Text
Nr. 727
Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Bülow über eine Abrüstungsbesprechung in Genf am 26. April 1932
Nachl. Pünder, Nr. 94, Bl. 9–11, Abschrift
Herr Stimson lud den Herrn Reichskanzler heute vormittag zu einer Besprechung über das Abrüstungsproblem ein1, an der ferner MacDonald, Londonderry, Norman Davis, Gibson und ich teilnahmen. MacDonald eröffnete die Aussprache mit einem allgemeinen Überblick über die Schwierigkeiten der Konferenz. Auf der einen Seite stehe unsere Forderung nach Befreiung vom V. V. [Versailler Vertrag],[2468] auf der anderen die Gefahr eines neuen Weltrüstens als Folge unserer Rüstungsfreiheit, eine Gefahr, die England und Amerika niemals zulassen könnten. Der Herr Reichskanzler legte unsere Forderung nach Gleichberechtigung dar, und schilderte den Stand unserer Besprechungen mit den Franzosen2. Er betonte, daß wir wirkliche Abrüstung wünschten, und keine Absicht hätten, künftig irgend einen Rüstungswettlauf zu entfachen. Er wies in diesem Sinne auf unsere Bereitwilligkeit hin, für Dauer der Konvention dieser ersten Abrüstungskonferenz (beispielsweise 8 Jahre) im wesentlichen auf unserem jetzigen Rüstungsniveau zu verbleiben unter Wahrung unserer Freiheit, gewisse Änderungen an unserem Wehrsystem vorzunehmen. Als solche „Änderungen“ wurden namentlich erwähnt eine teilweise Abänderung der zwölfjährigen Dienstzeit unter Beibehaltung des gegenwärtigen Wehrsystems, ferner daneben die Errichtung einer Miliz nach Schweizer Muster, sowie die Neugestaltung der Versorgung mit Kriegsmaterial nach Befreiung von den Bindungen der IMKK, die die Herstellung sinnlos verteuere. Die Miliz wurde nicht näher definiert, auf eine Frage von Norman Davis sagte der H.R.K., sie solle nicht etwa die Stärke der Reichswehr erreichen. Die Amerikaner und Engländer erklärten sich mit unserer Forderung der Gleichberechtigung im Sinne einer Ablösung des Teils V V.V. durch die neue Abrüstungskonvention einverstanden und unseren Standpunkt für vernünftig und berechtigt. Sie legten Wert darauf, daß es sich um eine Innovation und nicht um eine feierliche Widerrufung des Teils V handeln solle. MacDonald machte geltend, daß wir bei Ablauf der Abrüstungskonvention völlige Rüstungsfreiheit erlangen würden, und die Franzosen würden Sicherheit verlangen, daß wir dann nicht tatsächlich einen Rüstungswettlauf einleiteten. Der H.RK entgegnete, er könne auf diese Rüstungsfreiheit nicht verzichten, weil es ein wichtiges Druckmittel sei, um weitere Rüstungsverminderungen zu erzwingen, was allgemein einleuchtete.
In Gesprächen namentlich zwischen den Engländern und den Amerikanern wurde dann das Problem der Luftrüstungen erörtert. Der Herr Reichskanzler erklärte hierzu lediglich, daß eine Internationalisierung der Zivilluftschiffahrt nur erwogen werden könne, falls die Militärluftschiffahrt abgeschafft werde. Erst dann erlange[2469] die Zivilfliegerei eine militärische Bedeutung. Die Frage wurde nicht vertieft. Aus der englisch-amerikanischen Unterhaltung ging im übrigen hervor, daß beide Länder eine restlose Abschaffung der Militärluftschiffahrt nicht für möglich oder erwünscht halten, wohl aber die Abschaffung oder Einschränkung der großen Bombenflugzeuge ebenso wie der schweren Waffen überhaupt. Der Herr Reichskanzler erklärte sich mit der Abschaffung der sogenannten Angriffswaffen vorbehaltlos einverstanden und betonte, daß Deutschland bereit sei, si omnes3 hierauf zu verzichten. Die Frage der Abrüstung zur See wurde nur oberflächlich gestreift. MacDonald fragte, ob wir die Einreihung in das Londoner Abkommen anstrebten4, und wies auf die Schwierigkeiten hin, die unser neuer Panzerschifftyp5 hervorrufe. Deutscherseits wurde hierzu nicht Stellung genommen, da MacDonald erklärte, diese Fragen könnten später den Gegenstand technischer Erörterungen bilden.
Als der Herr Reichskanzler erwähnte, daß die Franzosen offenbar ihr Entgegenkommen in der Gleichberechtigungsfrage abhängig machen wollten von einem deutschen Eingehen auf die französischen Sicherheitswünsche6, insbesondere die sogenannte assistance mutuelle, klagte MacDonald ziemlich bitter über die französische Taktik, aus dem Entgegenkommen gegenüber den deutschen Forderungen ein Handelsgeschäft zu machen und lehnte für England jede Erweiterung der Garantieverpflichtungen im Sinne der französischen Vorschläge ab. Auch die Amerikaner schienen gegen die französische Einstellung zum Abrüstungsproblem voreingenommen zu sein. Deutlich war bei beiden die Sorge um das Schicksal der Konferenz zu erkennen und ihre Befriedigung über die deutsche Einstellung zum Gesamtproblem.
