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[794] Nr. 204
Vermerk des Reichskanzlers über eine telefonische Unterredung mit dem Reichsminister des Innern am 23. Oktober 1925, 12 Uhr1
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Der Vermerk ist datiert vom 23. 10.
[Stellung der DNVP zum Locarno-Pakt]
Heute mittag 12 Uhr rief Minister Schiele aus dem Landbund an, wo die deutschnationale Delegiertenversammlung stattfand, und fragte mich, ob ich etwas dagegen einzuwenden hätte, wenn der Kabinettsbeschluß über die Sicherheitspaktfrage2 von ihm – sei es im Wortlaut, sei es inhaltlich – bekanntgegeben würde, damit dadurch deutlich gemacht werden könne, daß der deutschnationale Vertrauensmann nicht endgültig gebunden sei. Herr Schiele teilte mir mit, daß er sofort eine Stellungnahme haben müsse, da er jetzt nicht mehr zögern könne, in die Erörterung einzugreifen, und daß er glaube, dieses Kabinettsbeschlusses in der Erörterung zu bedürfen. Ich habe darauf, während Herr Schiele am Telephon wartete, aus außen- und innenpolitischen Gründen versucht, Herrn Minister Stresemann und Herrn Minister Brauns zu erreichen. Beides mißlang, da Herr Minister Stresemann nach Karlsruhe gereist ist und Herr Minister Brauns sich außerhalb des Ministeriums befand, ohne daß hätte angegeben werden können, wo er zu erreichen war. Darauf habe ich Herrn Schiele meinerseits gesagt:
1) Auf keinen Fall könne der Beschluß etwa dahin ausgelegt werden, daß irgendein Zweifel darüber enstände, daß das deutsche Kabinett das Werk von Locarno will. Selbstverständlich sei die endgültige Beschlußfassung noch nicht erfolgt, da ja das Gesamtergebnis nicht vorliegt.
2) Ich würde gegen eine Verwendung des Beschlusses inhaltlich oder dem Wortlaut nach nichts einwenden, wenn Herr Minister Schiele sie zur Erreichung des Ziels einer Beruhigung für notwendig halte.
3) Ich bäte, auf jeden Fall dafür zu sorgen, daß eine Veröffentlichung von dort aus nicht erfolge, vielmehr wollte ich, wenn die Veröffentlichung empfehlenswert erscheine, sie lieber von mir aus vornehmen.
Herr Schiele sagte nach der letzteren Richtung ausdrücklich zu, er wolle, falls diese Frage in Betracht komme, sagen, daß er darüber mit dem Reichskanzler sprechen müsse. […]
Luther