boten.
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Bericht des Botschafters über eine Unterredung mit Chamberlain, bei der Fragen des dt. Eintritts in den Völkerbund, der all. Besatzungsstärke und des Minoritätenrechts behandelt wurden. Das Telegramm ist abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. I, 1, Dok. Nr. 79.
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Artikel der „Daily News“ vom 4. 2., ausführlich wiedergegeben in „Tägliche Rundschau“ vom 5. 2. S. unten.
Der Kanzler hat in dieser Unterredung zum Ausdruck gebracht, daß wegen des Telegramms des Botschafters Sthamer sofort Schritte in London unternommen werden müßten. Nach Ansicht des Kanzlers habe Sthamer die sich ihm in der Unterredung mit Chamberlain gebotenen Gelegenheiten nicht genügend ausgenutzt. Er habe insbesondere unterlassen, auf die notwendige Truppenreduktion in der zweiten und dritten Zone hinzuwirken3. Die dem Botschafter gegenüber erfolgte Äußerung Chamberlains, daß eine Reduktion nach erfolgtem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund eintreten würde, stelle sogar einen Schritt rückwärts dar gegenüber der von Minister Stresemann im Reichstag in der Sitzung vom 28. Januar verlesenen Erklärung, die die Besatzungsmächte uns übersandt hatten4. Denn nach dieser Erklärung sollte sofort eine Reduktion eintreten und das in der Note des Botschafterrats vom 14. November v. J.5 festgelegte Ziel der Herabsetzung auf die Friedensgarnisonstärke alsbald nach dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund verwirklicht werden.
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Nach Sthamers Bericht (s. Anm. 1) ergab sich hierzu folgender Dialog mit Chamberlain: „Ich hinzufügte, daß die Schwierigkeiten, die aus der unerwarteten hohen Belegung der 2. und 3. Zone entstanden seien, nicht unterschätzt werden dürften. Chamberlain zeigte dafür volles Verständnis und setzte hinzu, daß er persönlich die Belegung mit 75 000 Mann für viel zu hoch halte, doch meinte er, daß eine Herabsetzung auf 45 000 aus militärischen Gründen nicht möglich sei. Immerhin erwarte er eine fühlbare Erleichterung.“ Vgl. auch den Bericht Chamberlains über dieses Gespräch an D’Abernon vom 4. 2. in: The Aftermath of Locarno 1925–1926, Dok. Nr. 245.
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S. dazu Dok. Nr. 271, dort auch Anm. 7.
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S. Anm. 1 zu Dok. Nr. 223.
Der Kanzler machte dann den Außenminister auf den Artikel der Daily News aufmerksam, wonach Deutschland die einzige Macht sei, die die Locarno-Verträge bereits ratifiziert habe, und daß es angesichts dieser Tatsache verständlich wäre, wenn Deutschland in dem schriftlichen Antrag auf Aufnahme in den Völkerbund seinen Eintritt von der Bedingung abhängig machte, daß alle Signatarmächte von Locarno vor erfolgtem Eintritt auch ihrerseits ratifiziert hätten.
[1088] Der Kanzler führte aus, daß man s. E. in der Tat so verfahren müsse und einen entsprechenden Vorbehalt in den Aufnahmeantrag aufnehmen müsse6.
Zum Schlusse des Gesprächs teilte der Kanzler den anwesenden Ministerialdirektoren Kiep und Pünder sowie mir mit, daß der Außenminister sich in beiden Punkten seiner Auffassung angeschlossen habe.
K[empner], 5. 2.