Es wurde in Aussicht genommen, die Besprechung mit Tardieu am Freitag fortzusetzen, falls es möglich sei, ihn zur Rückkehr nach Genf zu bewegen7.
[gez. v. Bülow]
Fußnoten
- 1
Das Dok. ist auch abgedruckt in ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 69, Abschrift in R 43 I/520, Bl. 324–326; vgl. auch Brüning, Memoiren, S. 558–563.
- 2
Vgl. das Telegramm StS v. Bülows über eine Unterredung zwischen dem RK und dem Frz. MinPräs. Tardieu am 21.4.32, ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 63. Vgl. auch das als „Geheim“ klassifizierte, ungezeichnete „Material für Genfer Reise des Reichskanzlers April 1932“: „I. Deutscher Wunsch: Anerkennung der Gleichberechtigung […] II. Französischer Wunsch: Aufrechterhaltung und Erhöhung der französischen Sicherheit […] III. Französische Machtmittel: Ablehnung der Gleichberechtigung und Aufrechterhaltung der Entwaffnungsbestimmungen des Friedensvertrages. IV. Deutsche Machtmittel: a) Ablehnung jeder qualitativen Abrüstung, die nicht der deutschen gleichkommt. b) Ablehnung der französischen Vorschläge hinsichtlich der Schaffung von Machtmitteln des Völkerbundes. c) Ablehnung jeder Erörterung des französischen Vorschlags auf Schaffung weiterer Sicherungen zur Kriegsverhütung unter Berufung auf den Beschluß des Völkerbundes von 1928 über die Zulänglichkeit der bisherigen Sicherheitsmaßnahmen für die Vornahme der Abrüstung. V. Möglichkeit einer Verständigung. a) Frankreich erkennt die deutsche Gleichberechtigung an […] b) Deutschland erklärt sich bereit, vor der im Rahmen des Artikels 8 auszuübenden Rüstungsfreiheit binnen einer bestimmten Frist nur einen bestimmten Gebrauch zu machen. Ferner erklärt es sich bereit, dem französischen Vorschlag auf Schaffung von Machtmitteln des Völkerbundes keinen grundsätzlichen Widerstand entgegenzusetzen, sondern seine Ausführung im Rahmen der allgemeinen Haltung der Konferenz und innerhalb gewisser Grenzen der eigenen Haltung mitzumachen. Schließlich erklärt es sich bereit, den französischen Vorschlag auf Schaffung weiterer Sicherheit zur Kriegsverhütung zu diskutieren und ihm bis zu gewissem Grade entgegenzukommen. VI. Art des Vorgehens […] (R 43 I/520, Bl. 336–337).
- 6
Vgl. die Aufzeichnung des StS v. Bülow vom 15.3.32 über eine Unterredung mit dem Frz. Botschafter François-Poncet mit Sichtparaphe des RK: „Der Botschafter plädierte nun dafür, daß man die deutsch-französische Verständigung in der Abrüstungsfrage auf dem Umwege über die Sicherheitsfrage anstreben solle, um die Tardieu’sche These auszunutzen, daß bei erhöhter Sicherheit Frankreich weiter abrüsten könne. Er sprach von dem Locarno-Vertrag, der seine volle Wirkung nicht erreicht habe und gab zur Erwägung, ob man nicht der Frage nachgehen wolle, welche einzelnen Punkte des Locarno-Vertrages der französischen Sicherheitsauffassung nicht genügt hätten, um dann zu prüfen, wieweit Ergänzungen zum Locarno-Vertrag möglich seien. Ebenso könne man (auf mögliche Ergänzungen hin) die Generalakte prüfen. Ich verhielt mich dieser Anregung gegenüber äußerst reserviert und erklärte dem Botschafter, man höre immer so viel von der französischen Sicherheit, die Franzosen möchten doch über ihre eigenen Wünsche nicht die Erfordernisse einer Erhöhung der deutschen Sicherheit vergessen. Es sei doch eine Zumutung an uns, daß wir uns mit Verträgen begnügen sollten, wie der Locarno-Vertrag usw., die Frankreich als für sich ungenügend ansehe, während daneben eine ungeheuere Disparität der Rüstungen fortbestehe. Unsere Sicherheit lasse sich auf eine sehr einfache Weise befriedigen, nämlich durch die Abrüstung. Der Botschafter wies darauf hin, daß solche Erwägungen nur in eine Sackgasse führen, und daß wir versuchen müßten, einen Ausweg zu finden, entweder durch Ausbau der bestehenden Verträge oder durch Eingehen auf die Genfer Vorschläge Tardieus. Auf die Reparationsfrage kam der Botschafter nicht zurück, und ich habe auch nicht davon gesprochen“ (R 43 I/520, Bl. 350–351).